Kriegsalltag in Teheran: Den Raketen und dem Regime ausgeliefert
In Iran freuen sich viele über den israelischen Angriff auf das repressive Mullah-Regime. Andere sind wütend auf Israel. Alle sind schutzlos.

Nicht nur geografische Grenzen werden überschritten, sondern die Grenzen der Moral, der Wut und der Hoffnung. Und vielleicht ist die dringendste Frage für Iran heute nicht, wer angefangen hat – sondern die, was sein Volk noch aus den Trümmern retten kann.
Während der ersten zwei Tage des Angriffs verlief das Leben in Irans Hauptstadt in fast unheimlich normalen Bahnen. Auf Videos war zu sehen, wie Menschen sich in der Stadt bewegen, Restaurants und Cafés besuchen, an Straßenständen einkaufen. Sogar als die Kampfjets über ihre Köpfe flogen, mokierten sich die Bürger über die schwache und hilflose Antwort des Regimes.
„Wenn du dich wunderst, wie man einen militärischen Angriff gegen das eigene Land unterstützen kann, frag die Menschen in Nazi-Deutschland. Oder die Bürger von Paris unter Nazi-Besatzung. Frag sie, wie man das eigene Land so lieben kann, dass man eine Invasion begrüßt – weil sie der einzige Weg zur Rettung sein könnte.“ Saman, ein 42-jähriger Teheraner, ist nur einer von unzähligen Iranern, die mehr oder weniger offen die israelischen Angriffe gutheißen. Nicht nur trauert er nicht, sondern er sieht darin die letzte, möglicherweise einzige Chance auf einen Sturz der Islamischen Republik und den Weg zu einer neuen, säkularen und demokratischen Regierung.
Das Regime antwortete mit Morden und Zwangsexil
Die taz hat mit vielen Menschen gesprochen, die zum gleichen Schluss kamen: Die Iraner haben alles versucht – Reform, Dialog, Teilhabe – und nichts hat funktioniert. Jetzt bleibt nur Gewalt.
Um das Jahr 2000 herum, sagen diese Stimmen, begannen die Menschen, massiv am politischen Prozess teilzunehmen, in der Hoffnung auf echte Reformen. Aber das autoritäre Regime antwortete mit Morden, Zwangsexil, Inhaftierung und Wahlfälschung.
Ein Jahrzehnt später, im Jahr 2009, explodierte das Land in der größten Protestbewegung der iranischen Geschichte, der „Grünen Bewegung“. Protestierende demonstrierten schweigend. Sie trugen keine Waffen, nur Parolen und Forderungen. Die Antwort des Regimes: brutale Niederwerfung.
Danach verloren viele Iraner jeden Glauben an die Wahlurne. 2018, 2019 und 2021 gingen sie auf die Straße. Es gab Wellen des zivilen Ungehorsams und der Massenproteste, die den Frust offen ausdrückten. Das Regime antwortete ausschließlich mit Repression.
„Die Menschen um mich herum reagieren ganz unterschiedlich“, sagt der 38-jährige Mohammadreza zur taz. „Manche sind in Todesangst gelähmt. Manche trauern und weinen ständig. Andere sind wütend und voller Hass auf Israel. Aber ganz ehrlich: Die meisten Leute, die ich gesehen habe, sind einfach glücklich. Sie feiern.“
Für ihn ist dieser Krieg nicht etwas, was das Volk gewählt hat – er wurde ihm aufgezwungen. „Und wenn wir nach einem Schuldigen suchen, ist es die Islamische Republik. Nur sie.“
Die Entwicklung einer tiefen Spaltung
Doch als die Angriffe stärker wurden, kam ein Gefühl der Angst hinzu. „Die anfängliche Freude über die gezielten Schläge gegen die Infrastruktur der Islamischen Republik und hochrangiger Revolutionsgardisten wich schnell der Panik“, sagt der 41-jährige Hauptstadtbewohner Kian der taz.
Kian, 41, Teheran
„An Tankstellen bildeten sich kilometerlange Schlangen, und jede Hauptstraße aus Teheran heraus wurde verstopft. Die Menschen drängelten sich, um andere Städte zu erreichen, vor allem im Norden, der traditionell als sicherer und stabiler gilt. Wegen seines bergigen Terrains ist der Norden nur selten Standort wichtiger militärischer oder nuklearer Einrichtungen.“
Eine „tiefe Spaltung“ habe sich entwickelt, fährt Kian fort. Auf der einen Seite gibt es die, die die Militärintervention bejubeln und den Regimewechsel wollen – viele von ihnen sehen sich als modern und progressiv. Auf der anderen Seite nennen sich die Leute Patrioten, Kriegsgegner und Nationalisten. Der Streit ist heftig. Manchmal fühlt es sich so an, als sei die Stadt im Krieg nicht nur mit dem Himmel, sondern mit sich selbst.“
Mohammadreza beschreibt die Stimmung ähnlich. „Am dritten Kriegstag sind die Stimmen gegen Israel lauter geworden“, sagt er. „Die Angriffe sind viel intensiver. Die Leute haben Angst und die Propaganda der Islamischen Republik über zivile Opfer hat viele überzeugt.“
Schließungen am dritten Kriegstag
Ab dem dritten Kriegstag, dem Sonntag, begannen Geschäfte und Onlinedienste quer durch Teheran massenhaft zu schließen. Die Regierung schloss Schulen und Ministerien bis auf weiteres. Es gibt keine klaren amtlichen Informationen über das Ausmaß der Bombenangriffe, Raketeneinschläge oder Drohnenangriffe. Alles bleibt im Ungewissen.
Ali, 38, Teheran
„Manchmal denke ich, der Islamischen Republik ist es egal, wenn normale Menschen getötet werden“, sagt der 30-jährige Omid der taz. „Das hilft ihr, sich als Opfer zu geben, die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken oder für Vergeltungsschläge auf Israel zu werben. Vielleicht ist das der Grund, warum es in den Städten keine Alarmsirenen gibt und auch keine richtigen Schutzräume. Oder es ist einfach ein Ausdruck davon, wie kaputt der Staatsapparat ist.“
Er fügt hinzu: „Die Menschen sind verzweifelt. Desorientiert. Zum dritten Kriegstag ist das Leben zum Stillstand gekommen. Die Geschäftsleute haben gemerkt, dass sie sich auf einen langen wirtschaftlichen Ausfall einstellen müssen – und angesichts des fragilen Zustands von Irans Wirtschaft könnte das eine Katastrophe sein.“
Der 38-jährige Ali sagt: „Stress ist eine Epidemie geworden. Die Leute können nirgendwo Schutz finden. Es ist absurd: Die Leute versammeln sich in Parks, statt unter die Erde zu gehen. Sie ziehen offene Flächen den Kellern oder Tiefgaragen vor. Derweil wird das Filtern des Internets und die Angst vor einem kompletten Medienblackout unerträglich.“
Die 33-jährige Tahmineh hat beschlossen, in Teheran zu bleiben. „Es gibt keine Schutzräume in dieser Stadt“, sagt sie der taz. „Die meisten Menschen versuchen, in ihre Heimatorte oder Dörfer zu fliehen. Dem Summen der Drohnen zuzuhören, der Raketenabwehr in Aktion zuzuschauen und Beruhigungspillen zu nehmen – all das gehört jetzt zu unserer Alltagsroutine.“
Nach vier Tagen Krieg ist Iran nicht mehr das Land, das es einmal war. Nicht nur wegen der Bomben, sondern wegen eines allmählichen Zusammenbruchs des psychologischen und sozialen Zusammenhalts der Nation. In Teheran und darüber hinaus tut sich eine Kluft auf. Manche hoffen noch immer, dass dieses Feuer sich irgendwie durch die Fundamente der Tyrannei fressen und einen Weg zur Freiheit öffnen kann. Andere versinken in Angst, Realitätsleugnung und einem tiefen Gefühl des Verlassenseins, physisch und emotional.
Aus dem Englischen: Dominic Johnson
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