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Kriege in der Ukraine und IranWestliche Solidarität in der Sackgasse

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der Iran und die Ukraine sind grundverschieden, aber Putins und Netanjahus Kriege gleichen sich. Das macht es für den Westen schwer.

Brüder im Geiste: der russische Präsident Putin (l) und der israelische Premierminister Netanjahu, in Moskau 2016 Foto: Mikhail Metzel

M assenflucht in Autokolonnen, aus Teheran heute wie 2022 aus Kyjiw. Die Bilder gleichen sich. Wieder richtet ein Krieg immenses Leid an und sortiert die Welt neu.

Donald Trump und Wladimir Putin ziehen an einem Strang, und das hat System. Trump hat die Ukraine aufgegeben, Putin lässt Iran fallen. Sollte Irans Regime untergehen, wird Russland stillhalten, so wie Trump für die Ukraine keinen Finger rührt. Das ist der Deal. In der Ukraine hat Putin freie Hand. Irans Schicksal liegt in Trumps Händen. Er muss sich nur noch überlegen, ob, wann und wie die USA an der Seite Israels in den Krieg einsteigen.

An sich sind Iran und die Ukra­ine grundverschieden. Iran hat ein nach innen und außen aggressives, autoritäres Regime, predigt die Vernichtung Israels und unterhält einen Ring terroristischer Verbündeter. Die Ukraine ist eine freie Gesellschaft, die mühsam ihre Selbstständigkeit und Identität zurückholt. Sie wehrt sich seit über zehn Jahren gegen russische Aggression, während sich in Iran das Volk ebenso mutig gegen das eigene Regime wehren muss.

Das ukrainische Selbstverständnis ist dem historisch gewachsenen Selbstverständnis Israels nahe. Die Solidarität des Westens gilt selbstverständlich diesen beiden Ländern, jede Unterstützung des iranischen Regimes verbietet sich, obwohl Iran der Angegriffene ist – wobei sich die Frage einer Unterstützung der iranischen Bevölkerung spätestens dann stellen wird, wenn massive Flüchtlingsströme die Türkei erreichen.

Mit Trump ist die Dynamik beider Konflikte verknüpft

Aber all das hilft nicht, um die Trump-Putin-Welt zu verstehen. Die Kriege gegen Iran und die Ukra­ine sind sich strukturell ähnlich. Putin und Netanjahu agieren wie Brüder im Geiste. Sie bezeichnen ihre Gegner beide als Nazis und fordern beide deren Entmilitarisierung und Unterwerfung. Sie rechtfertigen ihre Aggression beide als notwendige Abwehr einer unmittelbaren existenziellen Bedrohung. Was für Putin die Nato-Osterweiterung ist, ist für Netanjahu das iranische Atomprogramm: ein Teufel an der Wand seit 30 Jahren, dessen Zerstörung ihr Lebenswerk sein soll.

Seit Trumps Amtsantritt ist die Dynamik beider Konflikte verknüpft. Sein Sonderbeauftragter Steve Witkoff ist für beides zuständig. Am 12. April setzte Trump Iran eine Frist von 60 Tagen für einen Atomdeal – da befand sich Witkoff gerade in Moskau, und nach seiner Rückkehr fertigte Trump seinen absurden „Friedensplan“ für die Ukraine, mit Erfüllung der russischen Kernforderungen als Vorleistung.

Es folgten im Mai parallele Verhandlungen zwischen den USA und Iran und zwischen Russland und der Ukraine. Auf das Scheitern der Ukraine-Gespräche in Istanbul folgten die massivsten russischen Luftangriffe seit Kriegsbeginn. Auf den Ablauf der 60-Tage-Frist der USA an Iran folgte am frühen Morgen des 13. Juni der israelische Großangriff, mit Wissen der USA.

Würde von Irans Atomprogramm wirklich eine unmittelbare Gefahr ausgehen, könnte Israel keine Militärschläge wagen, weil dann Iran sofort viel massiver zurückschlagen könnte. Wäre die Ukraine wirklich das Sprungbrett einer aggressiven Nato, hätte Russland 2022 keinen Überfall wagen können, weil das einen vielfach größeren Nato-Gegenschlag provoziert hätte. Putin und Netanjahu können unbekümmert angreifen, weil sie beide wissen, dass sie lügen. Ihre Propaganda ist Projektionsfläche für ihr eigenes Ego.

Putin und Netanjahu sind selbstverliebt und skrupellos, Regeln zählen für sie im Krieg nicht. Sie behalten sich beide das Recht vor, feindliche Bevölkerungen zu vernichten, fremde Gebiete zu besetzen und Instabilität zu schüren. Sie beide erkennen nicht einmal feste Grenzen ihrer Staaten an.

Wenn Israel für uns die „Drecksarbeit“ macht, kann man sich jedes Gerede über eine regelbasierte Weltordnung sparen

Die westliche Solidarität mit der Ukraine und Israel steckt nun in einer Sackgasse. Putins Krieg zu kritisieren, aber zu Netanjahus Krieg zu schweigen, ist verlogen – und umgekehrt. Wenn Israel tatsächlich „für uns alle“ die „Drecksarbeit“ macht, wie es Friedrich Merz in unnachahmlicher Klarheit ausdrückt, kann man sich jedes Gerede über Völkerrecht und eine regelbasierte Weltordnung sparen.

Foren des „Westens“ wie G7 und Nato sind da zum Leerlauf verurteilt. Beim G7-Gipfel trat Trump als Fürsprecher Putins auf. Dass Trump in der Nato kommende Woche die Europäer zum 5-Prozent-Ziel für ihre Verteidigungsausgaben auffordern wird, ist kein Signal gegen Putin – vielmehr kann er dann in Zukunft nicht nur die Ukraine fallen lassen, sondern ganz Europa.

Russlands Großangriff auf die Ukraine war für den „Globalen Westen“ im Rückblick bloß eine Belastungsprobe. Israels Großangriff auf Iran geht an die Substanz. Das ist die neue Welt seit dem 13. Juni 2025, eine globale Zeitenwende wie der 24. Februar 2022.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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4 Kommentare

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  • Ach was! Loriot

    Da hat sich wohl unser Außenkanzler wohl mal bei der Begegnung mit seinem größtem Gegner seinem 👄 wieder im Brilon 🌳 🪾🌲🪾 verlaufen! Wollnich



    Es waren bekanntlich die PolizeiBataillone - PolBtl - die “die Drecksarbeit“ hinter den Linien der Wehrmacht & der Waffen-SS machten! Woll



    (Eh sie post WK II - weitgehend unbehelligt wie zuvor Streife gingen - als Polizeiräte Dienst schoben • )



    &



    Was immer unser Hans Großmaul vande



    🏍️ tuning mit nix auf Tasche suboptimales vonunter sich zu lassen geruht! Gellwelle



    Mit Verlaub - ehrlich - ist daran gar nichts •



    Wer bei uns Fritzchen mit derartigen Kategorien rumzufuchteln zu können meint.



    Übersieht - diese Sabbelfutt vonde BlackRockers ist 🧠Nudist •

  • Die Argumentation enthält einen zentralen Denkfehler: Sie unterstellt, dass ein Angriff nur dann erfolgt, wenn keine reale Bedrohung besteht – übersieht aber, dass Staaten oft gerade mit einer behaupteten bevorstehenden Bedrohung ihren Angriff rechtfertigen. Das Prinzip präventiven Handelns beruht nicht auf dem Abwarten eines tatsächlichen Angriffs, sondern auf dem Versuch, eine als gefährlich empfundene Entwicklung im Keim zu ersticken.

    Die Logik lautet: „Bevor der Apfelbaum wächst und Früchte trägt, mit denen ich beworfen werden könnte, verhindere ich, dass er überhaupt gepflanzt wird.“ Daraus dann zu folgern: „Weil er angreift, muss er wissen, dass es nie einen Apfelbaum geben würde“ – ist ein Zirkelschluss. Es wird Ursache und Folge verwechselt, und eine Begründung wird fälschlich als Beweis ihrer Unwahrheit gewertet.

    Zur Klarstellung: Es geht nicht darum, ob die Bedrohungsszenarien real sind, sondern darum, dass sie aus Sicht der Angreifer als Anlass für präventives Handeln dienen.

  • Konstruiert und absurd. Israel schützt sich vor der Bombe.

    1. Iran can convert its current stock of 60 percent enriched uranium into 233 kg of WGU in three weeks at the Fordow Fuel Enrichment Plant (FFEP), enough for 9 nuclear weapons, taken as 25 kg of weapon-grade uranium (WGU) per weapon.

    2. Iran could produce its first quantity of 25 kg of WGU in Fordow in as little as two to three days.

    3. Breaking out in both Fordow and the Natanz Fuel Enrichment Plant (FEP), the two facilities together could produce enough WGU for 11 nuclear weapons in the first month, enough for 15 nuclear weapons by the end of the second month, 19 by the end of the third month and 21 by the end of the fourth month.

    4. Combined with Iran’s refusal to resolve outstanding safeguards violations and the program’s unresolved nuclear weapons dimensions, the IAEA has a significantly reduced ability to monitor Iran’s complex and growing nuclear program. The IAEA’s ability to detect diversion of nuclear materials, equipment, and other capabilities to undeclared facilities remains greatly diminished.

    isis-online.org/is...ng-report-may-2025

  • "obwohl Iran der Angegriffene ist"

    Der Iran greift über Proxies Israel seit Jahren an.