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Krieg zwischen Israel und der Hamas„Meine Sorge sind die Vertriebenen“

10.000 Menschen in Gaza haben durch Israels Luftschläge ihre Wohnung verloren. Die Radikalisierung wächst, sagt der Chef des dortigen UN-Palästinenserhilfswerks.

„Sie haben Angst, auf die Straße zu gehen“: Zerstörungen nach israelischem Angriff in Gaza-Stadt Foto: Mahmoud/ZUMA Wire/imago
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

taz: Herr Schma­le, von wo aus sprechen Sie gerade mit mir?

Matthias Schmale: Aus meinem Büro in Gaza-Stadt. Momentan schlafen wir auch hier, aus Sicherheitsgründen. Heute Nacht bin ich fast aus dem Bett gefallen, dermaßen laut waren die Explosionen.

In Ihrem Büro des UN-Hilfswerks UNRWA dürften Sie recht sicher sein, aber wie geht es den Menschen in Gaza?

Sie sind terrorisiert und haben Angst, auf die Straße zu gehen. Sieben Schüler und Schülerinnen, die UNRWA-Schulen besuchten, sind schon umgekommen. Eine Kollegin hat ihre Schwester und Tochter bei einem Luftschlag verloren. Eine solche Intensität der Bombardierungen habe ich in meiner Karriere noch nicht erlebt. Meine Sorge ist, dass sich ein Krieg wie 2014 wiederholt, auf noch höherem Gewaltniveau.

Bild: Mahmoud Ajjour/imago stock&people
Im Interview: Matthias Schmale

58, ist Chef des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA im Gazastreifen. Er lebt und arbeitet seit 2017 in Gaza-Stadt.

Die Israelis reagieren mit dem Bombardement auf die Raketen der radikalen Hamas, die im Gazastreifen herrscht. Wie gehen sie dabei vor?

Die Israelis sagen – bisher zu Recht, glaube ich –, dass sie nur die Hamas angreifen. Das ist allerdings ein schwieriger Punkt. Es gibt hier Wohngebäude, in denen sich Hamas-Leute aufhalten, privat oder in Büros. Diese Gebäude sind mitten im Stadtgebiet. Und Gaza-Stadt ist sehr dicht besiedelt. Mit vielen Hochhäusern.

Vor den Angriffen auf Hochhäuser in den vergangenen Tagen wurden Warnungen ausgesprochen und sogar kleine Warnangriffe ausgeübt, damit sich die Be­woh­ne­r*in­nen retten konnten.

Richtig. Eines dieser Gebäude war der sogenannte Hanadi-Tow­er. Ich konnte ihn aus meinem Apartment sehen, er war nur 200 Meter entfernt. Skurrilerweise hatte sich vor meinem Gebäude ein Kamerateam aufgebaut, weil bekannt war, dass die Israelis den Tower in den Boden stampfen würden. Sie versuchen, die Bevölkerung zu schützen … hören Sie das Knallen im Hintergrund? Da werden jetzt wieder Raketen rausgeschossen … Die Israelis haben schon das Anliegen, den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten.

Aber?

Die Frage ist: Reichen die Präsenz von Hamas-Leuten und die Warnungen als Rechtfertigung, einen ganzen Wohnkomplex in Grund und Boden zu schießen? Fast 80 Familien haben allein im Hanadi-Tower ihre Wohnung verloren. Unsere ehemalige Generalsekretärin hat auch dort gewohnt. Ja, Menschenleben wurden gerettet, aber die Konsequenz ist, dass 80 Familien jetzt auf der Straße sind.

Kollateralschaden, würden viele sagen.

Der Kollateralschaden wird unterschätzt. Die Bombardierungen sind zwar sehr präzise, aber es gibt neben Gebäudeschäden auch Tote und Verletzte. Und auch die psychologischen Folgen werden übersehen. Die Dauerbombardierung hinterlässt tiefe Spuren. Die Behauptung, dass das ohne Konsequenzen für die Zivilbevölkerung abläuft, ist Quatsch.

Ein Eindruck ist allerdings auch, dass die Hamas sich hinter der Zivilbevölkerung versteckt.

Das werfen die Israelis der Hamas vor. Es stimmt allerdings nicht komplett. In einem dicht besiedelten Gebiet gehört es dazu, dass Büros mitten in einer Stadt sind. Wenn man da reinfeuert, nimmt man den Tod von Zivilbevölkerung in Kauf.

Die Hamas nutzt nicht gezielt zivile Einrichtungen?

Ich habe bislang zumindest keine Beweise gesehen, dass sie zum Beispiel gezielt in Schulen reingeht und von dort feuert. Allerdings feuert sie teilweise von Stützpunkten aus, die mitten in der Stadt liegen.

Sehen die Menschen in Gaza das israelische Bombardement auch als Vergeltung? Als Reaktion auf die Hamas-Angriffe?

Viele hier sehen die Raketen der Hamas als Reaktion auf das, was in Israel und Ostjerusalem geschieht. Das soll nicht die Gewalt der Hamas rechtfertigen, die Raketen müssen aufhören! Aber so wird es hier gesehen. Am Anfang der Kette steht für viele Ostjerusalem. Das gilt auch für moderate Leute. Die Radikalisierung von Bevölkerungsgruppen, die eigentlich eine vernünftige Lösung wollen, ist ein Risiko, das wir nicht unterschätzen dürfen.

Leute, die ich bislang als sehr moderat erlebt habe, sagten mir: „Ich bin gegen Hamas und gegen Gewalt, aber wenn ich sehe, was in der Al-Aksa-Moschee passiert, dann muss ich sagen, die tun wenigstens was.“ Das kam von einer Frau, die nie Hamas wählen würde. (Die Stürmung der Al-Aksa-Moschee vergangene Woche in) Ostjerusalem wird als Angriff auf palästinensische Identität und Religion wahrgenommen. Und das ist nicht nur ein Gaza-Problem. Im Moment geht es erstmals seit Langem wieder um Palästina statt um zwei getrennte Gebiete.

Wie geht es jetzt weiter?

Meine Sorge sind die internen Vertriebenen. Bei der UNO arbeiten wir mit einem Richtwert von 10.000 Wohnungslosen, der am Freitag erreicht wurde. Nun aktivieren wir fünfzig Schulen als Notunterkünfte. Seit der Nacht auf Freitag sind mehrere Tausend Menschen in mehr als zwanzig unserer Schulen im Norden Gazas und in Gaza-Stadt eingedrungen, um sich vor den Auseinandersetzungen im Norden in Sicherheit zu bringen.

Unsere Teams arbeiten jetzt daran, diese Schulen verantwortungsvoll zu managen, was etwa bedeutet, sicherzustellen, dass das Risiko einer weiteren Verbreitung des Coronavirus so klein wie möglich gehalten wird. Wir haben hier eine völlig unzureichend geimpfte Bevölkerung. Wenn jetzt Massenlager entstehen, ist das Risiko einer dritten Welle mit verheerenden Auswirkungen groß.

Hinzu kommt, dass ja auch über eine Bodeninvasion der Israelis spekuliert wird. Wenn es dazu kommt, werden sehr viele Menschen flüchten.

Wie kann die Eskalation gestoppt werden?

Ohne Vermittlung wird das nichts werden. Beide Seiten sind so verfahren und stur, dass sie es allein nicht schaffen werden. Die Amerikaner und die Golfstaaten, insbesondere Katar, werden eine Rolle spielen. Katar war bei Verhandlungen immer dabei, da es von der Hamas und auch von den Israelis zu einem gewissen Grad akzeptiert wird. Wenn es zu einer Allianz kommt zwischen Katar, Ägypten, den USA und der UNO, dann gibt es Hoffnung.

Rechnen Sie mit Ruhe noch am Wochenende?

Hier sind ja gerade Feiertage (Zuckerfest, d. Red.) und das Wochenende beginnt schon freitags. Meine Hoffnung ist, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen am Samstag oder spätestens am Sonntag beigelegt werden.

Was braucht es dann?

Es wird psychologische Betreuungsmaßnahmen geben müssen, auf beiden Seiten, es sind ja auch auf israelischer Seite acht Menschen getötet worden, inklusive einem Kind.

Und grundsätzlich brauchen wir eine Umorientierung auf allen Seiten. Bis vor knapp zwei Wochen noch hatte es in Gaza eine ziemlich positive Energie gegeben, was die mittlerweile abgesagten palästinensischen Wahlen angeht. Über 90 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich registriert, davon viele junge Leute, Erstwähler. Es gab eine Aufbruchstimmung, die zwar nicht unbedingt damit verbunden war, dass sich radikal etwas ändert. Aber allein der Anfang eines politischen Prozesses hat Energien freigesetzt.

Dass muss wieder hingekriegt werden. Es muss einen politischen Horizont geben, der verknüpft wird mit einer wirtschaftlichen Erholung. 50 Prozent hier sind ja arbeitslos. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir in drei oder sechs Monaten wieder in der gleichen Situation.

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1 Kommentar

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  • Zum Interview habe ich nichts hinzuzufügen. Sachlich ist alles richtig und wertende Färbungen von Texten zu erkennen und Lücken ergänzen zu können ist Schulstoff der Quarta. Aber was ist mit der Redaktion und ihrer Anmerkung? Den Eid al-Fitr kennen Sie aber Schavout ist Ihnen völlig fremd, oder warum wird dieses dritte der drei großen Pilgerfeste im Jahr von Ihnen einfach verschwiegen?