Krieg und Angst: Bunker bieten auch kaum Sicherheit
Die Kriege in der Ukraine wie auch im Nahen Osten sind Gold für das Geschäft der Bunkerbauer. Und sie sorgen wenigstens für ein Gefühl von Sicherheit.
I m biblischen Buch der Richter enden die Erzählungen mit dem Vers: „Da hatte das Land Ruhe vierzig Jahre.“ Ich habe diesen Vers immer als pure Ironie gelesen, denn der deprimierende Gesamteindruck des Buches ist der eines permanenten Kriegs. Jetzt scheint es, dass unsere vierzig Jahre vorbei sind. Selbst in relativ ruhigen Gegenden der Erde, etwa Westeuropa, verdunkelt sich der Himmel wie bei einem Gewitter im Hochsommer.
In solchen Zeiten haben die Medien großen Einfluss auf die allgemeine Stimmung. Die Medien haben schon immer das Spannende, das Dramatische gesucht, und das ist heute schlimmer denn je. Bots aller Art verbreiten Panik und Chaos, die Menschen sind verwirrt und ratlos. In diesem Zustand kann man entweder versuchen, trotz allem Tohuwabohu und Durcheinander noch irgendwie rational zu handeln. Oder man kann sich zurückziehen und in Deckung gehen.
Laut einem Bericht des Economist steigt die Nachfrage nach Bunkern und Schutzräumen in Deutschland seit Jahren deutlich. Dieser Trend begann mit der russischen Besetzung und Annexion der Krim im März 2014. In deutschen Cafés, Bars und auf den Wochenendmärkten ist von einer Panik noch wenig zu spüren. Die Deutschen wirken auf mich unglaublich ruhig und entspannt. Doch offenbar trügt der Schein, und sie haben Angst. Angst vor Wladimir Putin, vor Donald Trump, vor Marine Le Pen.
Vielleicht sind Putin und Trump nur Auslöser, die eine latente Existenzangst getriggert haben, eine Angst, die kein Objekt braucht, wie es uns der weise dänische Philosoph Søren Kierkegaard einst lehrte. Auch die Israelis bauen Schutzräume. Vor Oktober 2023 bauten nur diejenigen, die in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen wohnten. Die meisten anderen beschränkten sich auf gemeinschaftlich genutzte Bunker, die ausreichen sollen für den Fall eines iranischen oder libanesischen Bombardements oder eines Langstreckenraketenbeschusses aus Gaza.
lehrt Jüdisches Denken am Sapir College in Sderot und ist Autor vieler Sachbücher und Romane. Auf Englisch erschien im Mai sein Spionagethriller „The March Angel“.
Flucht vor der Realität
Das Haus, in dem ich früher in Tel Aviv gewohnt habe, liegt zu weit vom nächsten Schutzraum entfernt, und als Tel Aviv bombardiert wurde, sind alle Bewohner ins Treppenhaus geflüchtet, weil es hieß, dass es dort am sichersten sei. Damals habe ich meine Nachbarn etwas näher kennengelernt. Seit dem Oktober-Massaker haben die Leute kein Vertrauen mehr in diese gemeinschaftlichen Bunker und ins Treppenhaus schon gar nicht. Sie wollen einen geschützten Raum zu Hause.
Nur ergibt das mit Blick auf den 7. Oktober überhaupt keinen Sinn. Denn in den unweit des Gazastreifens gelegenen Ortschaften waren Bunker ausreichend vorhanden, nur boten die vor dem Terrorangriff der Hamas keinen Schutz. In dieser Hinsicht erinnert der 7. Oktober an die Horrorgeschichten von Stephen King, deren Schlussfolgerung ist, dass kein Entkommen möglich ist. Die Menschen halten an der Illusion fest, dass es einen Ausweg gibt, obwohl sie tief im Innern wissen, dass es nur eine Illusion ist.
So ist der Bau der Schutzräume, der viel Geld kostet, kein rationaler Schritt, sondern eine Art Flucht, eine Ablenkung von einer bitteren Erkenntnis. Diese impliziert, dass die Welt von herzlosen Tyrannen regiert wird, dass wir ihnen hilflos ausgeliefert sind und dass es eigentlich keinen großen Unterschied zwischen uns und den Bauern in irgendeinem Dorf in Bayern während des Dreißigjährigen Kriegs gibt.
Doch es gibt ihn. Der Unterschied ist, dass der Bauer im 17. Jahrhundert keine politische Macht hatte. Anstatt sich also gegen die Raketen zu wappnen, die ohnehin jeden Schutzraum zertrümmern, ist die Politik gefragt, die Realität zu ändern und sicherer für die Menschen zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert