Krieg in Äthiopien: Nobelpreisträger kämpft selbst
Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed soll die Hauptstadt verlassen haben und an die Kriegsfront gegen die Tigray-Rebellen gereist sein.
Dass Abiy Ahmed an die Front gegen die „Terroristen“ geht, hatte er selbst bereits am Montagabend angekündigt,. Am Dienstag kursierten Fotos von ihm in Militäruniform. Patriotische äthiopische Kreise verglichen den Friedensnobelpreisträger 2019 umgehend mit Julius Caesar, Alexander dem Großen und früheren äthiopischen Kaisern. Verschiedene Prominente sollen zugesagt haben, seinem Beispiel zu folgen.
Die Rebellen stehen der Regierung propagandistisch nicht nach. Während die Regierungsseite Fotos von Abiy Ahmed an der Front verbreitet, veröffentlichte die TPLF Aufnahmen von Tausenden Kriegsgefangenen, die in Reih und Glied auf einem offenen Feld sitzen, und erinnerte damit an ihre militärische Überlegenheit. Sie ist nach eigenen Angaben „weniger als 136 Meilen“ von Abiy Ahmeds Regierungssitz entfernt, also knapp 200 Kilometer von Addis Abeba.
Unabhängige Beobachter meldeten in den vergangenen Tagen Kämpfe nordöstlich von Debre Sina, dem geografisch höchstgelegenen Ort entlang der Straße, die von Tigrays Hauptstadt Mekelle 800 Kilometer nach Süden bis Addis Abeba führt. Ein TPLF-Durchbruch hier wäre von erheblicher strategischer Bedeutung.
Feldzug geht schneller voran als Vermittlungen
US-Beauftragter Jeffrey Feltman
Abiy Ahmeds Reise an die Front bedeutet zunächst, dass er nicht mehr für politische Gespräche in Addis Abeba zur Verfügung steht. Die Bemühungen der Sonderbeauftragten von USA und Afrikanischer Union, zumindest eine Feuerpause auszuhandeln, erleiden damit zumindest vorerst einen erheblichen Rückschlag.
Die Tigray-Rebellen lehnten zuletzt ein Ende ihres Vormarsches ab unter dem Hinweis, dass im von regierungstreuen Milizen kontrollierten Westen Tigrays Massaker im Gange seien. Äthiopiens Regierung hat ein Nachgeben gegenüber der TPLF immer ausgeschlossen.
Der US-Sonderbeauftragte Jeffrey Feltman erklärte am Dienstag in Washington nach seiner Rückkehr aus Addis Abeba, es habe zwar „beginnende Fortschritte“ in seinen Vermittlungsbemühungen gegeben, aber „die alarmierenden Entwicklungen im Feld kommen schneller voran als diese fragilen Fortschritte“ und „jedes Lager scheint vom eigenen unmittelbar bevorstehenden Sieg überzeugt zu sein“.
In Reaktion auf die neue Entwicklung riefen Frankreich und Deutschland am Dienstagabend ihre Staatsbürger in Äthiopien zum sofortigen Verlassen des Landes auf, am Mittwoch auch Großbritannien. UN-Vertretungen in der äthiopischen Hauptstadt, wo unter anderem die UN-Wirtschaftskommission für Afrika ihren Sitz hat, wollen bis Donnerstag sämtliche Familienangehörige ihres internationalen Personals ausfliegen.
Diese Meldungen ärgern Äthiopiens Regierung: Ausländische Botschaften wollten psychologischen Druck ausüben, aber das Volk solle sich auf das Überleben konzentrieren, sagte der Regierungssprecher. Am Mittwoch wurden vier der sechs Diplomaten der irischen Botschaft aus Äthiopien ausgewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe