Krieg im Osten des Kongo: M23-Rebellen vor den Toren Gomas
Die Aufständischen der M23 drängen Regierungstruppen zurück und stehen am Rand der Provinzhauptstadt Goma. UN-Kampfeinsätze nützten nichts.
GOMA taz | Bernadette Maombi sitzt auf dem Boden und weint leise vor sich hin. „Ich bin müde und habe Hunger“, schluchzt sie und hält sich den Bauch. Die 16-Jährige hockt im Innenhof der UN-Basis in Munigi, am Nordrand von Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo.
Am Morgen hat sie sich hierher zu den UN-Blauhelmen geflüchtet, als die Rebellen der M23 (Bewegung des 23.März) das Flüchtlingslager Kanyarucina in der nahegelegenen Vorstadtsiedlung Kibati angriffen. Monatelang hatten sich in Kibati hochgerüstete Regierungssoldaten und Rebellen gegenübergestanden, die einen zur Verteidigung Gomas, die anderen zum Vormarsch auf die Millionenstadt. Monatelang hatte Maombi hier in ihrem selbst gebauten Zelt aus Bambusstengeln und Bananenblättern gehaust, gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern und weiteren 70.000 Vertriebenen. „Dann regnete es heute Morgen Bomben, und wir sind alle schnell davongelaufen“, sagt sie und reibt sich den Rotz von der Nase. „Meine Mutter und Geschwister habe ich in all dem Chaos verloren.“
Am Donnerstag hatten die Kämpfe zwischen den M23-Rebellen und Kongos Regierungsarmee nach über drei Monaten Waffenstillstand wieder begonnen. Nach einem ersten Rückschlag bewegen sich die Rebellen seit Samstag kontinuierlich auf die Millionenstadt Goma zu. Die Regierungsarmee ist offensichtlich auf der Flucht.
Vorgeschichte: Kern der „Bewegung des 23. März“ (M23) sind kriegserfahrene kongolesische Tutsi-Offiziere. Als der Kongokrieg 1998 bis 2003 endete, blieben sie im Ostkongo, anstatt einer neuen Armee beizutreten. Unter Laurent Nkunda gründeten sie die Rebellengruppe CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes). Anfang 2009 führten Verhandlungen zur Entmachtung Nkundas und zur Integration der CNDP in die Armee, besiegelt mit dem Friedensabkommen vom 23. März 2009. Das sicherte Kongos Präsident Joseph Kabila die Macht vor den Wahlen 2011.
Entstehung: Nach seiner Wiederwahl 2011 brach Kabila mit den CNDP-Kämpfern. Sie desertierten und gründeten die M23, um die Einhaltung des Abkommens von 2009 zu fordern. (D.J.)
Außerhalb der UN-Station, in welcher Maombi mit 250 weiteren Frauen und Kindern Schutz sucht, marschieren an diesem Sonntagmittag bereits die ersten Rebellenkämpfer auf. Es sind Hunderte. Sie sind in bester Laune und besser bewaffnet denn je, mit vielen Runden Munition um die Schultern. Einige lassen sich erschöpft ins Gras am Wegrand fallen. Sie sind fast am Ziel. Vom Hügel aus können sie Goma sehen. „Wir haben noch keinen Befehl, weiter vorzumarschieren“, erklärt der ranghöchste Offizier.
Verwüstetes Flüchtlinglager
Nur wenige Kilometer weiter sieht das Flüchtlingslager Kanyarucina aus wie ein Schlachtfeld. Im Chaos der Flucht haben die Menschen alles stehen und liegen lassen, was sie nicht tragen konnten: Wasserkanister, Kochgeschirr, Decken, Matratzen, Plastiktüten. Wo bis am Tag zuvor noch 70.000 Vertriebene im Elend hausten, stehen jetzt nur noch die Gerüste der improvisierten Unterkünfte – die Plastikplanen haben die Menschen mitgenommen. Alle sind geflohen.
Goma selbst, die sonst so geschäftige Millionenstadt, wirkt wie eine Geisterstadt. Kaum eine zivile Menschenseele ist auf den staubigen Straßen. Die meisten Leute verstecken sich in ihren Häusern. Im Laufe des Sonntags kommen immer mehr Einheiten der flüchtigen Regierungsarmee von der Front in die Innenstadt und verteilen sich. Mit ihren Panzern stehen sie an strategischen Punkten in der Stadt. Aber es ist nicht klar, ob sie kämpfen würden, sollten die Rebellen vormarschieren. Beobachter befürchten vielmehr Plünderungen und Übergriffe in der Nacht: Die jungen Soldaten sind nach ihrer Niederlage schwer frustriert und außerdem führungslos. Alle höheren Offiziere haben sich in die Kleinstadt Sake 30 Kilometer weiter westlich gerettet, zur „Einsatzbesprechung“. Schwere Waffen und Kampfhubschrauber wurden nach Bukavu am südlichen Ufer des Kivusees verlegt. Die lokalen Politiker sollen in die große UN-Basis geflüchtet sein.
Nutzlose UN-Mission
Die UN-Mission im Kongo (Monusco) hatte versichert, die Zivilbevölkerung der Stadt zu beschützen. Doch man sieht nur sehr wenige Blauhelme auf den Straßen. Am Samstag hatten die UN-Truppen noch Kampfhubschraubereinsätze gegen die M23 geflogen. 600 Bomben wurden verschossen, heißt es – alles für nichts. Am Sonntag gab es nur noch einen einzigen Einsatz, als M23-Kämpfer die UN-Basis in Kibati beschossen.
Goma liegt an der Grenze zu Ruanda. Am Grenzübergang in die ruandische Zwillingsstadt Gisenyi stehen Menschen mit Koffern und Reisetaschen in langen Schlangen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Während sich Goma auf eine angstvolle Nacht vorbereitet, wartet die M23, was ihr militärischer Vorstoß ihr politisch einbringt. „Wir wollen nicht weiter nach Goma hinein“, erklärt Rebellensprecher Kazarama der taz draußen an der Front. „Wir bleiben auf unserer Position, vier Kilometer vor Goma. Die eine Million Einwohner von Goma sollen sich beruhigen. Wir haben auch Familie dort, wir wollen nicht den Krieg nach Goma tragen. Wir hoffen, dass die Regierung jetzt einsieht, dass sie mit uns verhandeln muss.“
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