Krieg im Gazastreifen I: Zitternd im Bombenhagel

In den ersten Tagen des Bodenkrieges flüchtet eine Familie vor den Panzern - und kämpft ums Überleben. Manche Palästinenser wollen hingegen zu ihrer Familie nach Gaza.

Ein Palästinenser trauert um Angehörige, die er verloren hat. Bild: reuters

Es ist merkwürdig, einen Krieg aus der sicheren Entfernung von einem Dach in Ägypten zu betrachten. An der Grenze zum Gazastreifen, im ägyptischen Rafah, ist permanent das Surren der israelischen Aufklärungsdrohnen zu hören. Sie filmen jede Bewegung jenseits der Grenze, unterbrochen vom Dröhnen der israelischen Kampfjets und gelegentlichen Explosionen im palästinensischen Teil Rafahs, mit seinen 150.000 Einwohnern.

Fast wirkt das Ganze wie ein unfreiwilliges Freiluftkino für Journalisten, die gezwungen werden, vom Rande des Konflikts zu berichten. Die israelische Armee lässt keinen Berichterstatter in den Gazastreifen. Umgekehrt muss die Bevölkerung auf der palästinensischen Seite das Ganze als Freilichtgefängnis empfinden: eingesperrt, ohne die Möglichkeit, dem Krieg zu entfliehen.

Mit viel Mühe gelingt es, einige von ihnen telefonisch zu erreichen. Saed Naim und seine Familie beispielsweise. Sie leben in Sudaniyeh nordwestlich vor den Toren von Gazastadt, dort, wo ein Teil der israelischen Bodenoffensive vorgestoßen ist. Die erste Nacht nach dem Vorstoß der Israelis verbrachte die siebenköpfige Familie im Keller ihres Hauses. "Die Wände haben die ganze Nacht gezittert", erzählt Saed. "Wir haben die Bombeneinschläge gehört, aber auch Feuergefechte."

Die einzige Informationsquelle war ein Kofferradio, und dort hörte er widersprüchliche und verwirrende Nachrichten über die israelischen Vorstöße und Durchhalteparolen der Hamas. "Wir dachten, dass jeden Moment ein israelischer Panzer vor unser Haus rollt", sagt Saed. Sie hätten versucht zu schlafen. Von den Erwachsenen habe keiner ein Auge zugemacht, nur die beiden Kinder, der zweijährige Sohn Islam und die einjährige Tocher Maha, seien ab und zu eingenickt. Sie wachten aber immer wieder auf, als die Bomben in der Nähe des Hauses eingeschlagen seien. Dann weinten sie, und es war die Aufgabe des Großvaters Muhammad, sie zu beruhigen. "Wir hatten noch wenig Holz, um Feuer und Tee zu machen. Auch nur wenig zu essen. "Das Meiste haben wir den beiden Kindern gegeben", erzählt Saed.

Als sich die Lage am nächsten Morgen kurzzeitig beruhigte, fasste die Familie einen schnellen Entschluss: Sie machte sich eiligst auf den Weg zu Akram, dem Onkel der Familie im nahe gelegenen Beach-Camp-Flüchtlingslager. Dort sei es ruhiger, hieß es. An diesem Morgen sind einige Menschen auf den Straßen zu sehen, in der Hand halten sie einige Plastiktüten und suchen nach einem sichereren Ort. Doch auch Saeds neue Bleibe ist alles andere als sicher.

Vier Zimmer teilt sich die siebenköpfige Familie dort mit der ebenfalls siebenköpfigen Familie des Onkels. Als er von dort anruft, sind erneut Bombeneinschläge im Hintergrund zu hören sowie der Überschallknall von tief fliegenden Kampfjets. "Das sind amerikanische F16 Kampfjets, wenn die tief fliegen, klingt das, als würde eine Rakete heranfliegen", berichtet Saed, der bisher Sachbearbeiter im palästinensischen Gesundheitsministerium war. Erst hätten sie gedacht, das dauere eine Woche mit den Luftangriffen, jetzt gehe das Ganze mit einer israelischen Bodenoffensive in die zweite Woche. "Wann wird das aufhören?", fragt er verzweifelt am Telefon.

Ein Problem sind die knappen Nahrungsmittel und das Brennholz zum Kochen und Heizen in der Nacht. "Wir haben Sesampaste und Reis für drei Wochen", erklärt Saed. Aber das gekaufte trinkbare Wasser wird knapp. Ab morgen müssen sie auf das salzige Wasser aus dem Hahn zurückgreifen, das eigentlich nicht für den menschlichen Konsum gedacht ist. Saeds Frau kocht gerade Nudeln als Ersatz für das nicht vorhandene Brot. Aber das mit dem Kochen wird demnächst ganz vorbei sein. Im alten Haus haben sie im Garten schon alle Feigenbäume gefällt, um Brennholz zu haben. Das ist bereits aufgebraucht.

Er gehöre keiner Partei an, sagt Saed. Aber das hier sei nicht ein Krieg gegen die Hamas, sondern gegen alle Menschen im Gazastreifen, jung und alt. Die Hamas-Regierung ist untergetaucht und habe sich versteckt wie andere Palästinenser. "Wir sind es gewohnt, von allen verlassen zu sein, international, von den Europäern und von den Arabern." Saed macht eine Pause.

Durch den Telefonhörer sind wieder Einschläge zu hören. "Es gibt keine Hoffnung, keine Alternative und keine Lösung, nur ein Wunder kann uns noch retten", meint er. Wie man sich fühlt, wenn man keinen sicheren Ort mehr im Gazastreifen findet und auch keine Möglichkeit hat, als Zivilist dem Kampfgebiet zu entfliehen? Saeds Antwort: "Hier in diesem Haus sterben oder überleben wir - das ist in jedem Fall die letzte Station."

Antar Mahmud Hussein steht am Grenzübergang in Rafah. Er wirkt verloren mit seinen Plastiktüten und seinen Kanistern mit Kochöl. Während niemand den Gazastreifen verlassen kann, versucht der 52-Jährige verzweifelt hereinzukommen. Aber heute ist die Grenze dicht. Israelische Kampfjets haben vor wenigen Stunden den palästinensischen Teil des Grenzübergangs beschossen. Vor zwei Monaten war er mit seiner Frau nach Kairo gereist, damit sie dort an der Wirbelsäule behandelt werden kann. Vor zwei Wochen kehrte sie in den Gazastreifen zurück.

Er blieb noch in Kairo, weil eine andere Verwandte ein Visum erhielt, um dort behandelt zu werden. Jetzt darf Antar nicht mehr zurückkehren. Vor Gram schlafe und esse er nicht, weil er seit vier Tagen keinen Kontakt zu seiner Familie im Gazastreifen hat. Er möchte sehen, was dort los ist, ob sie noch leben? Nach zahlreichen Versuchen gelingt es ihm schließlich, über ein ägyptisches Handy mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen. Als schließlich der Klingelton ertönt und eine bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung hört, beginnt Antar zu zittern. Tränen rinnen über sein Gesicht, als er mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn telefoniert, der von den Bombardements am Bein verletzt wurde. "Wir wollen nichts mehr, als dass du kommst", sagt seine Frau. "Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zu euch zu kommen", antwortet Antar.

Es mag verrückt klingen, dass er während einer israelischen Bodenoffensive verzweifelt versucht, in den Gazastreifen zu kommen. Für Antar Mahmud Hussein, der bei seiner Familie sein will, ist es die perfekte Entscheidung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.