Kreuzfahrtschiffe bei Venedig: Märchenstunde auf Italienisch
Alle reden über das Einfahrverbot der Kreuzfahrtschiffe in die Lagune von Venedig. Dabei ist es eine kosmetische Veränderung und kein echter Wandel.
Das ist lediglich eine kleine kosmetische Veränderung, die an der Zerstörung der Lagune nichts ändert – aber der italienischen Regierung hilft, ihr Gesicht gegenüber der Unesco zu wahren: Die Techniker der Unesco haben sich nicht an dem Hütchenspiel des Kulturministers Franceschini beteiligt, der schon am 1. April die Fake News von der „Vertreibung der Kreuzfahrtmonster“ um die ganze Welt geschickt hat.
Sie machten deutlich, dass es hier um „Venedig und seine Lagune“ geht, weshalb die Unesco fordert: Kreuzfahrtschiffe raus – und zwar nicht einfach raus aus dem Markusbecken, sondern raus aus der Lagune, und zwar ganz.
In ihrer Not griff die italienische Regierung zur Schminke: Ab dem 1. August dürfen nur noch Kreuzfahrtschiffe bis 25.000 Bruttoregistertonnen am Markusplatz vorbeifahren – alle anderen fahren über den Kanal für Erdöltanker ein. Damit hofft die italienische Regierung abzuwenden, dass Venedig auf die Negativliste für gefährdetes Welterbe gesetzt wird – womit sich die Stadt auf dem gleichen Rang wie Timbuktu oder Damaskus befinden würde: Städte in Kriegszonen.
Und ja, es wird Krieg geführt gegen Venedig, und das seit Jahrzehnten. Denn wenn die Kreuzfahrtschiffe über den Kanal für die Erdöltanker einfahren, ändert das nichts an der Zerstörung der Lagune: Jede Durchfahrt eines Tankers, Containerschiffs oder eines Kreuzfahrtschiffs sorgt für einen kleinen Tsunami in der Lagune, weshalb dieser Kanal seit den 1960er Jahren als Killer der Lagune gilt.
Er war es, der zur verheerenden Erosion ihres zentralen Teils geführt und dafür gesorgt hat, dass sich die Lagune in einen Meeresarm verwandeln konnte.
Hoffentlich knickt die Unesco nicht wieder ein
Eine „langfristige Lösung“ für die Kreuzfahrtschiffe sei „dringend erforderlich“, schrieb die Unesco in ihrem Bericht, wobei sie forderte, die Kreuzfahrtschiffe „in geeignetere Häfen in der Umgebung umzuleiten“. Sofort ging ein Aufschrei durch die politischen Reihen in Venedig: Bürgermeister Luigi Brugnaro und Regionalpräsident Luca Zaia befürworten uneingeschränkt das Anlegen der Kreuzfahrtschiffe im Industriehafen von Marghera.
Was bedeuten würde, dass der Kanal für Erdöltanker noch verbreitert und tiefer gegraben werden müsste. Dass dem venezianischen Bürgermeister ein vierzig Hektar großes Areal in Marghera gehört, sich folgerichtig ein gewisser Interessenkonflikt hinter dem Engagement für die Anlegestelle in Marghera verbirgt, findet in Italien vor allem Beachtung, seitdem er vor Kurzem mit „Coraggio Italia“ eine eigene Partei gegründet hat.
Die italienische Regierung betont, dass die Lösung in Marghera „vorübergehend“ sei. Mal abgesehen davon, dass wir hier mit Provisorien eine gewisse Erfahrung haben – das Flutsperrwerk MOSE wird Modulo sperimentale elettromeccanico genannt, experimentelles elektromechanisches Probemodul, das auch nach drei Jahrzehnten noch nicht fertig ist – scheint es doch leicht übertrieben, mal eben 157 Millionen Euro für weitere fünf „vorübergehende“ Anlegestellen in Marghera auszugeben.
Was wir jetzt hoffen, ist, dass die Unesco angesichts des Drucks der italienischen Regierung nicht wieder einknickt, so wie es in der Vergangenheit immer wieder der Fall war. Denn auch mit der von der Regierung verkündeten Absicht, langfristig eine Anlegestelle für die Kreuzfahrtschiffe außerhalb der Lagune zu bauen, wird Haarspalterei betrieben.
Da ist das Projekt des Stahlkonzerns Duferco, das vorschlägt, fünfhundert Meter von der künstlichen Betoninsel der MOSE-Schleuse entfernt ein Kreuzfahrtterminal zu bauen. Es würde dazu führen, weitere 2.300.000 Kubikmeter Lagunengrund auszugraben. Heerscharen von Kreuzfahrttouristen würden per Boot die Lagune durchqueren und ihr damit den Todesstoß versetzen.
Aber das Beste an dem bizarren Dekret der italienischen Regierung ist, dass die Kreuzfahrtmultis und das private Kreuzfahrtterminal nun entschädigt werden sollen, vom italienischen Staat. Was ungefähr so ist, als müsste ein Auftragskiller von seinen Opfern dafür entschädigt werden, dass er seinen Auftragsmord an ihnen nicht ausführen kann.
Petra Reski ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt seit 1991 in Venedig. Dieses Jahr erschien ihr Buch „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ im Droemer Verlag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste