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Kreuzberger Projekt muss rausAlternativ zum Biomarkt

Seit 43 Jahren versorgt die Foodcoop Bergmannstraße ihre Mitglieder mit ökologischen Lebensmitteln. Nun wurden dem Projekt die Räume gekündigt.

Anfangs holten sie Lebensmittel vom Bauern: Tom Albrecht hat die Foodcoop mit gegründet Foto: Christian Mang

Claudia Freier will eben noch ein paar Sachen einkaufen. Sie läuft die Stufen hinunter ins Souterrain der Bergmannstraße 58, holt ein großes Einweckglas aus der Tasche und stellt es auf eine alte Waage. Es ist kühl hier, Freier behält den dunklen Mantel an. Sie hebt den Deckel einer Tonne und schaufelt mit einer metallenen Schippe Reis aus einem Sack in ihr Glas. „Halt, den will ich ja gar nicht.“ Schnell schüttet sie die weißen Körner zurück und öffnet einen anderen Sack. Na also, da ist der Vollkornreis. Freier wiegt das Glas erneut ab, tippt die Zahlen in den Taschenrechner und schreibt schließlich den Preis für den Reis auf ihre Liste.

Freier ist Mitglied der Foodcoop Bergmannstraße. Die Kreuzberger Einkaufsgemeinschaft für Lebensmittel ist die älteste ihrer Art in Berlin, sagt Tom Albrecht, der die Ladenräume an diesem Nachmittag zeigt. Albrecht hat die Foodcoop vor 43 Jahren mitgegründet. „Die Euphorie war damals groß. Wir wollten das Leben in die eigenen Hände nehmen.“ Mitte der 70er Jahre gab es noch keine Bioläden. Albrecht und seine MitstreiterInnen holten sich die Lebensmittel direkt vom Bauern oder ließen sich von ihnen beliefern.

Heute fahren die Mitglieder nur noch selten auf die Höfe. Professionelle Lieferanten laden ihre Bio-Ware im vorderen Raum ab. Der ganz große Anspruch ist einem klar umrissenen Zweck gewichen: Die Mitglieder wollen gesunde ökologische Lebensmitteln beziehen, die zu fairen Bedingungen produziert wurden und möglichst aus der Region kommen. Gemeinsam betreiben sie den nichtöffentlichen Laden, sie sind Käufer und Verkäufer in einem.

Damit ist es wohl bald vorbei: Ende Juli muss die Foodcoop raus aus den Räumen nahe dem Südstern. Der jahrzehntealte Gewerbemietvertrag wurde ihnen gekündigt, sagt Albrecht. Mit den Hauseigentümern, einem Ehepaar, seien sie immer gut klargekommen. Inzwischen habe aber der Sohn die Geschäfte übernommen, seitdem wehe ein anderer Wind. Die Räume sollen saniert und neu vermietet werden.

Die Eigentümer erklärten gegenüber der taz, die Baumaßnahmen seien „zum Erhalt der Bausubstanz notwendig“. Sie wollten das Einkaufsprojekt nicht kaputtmachen, schreiben sie in einer Mail. „Es steht der Foodcoop frei, sich nach den Baumaßnahmen auf die Räumlichkeiten zu bewerben.“ Zur Höhe der Miete nach einer Sanierung wollten sie sich nicht äußern.

Schmerzgrenze bei 600 Euro

Bisher zahlt die Foodcoop für die zwei Räume im Souterrain mit rund 45 Quadratmetern 200 Euro pro Monat. Die Miete sei im Laufe der Jahrzehnte nur wenig erhöht worden, sagt Albrecht. „Wir würden gerne wieder dort einziehen und sind auch bereit, mehr Miete zu bezahlen.“ Allerdings könnten sie den neuen Preis sicherlich nicht stemmen. „Unsere Schmerzgrenze liegt bei 600 Euro, und schon das ist schwierig zu finanzieren“, sagt Albrecht. Die Nachbarn im anderen Souterrain zahlten deutlich mehr.

Nicht nur Kunde zu sein, sondern den Laden auch selbst zu führen, bedeutet Arbeit

Die Foodcoop-Mitglieder suchen deshalb seit vier Wochen nach einem Ausweichquartier, bislang ohne Erfolg. Finden sich keine neuen Räume, droht mit der Foodcoop ein weiteres alternatives Projekt aus Kreuzberg zu verschwinden.

Rund 40 Haushalte machen bei der Einkaufsgemeinschaft mit, insgesamt etwa 70 Personen. An den Holzregalen, zwischen Tomatensaucen und Nudeln, Tee und Wein, sind Fotos von Foodcoop-Mitgliedern gepinnt, die freundlich in den Raum blicken. Jüngere und Ältere, Familien dicht gedrängt vor der Kamera. Auch Albrecht ist auf einem Bild zu sehen, mit längeren Haaren. Als Ingenieur und Umweltbeauftragter der Technischen Universität ist er im Ruhestand, als Künstler arbeitet er weiterhin.

Die Foodcoop funktioniert nur mit Vertrauen, das ist von den Anfängen geblieben. Alle Mitglieder haben einen Schlüssel, sie können Tag und Nacht in den Räumen einkaufen. Jeder trägt selbst ein, wie viel er zahlen muss. Eine gewisse Exklusivität ist die Kehrseite: Nicht jeder darf bei der Foodcoop mitmachen. Mitglied kann man nur werden, wenn jemand aus der Gruppe für einen bürgt.

Ananas als Luxus

Man kennt sich also – und tauscht beim Einkaufen auch mal Rezepte aus, erzählt Albrecht. Was tun mit Pastinaken und Winterkohlrabi? Das Essen soll ja weitgehend aus der Region kommen, und da ist in der kalten Jahreszeit nicht allzu viel zu holen.

„Ein bisschen Luxusware haben wir auch“, sagt Albrecht und zeigt auf die Ananas im Obstfach, 1,80 Euro das Stück. Mandarinen gibt es, Paprika. Einerseits hat die Foodcoop den Anspruch, Produkte aus der Region zu beziehen, andererseits gibt es den Wunsch nach Abwechslung. Darüber wollten sie bei einer Versammlung mal wieder diskutieren. Dann kam die Kündigung dazwischen, nun gibt es Dringlicheres.

Freier kommt ein- oder zweimal pro Woche in der Foodcoop vorbei. An diesem Freitag packt sie noch mehligkochende Kartoffeln ein, eine andere Sorte gibt es zurzeit nicht. Sie wiegt Orangen ab, nimmt Karotten aus einer Schublade, ein Kastenbrot. 18,88 Euro muss sie am Ende von ihrem Guthaben abziehen. „Ich finde es schön, so flexibel zu sein, auch abends um 22 Uhr einkaufen zu können und alles in Ruhe zu machen“, sagt Freier.

Manche Dinge sind in der Foodcoop billiger als im Bioladen, weil die Mitglieder sie direkt zum Einkaufspreis beziehen. Andere seien aber auch teurer, weil der Großhandel ihnen weniger Rabatte gewährt, sagt Albrecht.

Bio-Lebensmittel an jeder Ecke

Nicht nur Kunde zu sein, sondern den Laden auch selbst zu führen, bedeutet Arbeit: Alle Mitglieder bekommen einen Job zugeteilt. Die einen bestellen die Lebensmittel, andere sortieren sie ein und schreiben Preise darauf, wieder andere kümmern sich um Abrechnung und Finanzen. Im vorderen Raum steht das Putzzeug bereit, neben einer Kiste mit angeliefertem Rosenkohl. Ein paar Stunden pro Monat wende er normalerweise für die Foodcoop auf, sagt Albrecht. Zurzeit ist es mehr, wegen der Kündigung.

Bisher zahlen die Mitglieder einen Beitrag von fünf Euro pro Monat. Wenn sie anderswo eine höhere Miete aufbringen müssen, steigt der Beitrag, sagt Albrecht. Die Frage ist auch, wie viele Mitglieder überhaupt dabei blieben, wenn die Foodcoop weiter weg in einem anderen Viertel unterkommen sollte. Die Mitglieder suchen inzwischen in ganz Kreuzberg, in Nord-Neukölln, auch im Schillerkiez. Freier sagt, für sie wäre eine größere Entfernung schon ein Problem.

Anders als vor 40 Jahren gibt es in Kreuzberg inzwischen an jeder Ecke Bioprodukte zu kaufen. An die Lebensmittel kämen Freier, Albrecht und die anderen auch ohne die Foodcoop. Aber das selbst verwaltete nachbarschaftliche Projekt, das kann ein Supermarkt nicht ersetzen.

Die Initiative freut sich über Hinweise (1 bis 2 Räume, mindestens 30 qm, Zugang möglichst ebenerdig) unter kontakt@tomalbrechtart.de

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3 Kommentare

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  • Wenn jeder Berliner sich diesen Luxus gönnen würde, wären wir bei insgesamt 2,25 Millionen (bei 45 Quadratmetern für 70 Leute) Quadratmeter Ladenfläche. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.

    • @zzzap:

      Und wenn jeder einen Hund hätte, wäre Berlin bald zugeschissen.



      "Wenn jeder" ist das lahmste und bequemste Argument von allen. "Wenn jeder" führt zu nix als Uniformität und Ideenlosigkeit. Und wenn sich eine gute Idee wie diese Food coop über 40 Jahre hält und dann am schnöden Mammon scheitert, ist das bedauerlich. Als ehemaliges Mitglied drücke ich feste die Daumen, dass neue Räume gefunden werden können.

    • @zzzap:

      Geil gerechnet. Kannst ja auch gleich mal ausrechnen, wieviel Ladenfläche Autohäuser für Luxuskarossen in Snapruch nehmen. Oder Spielhallen, denn immerhin gibt es diverse Geschäfte, die gar keinen gesellschaftlichen Mehrwert haben.



      Vielleicht beim nächsten Mal erst nachdenken und dann schreiben, nicht nur rechnen.