Kretschmer, AfD und Rechtsterrorismus: Die Irren und Gleichgültigen sind wir selbst
Ein Blick nach Sachsen genügt, um sich deutsche Arroganz wegen der Wahl Trumps zum US-Präsidenten abzuschminken. Dort wird mit Rechten gekuschelt.
E s gibt Tage, da trage ich die Gespräche fremder Menschen stundenlang mit mir herum. Ich schnappe ihre Gesprächsfetzen im Vorbeigehen auf und rätsele, worüber das Paar in der U-Bahn oder die Jungs im Café wohl gesprochen haben. In diesen Tagen gibt es wenig zu rätseln. Worüber die Menschen sprechen, ist auch ohne Kontext nicht schwer zu erraten.
„Die sind doch im Fiebertraum da drüben auf der anderen Seite“, höre ich am Mittwoch Vormittag im Wartezimmer meiner Hausärztin einen hustenden Rentner zu seiner Nebensitzerin sagen. Im Späti vor mir sagt eine Frau beim Tabakkaufen: „Selbst schuld, wenn sie freiwillig so einen Horrorclown wählen.“ Und an einer roten Ampel sagt ein Radfahrer resigniert zum anderen: „Ich glaub, das war’s mit der Demokratie.“ An Donald Trump kommt man auch im deutschen Alltag gerade nicht vorbei. Nicht einmal die dramatische Trennung zwischen Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner kommt dagegen an.
Aus den Sprachfetzen höre ich vor allem eines: Entsetzen. Auch wenn alle wussten, dass es wieder passieren kann, scheinen die meisten schockiert, dass in den USA erneut ein verurteilter Sexualstraftäter, Verschwörungserzähler und Rassist zum Präsident gewählt wurde. Auch mich schockiert es. Doch neben dem Entsetzen klingt in den Gesprächen noch etwas anderes mit: etwas moralisch Überlegenes. Als seien Faschismus und rechte Ideologien ein Problem der Amerikaner*innen, mit denen wir liberale Europäer*innen nichts zu tun hätten. Als könnte so etwas bei uns nicht passieren.
Und ja, noch ist so einer wie Trump nicht Chef dieses Landes. Doch die moralische Überlegenheit steht uns nicht gut. Denn stehen wir in Europa wirklich so viel besser da mit Kickl, Le Pen, Meloni und Orbán?
Gefährliches Grundrauschen
Um zu sehen, wie weit die Rechten vorgerückt sind, braucht es keinen Blick in die Nachbarländer. Auch hierzulande sind sie längst da. Das haben spätestens die ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr gezeigt. Und sie sind gekommen, um zu bleiben. Nur scheint das kaum jemanden mehr zu schockieren. Der große Protest ist zumindest bislang ausgeblieben. Und die Spielchen der Kameraden inner- und außerhalb der Parlamente sind längst zu einem gefährlichen Grundrauschen geworden.
Nur so ist es erklären, wie es eine Randnotiz bleiben konnte, dass sich Sachsens amtierender Ministerpräsident Michael Kretschmer diese Woche mit AfD-Chef Jörg Urban zum Gespräch getroffen hat. Und das mitten in einer schwierigen Sondierungszeit. Worüber die beiden gesprochen haben, wollen sie nicht näher erläutern. Solche Gespräche im Hinterzimmer mit dem Vorsitzenden einer Partei, die der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft, sollten uns beruhigen.
Und noch viel mehr, dass am gleichen Tag acht Neonazis bei Razzien in Sachsen festgenommen wurden. Es sind mutmaßliche Rechtsterroristen, die eine Gesellschaft nach nationalsozialistischem Vorbild errichten wollen: mit einem eigenen Staatsgebiet in Ostdeutschland, der „Ausrottung“ von jüdischen und migrantischen Menschen – und auch von einem „Holocaust“ sollen sie fantasiert haben. Teile der „Sächsischen Separatisten“ sind AfD-Politiker, andere posierten auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative mit dem Faschisten Björn Höcke.
Nun könnte man hoffen, dass in einer normalen Woche ohne Trump und Ampelcrash diese Nachrichten stärker durchgedrungen wären. Doch selbst dann ist es unwahrscheinlich, dass die Gespräche auf den Straßen, in den Cafés und in den U-Bahnen durch die Angst und den Kampf gegen Rechte und Faschisten bestimmt wären. Denn die scheinen uns vor allem dann zu interessieren, wenn sie ganz weit weg sind. Da drüben bei den Irren auf der anderen Seite des Atlantiks.
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