Unklare CSU-Stellung zur Integrationsdebatte: Ein Wulff unter Schafen
Die Kritik an der Integrationsrede des Bundespräsidenten zeigt die Furcht der CSU vor Bedeutungsschwund - und Ratlosigkeit darüber, was heute als konservativ gelten soll.
Die Empörung brauchte ein paar Tage. Nachdem Christian Wulff am vergangenen Sonntag seine Einheitsrede zur Integration gehalten hatte, plätscherte zunächst der erwartete Regen lauwarmer Zustimmung.
Wulffs Worte erschienen den meisten Beobachtern so kantenlos wie der Redner selbst. Doch seither hat sich etwas verändert. Die Bild-Zeitung und die CSU geißeln den Präsidenten für seine Sätze zur Integration. Die Gründe hierfür haben wenig mit Wulff zu tun und umso mehr mit den Kritikern selbst.
Was hat das neue Staatsoberhaupt in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Einheit eigentlich gesagt? Die umstrittenen Sätze lauten: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Dies lässt sich als Akzeptieren einer Tatsache verstehen. Immerhin leben hierzulande mehr als 3,5 Millionen Muslime. Es ließe sich auch darauf hinweisen, dass der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon 2006 in einer Regierungserklärung zum Beginn der ersten Islamkonferenz sagte: "Der Islam ist Teil Deutschlands, er ist Teil unserer Gegenwart und Teil unserer Zukunft."
Wer will, kann Wulffs Auflistung aber auch als Anlass nehmen, sich in seinem oder ihrem Selbstverständnis bedroht zu fühlen. Führende CSU-Politiker haben sich dafür entschieden - oder tun zumindest so, als ob. Dass Wulffs Kritiker ihrer Kritik selbst nicht trauen, offenbart die verquaste Formulierung des CSU-Bundestagsabgeordneten Norbert Geis: "Wenn der Bundespräsident den Islam in Deutschland mit dem Christentum und dem Judentum gleichsetzen wollte, hielte ich das für falsch."
Die Bild-Zeitung unterstellte Wulff am Mittwoch auf ihrer Seite 1 in Frageform: "Warum hofieren Sie den Islam so, Herr Präsident?" Und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, behauptet gar: "Um das klar zu sagen: Die Leitkultur in Deutschland ist die christlich-jüdisch-abendländische Kultur. Sie ist nicht die islamische und wird es auch nicht in Zukunft sein."
In zweieinhalb Sätzen wirft Friedrich so ziemlich alles zusammen, was nicht zusammen gehört. Zugleich zeigen sie besonders augenfällig das Dilemma der sogenannten Konservativen.
Konservativ sein, das heißt nach gängigem Verständnis Respekt zeigen für das Überkommene, für Formen und gewachsene Institutionen, auch die des Staates. Der formal oberste Repräsentant dieses Staates ist der Bundespräsident.
Eben diesen Respekt für Amt und Amtsinhaber lassen jene, die mit seiner Rede hadern, vermissen. Nicht weil sie das Staatsoberhaupt kritisieren, sondern weil sie sich nicht die Mühe machen, ihre Kritik inhaltlich schlüssig zu begründen.
Das ist der Kern des Dilemmas der sogenannten Konservativen: Sie wissen nicht, wofür sie eigentlich stehen wollen. Ihnen bleibt als einigendes Element nur die Abwehr gegen eine tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung. Dahinter stecken tief sitzende Ängste vor Unübersichtlichkeit, Identitätsverlust und Fremdbestimmung.
Sie begleiten die Entwicklung Deutschlands seit der Französischen und der Industriellen Revolution, als Jahrhunderte währende Traditionen binnen einer Generation ins Wanken gerieten oder zerfielen. Diese Erschütterung setzt sich bis heute fort und wird nicht enden.
Die CSU hofft erneut, aus dieser Gemengelage Profit zu schlagen. Doch absolute Mehrheiten wird sie damit nicht mehr erringen. Immer mehr Menschen haben eine Einsicht verinnerlicht, die Wulff in seiner Rede so formulierte: "Das Land muss Verschiedenheit aushalten."
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