Kretschmann über Grüne im Wahljahr: „Ich bin an Lösungen interessiert“
Schaffen es die Grünen aus ihrer bundespolitischen Irrelevanz? Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann im Gespräch.
taz.am wochenende: Herr Ministerpräsident Kretschmann, in Schleswig-Holstein waren die Grünen ein Wahlsieger mit strammen 12,9 Prozent, in Nordrhein-Westfalen wurden sie mit 6,4 halbiert und abgewählt. Was heißt das für die Bundestagswahl?
Winfried Kretschmann: Ergebnisse aus Landeswahlen sind noch kein Trend, den man auf den Bund hochrechnen kann. Man muss aber leider sagen, dass wir in den Umfragen bundesweit nicht im Trend von Schleswig-Holstein liegen. Wir müssen uns also fragen, was in NRW schiefgelaufen ist.
Und zwar?
Wichtigste Konsequenz: Man darf Radikalität nicht mit Relevanz verwechseln. Wir müssen relevant sein.
Also Schleswig-Holstein relevant, NRW nicht relevant?
Nur wenn wir zeigen, dass wir relevant sind, kommen wir im Bund aus dem Keller raus. Wenn man aber kurz vor der Wahl in NRW Optionen ohne Not ausschließt, heimlich auf Rot-Rot-Grün hofft und die SPD-Ministerpräsidentin Kraft einem das dann auch noch wegkegelt, dann bleibt einem nur noch zu sagen: Wir werden’ne tolle Opposition machen. Und das ist nicht so attraktiv für den Wähler.
Ohne Not? Die Grünen waren in höchster Not.
Sie haben in höchster Not ohne Not genau das Falsche gemacht. Wenn der Landesverband ankündigt, man werde ganz rigoros nicht mehr nach Afghanistan abschieben, und ein Moratorium von der Landesregierung verlangt, dann aber drei Tage später sieben von vierzehn der Abgeschobenen aus Nordrhein-Westfalen stammen, dann ist die Botschaft: Wir haben bei diesem Thema nix zu melden. Das ist das Gegenteil von Relevanz.
Jahrgang 1948, ist grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er regiert seit 2011, zunächst mit der SPD, seit 2016 mit der CDU als Junior, die von den Grünen mit 30,3 Prozent als führende Volkspartei abgelöst wurde.
Sie haben den NRW-Grünen gerade „gesinnungsethischen, idealistischen Überschuss“ attestiert. Sollten sich die Grünen denn nicht mehr um Fragen wie Asyl und Abschiebung kümmern?
Darum geht es nicht. Wir sollten keine Themen ins Zentrum stellen, bei denen wir als Regierung in den Ländern keinen Einfluss haben, selbst wenn sie richtig sind. Die Beurteilung, ob nach Afghanistan abgeschoben werden kann, fällt in die Kompetenz des Außenministeriums. Der SPD-Außenminister kommt auch nach mehrfacher Nachfrage meinerseits zum Schluss, dass das vertretbar ist. Das muss ich dann akzeptieren. Die Verantwortung liegt bei ihm. Der öffentliche Raum ist begrenzt, und wenn wir ihn mit solchen Themen füllen, die wir nicht entscheiden können, dann schließen wir ihn damit für unsere Kernkompetenz Klima und Umwelt.
Die gesellschaftsdominierenden Probleme derzeit sind konservative Probleme, speziell Sicherheit. Da wird klassisch konservativen Parteien mehr zugetraut.
Winfried Kretschmann
Wenn es Terroranschläge gibt und vermehrt Wohnungseinbrüche, dann dominiert dieses Thema, das ist klar. Nun liegt es ein bisschen in den Genen der Grünen, dass wir denken, für Sicherheit sind eher andere Parteien zuständig – wir passen auf, dass Freiheit und Bürgerrechte nicht aufgegeben werden. Dadurch entsteht der Eindruck, wir hätten immer nur Bedenken. Die Spitzenkandidaten machen das richtig: Sie nehmen die Kernthemen der politischen Diskussion an.
Was ist die Lösung, wenn die Leute andere Probleme als die Grünen haben? Grüne Positionen ganz räumen?
Nein, grüne Themen weiterentwickeln, aktuelle Debatten im Blick behalten und damit anschlussfähig bleiben. Beispiel: Wir haben Transformationsprozesse in der Automobilindustrie vor uns, es geht um das Thema vernetzte Mobilität. Vernetzung ist übrigens ein urgrüner Begriff …
… der aber offenbar in der Partei selbst nicht praktiziert wird …
Da tut sich eine Revolution auf, eine kluge Vernetzung und emissionsfreier Verkehr ist möglich. Zero Emission, Connectivity und Sharing-Economy, das haben wir Grünen doch immer gepredigt. Jetzt können wir da wirklich etwas erreichen, es geht massiv los. Das meine ich damit, wenn ich sage, wir müssen unsere Themen anschlussfähig machen und nicht immer das erzählen, was wir schon immer erzählt haben, also dass wir für den ÖPNV sind. Wir können da eine zentrale Rolle spielen. Der Autogipfel der Bundesgrünen war da eine wichtige Initiative.
Die Bundestagswahl ist nur noch vier Monate entfernt.
Man kann vor Wahlen nicht groß sein Profil ändern, das gelingt nicht. Aber das Profil, das wir haben, auf die Höhe der Zeit bringen, das können wir noch schaffen. Daran arbeiten unsere Spitzenkandidaten, mit denen ich mich auch regelmäßig austausche.
Stimmt das Gerücht, dass Sie sich nur begrenzt in den Wahlkampf einbringen, um nicht mitverantwortlich für ein schlechtes Ergebnis zu sein, oder gehen Sie mit voller Power rein?
Das Gerücht ist falsch. Ich würde sagen, ich gehe mit Power in den Wahlkampf. Aber ich muss ja auch noch regieren. Das darf nicht darunter leiden.
Die Ergebnisse der Grünen bei den letzten 12 Wahlen
2017 Nordrhein-Westfalen 6,4 (–4,9)
2017 Schleswig-Holstein 12,9 (–0,3)
2017 Saarland 4,0 (–1,0)
2016 Berlin 15,2 (–2,4)
2016: Mecklenburg-Vorpommern 4,8 (–3,9)
2016: Rheinland-Pfalz 5,3 (−10,1)
2016: Baden-Württemberg 30,3 (+6,1)
2016: Sachsen-Anhalt 5,2 (–2,0)
2015 Bremen 15,1 (−7,3)
2015 Hamburg 12,3 (+1,1)
2014 Europawahl 10,7 (–1,4)
2013 Bundestagswahl 2013: 8,4 (–2,3)
Was antworten Sie auf die gern gestellte Frage: Wozu noch Grün?
Weil der Klimawandel massiv voranschreitet und wir zeigen, dass Ökologie und Ökonomie sich vertragen und befruchten, weil wir unsere weltoffene und liberale Gesellschaft weiter leben wollen, weil wir für Europa stehen und unser Europa weiterentwickeln wollen. Die Strategie der baden-württembergischen Grünen ist es, aus der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte der Wirtschaft die Änderungsprozesse voranzutreiben, heute würde man sagen, die Akteure darauf zu committen. Und nicht mehr zu glauben, man könnte die Minderheiten von Rand her sammeln und sozusagen die Gesellschaft einkreisen. Das hat meiner Erfahrung nach nie so richtig funktioniert, jetzt funktioniert es mit Sicherheit nicht mehr. Das heißt, unsere Themen sind interessant, wir müssen sie nur in der Mitte der Gesellschaft zur Sprache bringen.
Andere Teile der Grünen leiden wie Hunde an Kretschmanns Regieren aus der Mitte, weil sie das als Gegenteil von grün empfinden.
Das ist das Problem in diesen modernen Zeiten, der Unterschied zwischen Gefühl und Realität. Ich habe die Grünen in Baden-Württemberg zur neuen Wirtschaftspartei gemacht und das ist sehr ernst gemeint. Ich versuche das mal im Vergleich mit der FDP zu erklären. Die FDP sagt ganz unspezifisch: Wachstum ist gut! Was da wächst, ist denen wurscht. Wir haben wie keine andere Partei ein Interesse daran, was materiell in der Wirtschaft passiert. Wir wollen, dass Windräder gebaut werden und nicht Atomkraftwerke. Und ich persönlich will nicht, dass Heroinfabriken hier gebaut werden, auch wenn die was zum Bruttoinlandsprodukt beitragen könnten. Wenn man darüber nachdenkt, dann ist jedem klar: Unsere Politik ist grün bewegt. Das sollte die linken Freunde in der Partei mal nicht so irritieren.
Die würden sich mehr klare Ansagen, manchmal auch mehr Verbote wünschen.
Das ist nicht so einfach mit den Verboten, das haben wir jetzt beim Fahrverbot in Stuttgart gemerkt. Wir Grüne denken an diese Ökosachen, und die Leute haben vor zwei Jahren ein neues Auto gekauft und zehn Jahre dafür gespart. Das ist für die ein Vertrauensbruch, wenn ich ein Auto erlaube und zwei Jahre später die Erlaubnis widerrufe. Das habe ich unterschätzt.
Also brummen die Diesel weiter.
Nein, aber immerhin hat erst die Ankündigung von Fahrverboten dazu geführt, dass nun doch eine Nachrüstung von Euro-5-Dieseln möglich erscheint. Ich bin als Ministerpräsident für diese Menschen mitverantwortlich. Wir wollen sie nicht verprellen, wir wollen sie aus Überzeugung mitnehmen. Was meinen Sie denn, wie man anders auf 30 Prozent kommt?
Für die leidenden Kretschmann-Kritiker ist das keine Gewinn-, sondern eine Identitätsfrage.
Man kann selbstverständlich sagen: Lieber 6 Prozent bekommen als so eine Politik wie Kretschmann machen. Okay. Dann kann man halt versuchen, aus der Opposition ein bisschen was zu machen. Aber erst wenn man stark ist und regiert, kann man richtig was bewegen.
Jetzt werben Sie sogar vehementer für Dieselfahrzeuge als die Autoindustrie. Was ist daran grün?
Ich bin an Lösungen interessiert. Ich habe wochenlang den sauberen Diesel landauf, landab promotet, weil es ihn tatsächlich gibt. Wir brauchen ihn als Übergangstechnik. Wir wollen die emissionsfreie Mobilität, aber bei solchen einschneidenden Veränderungen sind Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Gefahr. Die Digitalfotografie hat Kodak und andere Filmproduzenten weggefegt. Die Wertschöpfungskette bei Elektroantrieb beträgt vielleicht ein Sechstel des Verbrennungsmotors. Wir müssen darauf achten, dass das, was wegfällt, an anderer Stelle wieder dazukommt.
Diesen Übergang wollen Sie gemeinsam mit der Autoindustrie gestalten?
Wir haben in dieser Woche einen langfristigen strategischen Dialog begonnen, um zu klären: Wie schaffen wir es, möglichst schnell die Klimaziele von Paris zu erreichen, ohne dass es zu Verwerfungen bei Arbeitsplätzen kommt? Denn das führt immer auch zu politischen Verwerfungen. Und wenn das passiert, rückt sofort das Klimathema in den Hintergrund. Wir werden also beim Auto noch länger mit verschiedenen Antrieben fahren und da ist der Diesel wichtig, weil er einfach weniger CO2 emittiert als der Benziner.
War es demnach eine politische Entscheidung, dass Sie sich gerade privat einen neuen Diesel gekauft haben?
Von ihrem Frühjahrshoch ist die SPD unter Martin Schulz schnell wieder abgestürzt. Alles schien möglich. Und nun? Eine Vorwahlanalyse lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Mai. Außerdem: Der FC Bayern München hat jetzt einen eigenen TV-Sender und schottet sich gegenüber Journalisten ab. Und: Inga Humpe, die Königin der Club-Kultur, im Gespräch über Nichtwähler und freie Liebe. Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Nein, ich mache auch privat, was ich für richtig halte. Ich wohne auf dem Land, meine Frau muss weit zum Enkel fahren, ich habe auch einen Anhänger. Neulich habe ich für meinen Enkel eine Tonne Sand geholt: Da brauche ich einfach ein gescheit’s Auto.
Neulich haben Sie mit dem früheren Fraktionschef und Kretschmann-Kritiker Jürgen Trittin Kaffee getrunken. War das nett?
Nett? Das war nicht die Absicht des Gesprächs. Es war ein gutes, produktives Gespräch, ich habe ja vor Trittin Respekt. Er ist kompetent und fleißig, aber in der Grundausrichtung haben wir schon erhebliche Differenzen.
Was war das Ziel des Gesprächs, ein Bundesparteitag ohne Verliererthemen?
Eine Partei muss geschlossen in den Wahlkampf gehen, wir können uns da ja nicht offen bekämpfen. Es ging auch darum, sich auf die Kernthemen zu einigen, und da lagen wir nicht so weit auseinander.
Sind die Grünen einfach zu schlecht darin, aus ihren zwei Flügeln eine Stärke zu produzieren?
Zurzeit schon.
War das schon mal besser?
Ja. Das verlief immer in Wellen. Um das schätzen zu lernen, muss man die Grünen in anderen Ländern anschauen, etwa in der Schweiz, wo sie sich gespalten haben in liberale Grüne und in linke Grüne. Das haut nicht hin. Man hat zu viel Überschneidungen im Kerngebiet, dann kommen die Differenzen dazu, das ist ganz schwer kommunizierbar.
Klingt wie eine Analyse der deutschen Lage. Sind die Grünen liberal oder links?
Die Frage ist immer, wer sich durchsetzt. Ich bin da kein Dogmatiker, aber wo haben wir denn eigentlich zuletzt gewonnen außer in Baden-Württemberg?
Gerade spektakulär in Schleswig-Holstein.
Das stimmt. Wenn auch nicht mathematisch.
Robert Habecks Sprachregelung lautet: 12,9 Prozent sind in Anbetracht von 7 bis 8 Prozent der Bundespartei nicht minus 0,3, sondern gefühlte 18 Prozent.
Das sehe ich ganz genauso. Für die Bedingungen war das ein Superergebnis. Wenn man mir zeigt, dass man auch mit einer linken Politik in einem Bundesland gewinnt, dann okay. Es mag solche Situationen geben, wo das passt, aber ich sehe sie derzeit nicht.
Was ist in Schleswig-Holstein richtig gelaufen?
Unsere Grünen dort haben mit Monika Heinold und Robert Habeck sehr gute Frontleute, die zum Land passen. Und sie betreiben eine Politik, die auf die Menschen zugeht und sie mitnimmt.
Die beiden Sieger der letzten Wahlen sind der Grüne Habeck und FDP-Chef Christian Lindner, die jenseits der Volksparteien als zentrale Politiker ihres Landes gewählt wurden. Was sagt Ihnen das?
Ich sehe da eine gewisse Verwandtschaft, wie Robert Habeck einen sehr ernsthaften grünen Wahlkampf gemacht hat; mit dem Anspruch, Orientierungs- und nicht Korrekturpartei zu sein. Darüber hinaus ist er natürlich eine Persönlichkeit, wie sich jede Mutti ihren Schwiegersohn wünscht.
Und Christian Lindner, ist das nicht interessant, was der da gerade macht?
Absolut. Und wir Grüne lassen dem zu viel Räume.
Wo?
Liberalität kann nicht bei der Wirtschaft haltmachen. Der Bereich gehört einfach dazu. Ich spreche nicht von Marktradikalismus, ich bin ein scharfer Gegner davon. Aber im Bereich Wirtschaft lassen wir ihm einfach zu viel Räume. Ich habe fünf Jahre mit den Sozialdemokraten regiert. Man kann mit ihnen sehr viele Dinge hinbekommen, aber manche auch nicht. Zum Beispiel hat der Sozialdemokrat überhaupt kein Gespür, was Bürokratisierung für ein Problem für Unternehmen oder Leute sein kann. In dieser Beziehung kriegst du mit den Sozis nichts hin.
Lindner machte Wahlkampf gegen angeblichen Bürokratisierungswahn.
Ist doch klar. Deshalb sage ich ja: Dieses Feld des Bürokratisierungsproblems darf man nicht einfach Lindner überlassen. Oder Start-ups. Wenn man sich die Umfragen anschaut, dann sieht man, damit punktet Lindner ohne Ende. Ich bin nun wahrlich kein Digital Native, aber diesen Raum haben wir in Baden-Württemberg besetzt. Wir kümmern uns um die Start-ups, und da ist für uns richtig Musik drin, denn jede fünfte Geschäftsidee ist grün angehaucht. Es geht darum, uns anschlussfähig zu machen für das, was stattfindet. Das macht Lindner auch. Respekt. Das hat er einfach gecheckt.
Und er hat die FDP in der Flüchtlingspolitik gegen Kanzlerin Merkel positioniert.
Ja, das ist klar, das macht mein FDP-Fraktionsvorsitzender hier im Land auch. Da ist die FDP total auf CSU-Linie.
Emmanuel Macron hat einen Wahlkampf für eine liberale Gesellschaft und eine liberale Wirtschaft geführt und ist jetzt französischer Präsident. Gute Wahl?
Ja. Mit Van der Bellen, den Niederlanden und nun Macron haben wir den Aufstieg des Rechtspopulismus mal geknickt, aber wir sind noch nicht überm Berg.
Was ist wichtig an Macron?
Er hat den Mut gehabt, die offene Gesellschaft zum Kernthema zu machen, er hat einen richtig prononcierten Pro-Europa-Wahlkampf geführt und er versucht, überfällige Reformen zu machen, wie wir mit der Agenda 2010, um Frankreich anschlussfähig zu machen im internationalen Wettbewerb. Die Kombination macht es bei Macron. Und diese Kombination pflegen wir auch: wettbewerbsfähige Wirtschaft kombiniert mit offener Gesellschaft und Europa.
Macron ist nach Ihnen der zweite Fall, in dem eine neue und experimentelle Mehrheit die Dominanz der beiden Volksparteien geknackt hat. In der Bundespolitik ist das ausgeschlossen für die nächsten hundert Jahre?
Für die nächsten hundert Jahre mache ich sicher keine Prognosen.
Warum geht das im Bund nicht?
Also, bitte: Die Bundeskanzlerin hat dafür gesorgt. Sie macht die offenste, humanste und liberalste Flüchtlingspolitik der Welt. Grüner geht’s doch gar nicht.
Wenn Sie die CDU so toll finden, bleibt ja für die Grünen kein gesellschaftspolitischer Spielraum mehr.
Langsam, ich rede nicht von der CDU, ich rede von der Bundeskanzlerin. Sie hat ihre Flüchtlingspolitik gegen enorme Widerstände gemacht, danach musste sie dem Widerstand in der eigenen Partei und der CSU auch etwas Raum geben. Darum verstehe ich Impulse aus Teilen meiner Partei nicht, sich immer noch an die SPD zu hängen. Aus welchem Grund denn? Ich plädiere für Offenheit und bin da, glaube ich, einig mit meinen Spitzenkandidaten.
Der Grund ist Tradition und das Gefühl, SPD ist irgendwie links?
Unsere Wählerschaft ist cum grano salis sicher mehrheitlich mehr für Rot-Grün, aber die Bundeskanzlerin ist doch bei unseren Wählern beliebter als bei ihren eigenen. Da bricht etwas auf, dadurch wird es komplizierter, aber auch interessanter und spannender. Da kann man nicht mit den alten Anti-CDU-Reflexen kommen, das ist jetzt ein gebrochenes Bild.
Was Ihre Kandidaten angeht, haben vor der Urwahl viele gesagt, Cem Özdemir sei der Richtige. Seit er gewählt ist, sagen viele, Habeck wäre der Richtige gewesen. Wie sehen Sie ’s?
Das ist keine besonders sinnhafte Debatte. Die Urwahl hat stattgefunden. Wenn man so etwas nach dem tagespolitischen Thermometer machen will, muss man auf Urwahlen verzichten. Warum ist Schulz hoch wie eine Rakete und abgestürzt wie eine Rakete, was hat sich grundlegend geändert? Wir leben heute sehr stark von Stimmungen, aber ich bitte Sie: Cem Özdemir hat sich super entwickelt in den letzten Jahren. Sollen wir den jetzt fallen lassen, nur weil Habeck ein gutes Wahlergebnis hat? Wo kommen wir denn da hin? So geht es nicht.
Özdemir hat zuletzt das Thema Bienen besetzt. Das klingt weder nach Kretschmann noch nach Macron. Ist das ein Gewinnerthema?
Jetzt geht aber der Großstädter mit Ihnen durch. Das Insektensterben ist ein manifestes Problem. Die Insekten stehen am Grund des Ökosystems. Bei manchen Vogelarten hat sich der Bestand aufgrund des enormen Rückgangs von Insekten in den letzten Jahrzehnten um 80 Prozent reduziert. Ohne Bienen wird die Bestäubung von Blüten radikal beeinträchtigt – Ernten würden ausfallen. Auch hier gilt: die Natur braucht uns nicht – aber wir brauchen sie!
Joschka Fischer sagt auf die Frage, wie die Grünen wieder vorankommen könnten: Es gebe ein klares Erfolgsmodell, es heiße Kretschmann.
Das muss ich ja jetzt nicht kommentieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen