Kreislaufwirtschaft kommt nicht in Gang: Zu wenig wird wiederverwertet
Rohstoffe noch mal verwenden? Produkte recyceln? Das ist die Ausnahme, zeigt ein aktueller Report. Andere Länder sind schon weiter als Deutschland.
![Ein Bagger transportiert Elektroschrott auf einem Recyclinghof Ein Bagger transportiert Elektroschrott auf einem Recyclinghof](https://taz.de/picture/6046764/14/31959211-1.jpeg)
Die Zahl ist das zentrale Ergebnis des Circularity Gap Report, den in der vergangenen Woche die niederländische Organisation Circle Economy in Kooperation mit der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte herausgegeben hat. Es ist der sechste Report in Folge – und im Vergleich zur ersten Ausgabe ist der Anteil der Kreislaufwirtschaft weiter zurückgegangen: Lag er im Jahr 2018 bei 9,1 Prozent, waren es 2020 8,6 Prozent. Und nun 7,2 Prozent. Der Vergleich dieser Zahlen ist zwar schwierig, auch weil die Berechnungsmethoden nicht immer zu hundert Prozent identisch sind.
Die Basis sind Modellierungen, die vor allem auf Zahlen der Statistikbehörden und aus wissenschaftlichen Studien stammen. Dennoch kommt der Report zu dem Schluss: „Wir stellen fest, dass die Kreislaufwirtschaft zurückgeht, während global der Anteil der Materialien, die neu entnommen werden, steigt.“
Das ist fatal. „Die Kreislaufwirtschaft ist der Schlüssel, um Klimakrise und Verlust der Artenvielfalt gleichzeitig einzudämmen. Deswegen ist es erschreckend, wie groß die weltweite Lücke zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft ist“, sagt Rebecca Tauer. Sie ist Programmleiterin Kreislaufwirtschaft beim WWF Deutschland und hat an dem Report mitgewirkt. Nur: Woran liegt es, dass der Anteil immer weiter sinkt?
Umsetzung fehlt
Die Antwort hat viele Facetten. Das übergeordnete Problem fasst Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die nicht an dem Report beteiligt ist, so zusammen: „Wir recyceln nicht so viel, wie wir an neuen Ressourcen aus dem Boden holen.“ Und: Zwar werde mittlerweile mehr über Kreislaufwirtschaft gesprochen als noch vor einigen Jahren. „Aber wir müssen endlich in die Umsetzung kommen.“
Im Detail zeigt sich das Problem zum Beispiel beim Blick in die eigene Kramsschublade. Oder in die Schubladen, Kisten und Abstellkammerecken der anderen rund 40 Millionen Haushalte in Deutschland. Dort lagern laut einer Hochrechnung des IT-Verbands Bitkom aus dem Dezember etwa 1.400 Tonnen Kobalt. Dazu 180 Tonnen Lithium, 140 Tonnen Magnesium, außerdem tonnenweise Titan, Gold und all die anderen Rohstoffe, die sich in Handys und Smartphones befinden. Die Rohstoffe weiterer Geräte wie Tablets kommen noch oben drauf.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln kommt zu dem Schluss: Würden alle Rohstoffe aus den Schubladentelefonen recycelt, ließe sich damit der Materialbedarf für neue Smartphones für etwa zehn Jahre decken. In der Praxis wäre es wohl etwas weniger, da nicht jedes Gerät komplett recyclingfähig ist. Aber die Größenordnung ist gesetzt.
Die Schubladengeräte haben auch Folgen für das Klima. So rechnete das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik 2018 aus, was es ressourcen- und emissionsmäßig spart, wenn ein Smartphone wiederaufbereitet und noch einmal genutzt wird. Das Ergebnis: Pro einzelnem Gerät sind es 14 Kilogramm Primärressourcen und 58 Kilogramm Treibhausgasemissionen.
Neue Vorschriften
Wie also sieht es aus mit der Problemlösung? EU-Kommission und Mitgliedstaaten haben sich Ende vergangenen Jahres auf neue Vorschriften für Elektronikgeräte geeinigt: Hersteller von Smartphones und Tablets müssen demnach bestimmte Ersatzteile wie Displays und Akkus 7 Jahre lang zur Verfügung stellen. Software-Updates müssen 5 Jahre lang geliefert werden. Aber: Das sei zu kurz, kritisiert Sommer. 10 Jahre Software-Updates seien nötig. „Und zum Preis für Ersatzteile gibt es gar keine Vorschriften.“ Hersteller könnten über hohe Preise für Akku, Display oder Arbeitsspeicher eine Reparatur unattraktiv machen. Ohnehin wird es dauern, bis die neuen Regeln auf dem Markt ankommen: Sie treten erst nach der Verabschiedung in Kraft – und werden erst nach einer Übergangsfrist von 21 Monaten wirksam.
Dabei geht es bei der Kreislaufwirtschaft nicht nur um Technik, sondern auch um Textilien, Spielzeuge, Möbel, Verpackungen, Gebäude und alles andere, dessen Bestandteile im Abfall landen können. In Deutschland arbeitet die Bundesregierung daher an einer sektorübergreifenden Kreislaufwirtschaftsstrategie. Im bevorstehenden Frühjahr startet ein Dialogprozess dazu, 2024 könnte die Strategie beschlossen werden. Wie verbindlich sie dann sein wird – da zeigen sich zivilgesellschaftliche Beobachter:innen allerdings skeptisch. Und: Andere Länder sind längst viel weiter. Das zeigt die Nutzungsrate von wiederverwendeten Ressourcen. 2020 lag die in Deutschland bei rund 13 Prozent. Die Niederlande, Spitzenreiter in der EU, schafften dagegen mehr als 30 Prozent.
Entsorgung im Fokus
„In Deutschland liegt der Fokus sehr darauf, verwendete Materialien als Abfall zu betrachten, der möglichst sicher und günstig zu entsorgen ist“, sagt Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal Institut und nicht am Circularity Gap Report beteiligt. Er skizziert ein Beispiel: zwei Unternehmen im selben Industriepark. Bei Firma A entsteht im Produktionsprozess etwas als Abfallprodukt, das Firma B gut bei sich in der Produktion verwenden könnte. So würden beide Unternehmen Geld sparen – und Ressourcen. Das Problem: Firma A darf das Material nicht einfach rüberfahren. Denn es ist Abfall. Dafür braucht es ein zertifiziertes Transportunternehmen, eine behördliche Genehmigung, viel Aufwand. „In den Niederlanden ginge so etwas viel einfacher“, sagt Wilts. Und der Transport sei nur ein Beispiel von vielen, die das Verwenden bereits genutzter Ressourcen in Deutschland erschweren. „Da muss die Politik ran.“
Dabei sei es bei allem Recycling wichtig, etwas anderes nicht aus dem Fokus zu verlieren, sagt Wilts: „Wir brauchen nicht nur mehr Recycling, wir müssen auch dahin kommen, insgesamt weniger Material einzusetzen.“ Also: keine Verpackung vor Mehrwegverpackung vor recycelter Verpackung. Oder: langlebiges Design, dann Reparatur, dann Wiederaufbereiten, dann die Materialien wiedergewinnen. Als Zielbild, sagt Wilts, brauche es nicht nur einen Kreis, sondern einen – durch sparsamen Umgang auch mit recycelten Ressourcen – möglichst schlanken.
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