Krach um die Uni-Reform: Der Bachelor-Bluff
Der Bachelor sollte die Wunderwaffe des deutschen Hochschulwesens werden. Doch nach neun Jahren räumen selbst die größten Fans ein: So geht es nicht weiter
Es war das einsame Argument der Studenten: Verdummen, vergrätzen, vergräulen würde der Bachelor die Studierenden an Deutschlands Unis - und sonst gar nichts. Mit harten Geschützen hatten bewahrende Studivertreter und der universitäre Mittelbau das Feuer eröffnet, als ihre Uni-Präsidenten und Hochschulstrategen vor neun Jahren den neuen Studiengang nach Deutschland importierten. Jetzt brennt wieder die Hütte. Denn zu den Altbekannten gesellt sich eine immer breitere Koalition aus honorigen Gelehrten, die bezweifelt, dass der Bachelor sein Gutes bringt. Die Zahlen zeigen: Neun Jahre nach der Einführung von Bachelor und Master an Deutschlands Unis sind die Hauptziele verfehlt.
Abbrecherquoten senken und Mobilitätsraten steigern - das waren die Hauptmotive, wegen denen sich 29 europäische Länder in der Deklaration von Bologna 1999 dazu entschlossen haben, einen gemeinsamen Hochschulraum zu schaffen. Mittel dazu sollten vergleichbare Studienabschlüsse sein: Bachelor und Master für alle statt der traditionellen Diplom- und Magister-Abschlüsse sollten her, damit bis 2010 aus der Europäischen Union der wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt entstünde.
Doch zwei Jahre bevor der neue Studiengang abschließend und flächendeckend eingeführt sein soll, fordert nun der Deutsche Hochschulverband, Stimme von 23.000 Uni-Profs und WissenschaftlerInnen in Deutschland, eine umgehende "Reform der Bologna-Reformen" - und den Stopp der Umstellung, wo sie noch zu stoppen ist. Das heißt nichts anderes als: Diejenigen, die die Reformen an den Hochschulen umsetzen sollen, verweigern sich.
"Der Bologna-Prozess in Deutschland ist nur noch zu retten, wenn massiv gegengesteuert wird. Mit einem bloßen Nachsteuern ist es nicht getan", sagt Hochschulverbandschef Bernhard Kempen. Er sieht im Bachelor-Studiengang, wie er in Deutschland umgesetzt wurde, ein "Scheuklappen-Studium". Bachelor-Studenten seien nur noch "Hamster im Laufrad" - und durch das Sprintstudium massiv gefährdet.
Eine Erfahrung, die viele Bachelor-Studierende längst kennen. Denn an den Unis herrscht das Chaos. Seit die Universitäten vor neun Jahren freie Hand bekamen, sämtliche Studiengänge neu zu stricken, überblicken selbst die Sachbearbeiter in den Studien- und Prüfungsbüros kaum noch ihre eigenen Studienangebote: Weil es für jede Forschungsfrage einen spezifischen Studiengang gibt, ist vor allem eines entstanden: Ein Dschungel aus Richtlinien und Prüfungsordnungen, den niemand mehr durchdringt. Denn unter dem Dach von Bologna konkurrieren die Unis mit illustren Interpretationen des neuen Studiengangs - von äußerst breit angelegten Einführungsstudiengängen bis zu hochspezialisierten Expertenstudien für Erstsemester. Im Kampf um Leuchtkraft, Profilbildung und Alleinstellungsmerkmale sind die Bachelorangebote mittlerweile so verschieden ausgestaltet, dass selbst Experten kaum noch einen Überblick haben.
Die Folge: Das europäische Hochschulwesen ist mitnichten synchronisiert. Doch das war das Hauptanliegen, seit die Bologna-Reformen an Deutschlands Unis massiv vorangetrieben werden - damit Deutschlands Studierende endlich heiter reisen können. Erfolg? Keiner.
"Die neuen Studiengänge sind häufig so spezialisiert und auf Einmaligkeit konzipiert, dass bereits ein innerdeutscher Studienortwechsel während des Bachelor-Studiums nahezu unmöglich ist", sagt der Hochschulverband. Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) - zuständig für die Mobilität der Studierenden - kritisiert, dass viele Studiengänge viel zu eng gestrickt seien. Seit die Bachelor-Angebote die Mehrzahl unter den deutschen Studiengängen ausmacht, beobachtet der DAAD eine Stagnation der studentischen Reiselust: "Wir sehen einen Rückgang der Auslandsaufenthalte unter den Studierenden - und da gibt es einen Zusammenhang zur Bachelor-Einführung", sagt DAAD-Chef Bode der taz. "Wir haben nie ausführlich darüber diskutiert, was die Grundidee des Bachelors und des Masters ist. Diese Diskussion hätten wir vielleicht früher führen müssen."
Trotzdem hat das Chaos auch System: Weil bei der zweistufigen Gestaltung der Bachelor-Master-Abschlüsse die Hochschulen freie Hand hatten, entschieden sich die meisten dafür, einen kurzen Grundstudiengang von drei Jahren anzubieten - und dann einen fast gleichlangen, zweijährigen Zusatz-Master draufzusatteln. Da die Universitäten zunehmend auch nach der Zahl ihrer AbsolventInnen bezuschusst werden, sind kurze Studiengänge attraktiv für die Universitäten: Wer in kürzerer Zeit mehr Studierende durchschleust, bekommt mehr Geld. An kaum einer Uni ist daher derzeit ein vierjähriger Bachelor-Studiengang zu finden. Weil viele stolze Fakultäten aber nicht von ihrer Gestaltungsmacht lassen wollen, sind die Bachelor-Curricula zugleich chronisch überladen.
Die Folge: Die Studis brechen ihr Studium sogar häufiger ab als früher. Laut dem aktuellen Bildungsbericht von Bund und Ländern gibt jeder vierte Bachelor-Studierende sein Studium vorzeitig auf, an den Fachhochschulen sind es sogar 39 Prozent.
"Die Flexibilität der Studierenden muss eine der wichtigsten Anforderungen an einen guten Studiengang sein", sagt die Studierendenvertreterin Imke Buss vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs). Sie meint damit, dass viele Studiengänge schlichtweg nicht studierbar sind - weil zwischen den formalen Anforderungen der Studienordnungen und der Realität der Studierenden oftmals Welten liegen. Rückendeckung erhält sie vom Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Rolf Dobischat: "Zwei Drittel der Studierenden jobben neben dem Studium, für 40 Prozent ist die Studienfinanzierung nicht gesichert, und Studiengebühren schlagen zusätzlich zu Buche. Das ist für viele Studierende ein schwieriger zeitlicher Spagat, und in einem Bachelor-Studium wird er noch schwieriger."
Dazu kommt: Das Gros der Bachelor-Studiengänge sind Vollzeitstudiengänge. Ein Teilzeitstudium, wie es der Realität der meisten Studierenden entspräche, ist meist schlichtweg nicht vorgesehen. Das heißt auch: Der Bummel-Effekt, die Regelstudienzeit zu überschreiten, wird systematisch erzeugt. Wer arbeiten muss oder ein kreischendes Baby zu Hause hat, gehört so automatisch zu den Verlierern der Bologna-Reform.
Kein Wunder also, dass das Image des Bachelors unter den Studierenden immer weiter sinkt: Während 2001 noch immerhin ein Viertel aller Studierenden sich mit einem Bachelor-Abschluss gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechneten, waren es im letzten Jahr nur noch 12 Prozent. Umgekehrt sind 2007 mehr als die Hälfte der Studierenden der Meinung, der Bachelor führe bestenfalls zu Akademikern zweiter Klasse. Die Hälfte der Studis hält heute den Bachelor für eine Einschränkung der individuellen Studiengestaltung - das sagt der aktuelle Studierendensurvey im Auftrag der Bundesregierung.
Höchste Zeit für die Notbremse, sagt daher der Hochschulverband und fordert, dass dort, wo Bachelor-Studiengänge noch nicht eingeführt sind, nun so lange gewartet wird, "bis der Nachweis erbracht ist, dass die neuen Studiengänge den alten überlegen sind."
Quatsch - sagen die strammen Fürsprecher der Reformen. Das sind die Kultusminister, die Hochschulrektoren und das Bertelsmann-nahe Centrum für Hochschulentwicklung. Deren Protagonisten geben zwar in der Regel keine Lehrveranstaltungen, sind aber die einflussreichsten Macher im Uni-Sektor. Für "Schlechtrednerei", "gestrig" und eine "Rolle rückwärts" halten sie daher den Vorstoß der Professorenlobby - und weisen die Vorschläge klar zurück.
Doch selbst den Protagonisten wird mittlerweile klar, "dass in der Bologna-Gestaltung noch eine Reihe von Problemen stecken", wie Erich Thies, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz der taz sagt. Und auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat das "Imageproblem" erkannt, wie es HRK-Präsident Margret Wintermantel gegenüber der taz nennt.
So gibt es niemanden, der ernstlich daran zweifelt, dass schnellstens "nachjustiert" und "feingesteuert" werden muss - sonst kommt der Schock-Stopp von allein.
Doch noch wird munter gebaut, ehe die Grundrisse klar sind: Was soll er eigentlich bieten, der neue Bachelor-Abschluss? Hört sich banal an. Doch auf den Strategiekonferenzen der Uni-Republik ist nicht mal diese Frage einstimmig geklärt. Soll er auf akademische Bonus-Runden verzichten und möglichst schnell für den Arbeitsmarkt trimmen? Oder zu bürgerschaftlicher Verantwortung befähigen - und angesichts verkürzter Schulbildung auch eine grundbildende Verantwortung wahrnehmen? Das sind die Zutaten für eine akademische Betonmischung, deren Rezeptliste von den Schlecht- und Schönrednern der Bildungsrepublik jetzt wieder heiß umkämpft ist. Gemeinsam geben sie ein echtes Bild ab: Es herrscht Chaos an den Unis. Manche finden das ja kreativ.
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