Korruptionsvorwürfe in Wiesbaden: Politdrama in mehreren Akten
Lokalgrößen von SPD und CDU versinken bühnenreif im Korruptionssumpf. Gegenseitige Diffamierung scheint wichtiger als Selbstrettung.
Wiesbadens Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) hat bereits das Handtuch geworfen, ebenso der langjährige Vorsitzende der CDU in der Stadtverordnetenversammlung, der CDU-Kreisschatzmeister und ehemalige Geschäftsführer der städtischen Immobilienholding. Gegen den amtierenden CDU-Kreisvorsitzenden und seinen Vorgänger wird ebenfalls ermittelt.
Am Donnerstagabend, bei ihrer ersten Sitzung in diesem Jahr, werden die Stadtverordneten einen Akteneinsichtsausschuss einsetzen, der die Vergabe von millionenschweren Aufträgen an das Münchner Gastronomieunternehmen Kuffler untersuchen soll. Wie immer das Stück in der Realpolitik ausgeht – der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, Uwe Laufenberg, verspricht, den Plot in jedem Fall auf die echte Theaterbühne zu bringen. Arbeitstitel „Casino Wiesbaden“ unter Anspielung auf das echte Casino Wiesbaden, das Schauplatz von Dostojewskis „Der Spieler“ war.
Der taz sagte Laufenberg: „Wer der Schurke ist, steht ja noch nicht fest. Das Ende ist offen. Aber wenn so viele Menschen ‚Vendetta!‘ rufen, hat die Geschichte eine Macbeth’sche Qualität, sie ist tieftragisch.“ Die Premiere des Theaterstücks plant er für Juni 2020.
Ihren Anfang nimmt die Affäre mit einem Zerwürfnis im Privaten. Auf der einen Seite: der millionenschwere, gut vernetzte Immobilienkaufmann Ralph Schüler, seit 2014 auch Geschäftsführer der städtischen Immobilienholding WVV. Im Ehrenamt ist er CDU-Kreisschatzmeister. Seine Gegenspielerin: die langjährige Prokuristin seiner privaten Firma, Margarete S. Die beiden überziehen sich intern mit Beschuldigungen und Klagen. Im August letzten Jahres verschärft S. die Gangart, damit sie nicht „vor der Marktkirche betteln und Papierkörbe nach Flaschen durchsuchen muss“, schreibt sie in einem Drohbrief, der der taz vorliegt.
Das Drama nimmt seinen Lauf
Gegen den Rat ihres Anwalts droht sie Schüler, lastet ihm eine Reihe angeblich schwerer Verfehlungen an, erwähnt „Kuverts mit den Schwarzgeldern für Provision und anderes“. Schließlich fährt sie über den örtlichen Wiesbadener Kurier großes Geschütz auf. Ohne Gegenleistung habe Schüler seinem Hausanwalt, dem damaligen Rathausfraktionschef der CDU, Bernhard Lorenz, zweimal 45.000 Euro zukommen lassen, just in der Zeit, als der über die Bestellung Schülers zum Holdingchef der Stadt mitzuentscheiden hatte. Vom Verdacht des Ämterkaufs ist fortan die Rede.
Die Beweislage scheint dürftig. Von S.’ eidesstattlicher Erklärung liegen der taz drei Versionen vor. Mal will S. das Ausfüllen der Überweisungsträger persönlich gesehen haben, dann lediglich Durchschläge. Zunächst sollen die Zuwendungen in den Jahren 2012 oder 2013 geflossen sein, schließlich könnte es auch 2014 gewesen sein. Die Beschuldigten tun die angeblichen Zahlungen als „freie Erfindung“ ab, trotzdem nimmt die Geschichte Fahrt auf. Die negativen Schlagzeilen bringen die Verantwortlichen im Rathaus auf den Plan. Schnell finden sich weitere Vorwürfe gegen den plötzlich nicht mehr unumstrittenen Geschäftsführer. Schließlich beschließt eine knappe Mehrheit des Magistrats seine fristlose Kündigung. Es soll endlich Ruhe einkehren, doch die Büchse der Pandora ist geöffnet.
Bereits im Vorspiel zum furiosen Finale war der sozialdemokratische Oberbürgermeister Gerich in Erklärungsnot geraten. Er hatte im Mai 2018 einräumen müssen, mehrfach von der Gastronomenfamilie Kuffler verwöhnt worden zu sein, in deren mondänen Villa an der Côte d’Azur ebenso wie auf dem Oktoberfest und im noblen Palace-Hotel in München. Der OB gab nur spärlich Auskunft über seine „private Freundschaft mit der Familie“.
Auf die Verlängerung der lukrativen Gastronomiekonzession für das Wiesbadener Kurhaus und für die Vergabe der Konzession für das neue Rhein-Main-Congresscenter (RMCC) an Kuffler, die zeitgleich zwischen Stadt und Unternehmen verhandelt wurden, habe er keinen Einfluss genommen. In einem Zwischenbericht listete indes das Revisionsamt der Stadt Ungereimtheiten im Vergabeverfahren auf. Die Zweifel sind seitdem gewachsen und sollen jetzt auf Antrag der SPD in einem Akteneinsichtsausschuss untersucht werden.
Selbstanzeigen und zerbrochene Freundschaften
Für den OB kam es noch dicker. Mit Schülers Rausschmiss war nämlich auch die langjährige Freundschaft zwischen dem Immobilienkaufmann und dem Rathauschef zerbrochen. Der geschasste Holdingchef machte im Januar öffentlich, dass er den OB und dessen Ehemann unmittelbar vor seiner Bestellung zum städtischen Geschäftsführer zu einer luxuriösen Spanienreise eingeladen hatte.
Die Übernachtungen in den besten Häusern des Landes habe er, Schüler, bezahlt. Die „eigentlich harmlose Reise“ habe er nun anzeigen müssen, damit sie in der anstehenden gerichtlichen Auseinandersetzung um die fristlose Kündigung nicht gegen ihn verwendet werden könne, erläuterte Schüler der taz. Gerich sollte im Januar als SPD-Kandidat für die OB-Wahl am 19. Mai nominiert werden. Vor dem Nominierungsparteitag der SPD gab er auf. Die SPD sucht seitdem eine neue OB-KandidatIn.
Auch die CDU bekam Schülers Zorn zu spüren. Sie befindet sich in einer handfeste Finanzaffäre. Schließlich war Schüler fast ein Jahrzehnt Schatzmeister der Kreispartei und hatte offenbar tiefe Einblicke gewonnen. In einer Selbstanzeige an den Bundestagspräsidenten und die Staatsanwaltschaft bezichtigte Schüler sich und seine ehemaligen Mitstreiter, viele Jahre lang falsche Rechenschaftsberichte unterschrieben zu haben. Der langjährige Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Horst Klee habe die Parteiarbeit von einer Angestellten erledigen lassen, die als Wahlkreismitarbeiterin vom Landtag bezahlt worden sei.
„Das ist illegal, das weiß ich inzwischen“, sagte Schüler der taz. Er habe viel zu lange dem amtierenden CDU-Kreisvorsitzenden und früheren Chefjuristen der hessischen Staatskanzlei Oliver Franz vertraut. Der habe ihm stets versichert, diese Praxis sei rechtens, so Schüler zur taz. Die so attackierten Franz und Klee wollten mit der taz nicht reden. Öffentlich versicherten sie, die Vorwürfe seien haltlos. Doch die CDU-Bundespartei sieht das offenbar anders. Sie schloss sich Schülers Selbstanzeige an, „um Schaden von der Partei abzuwenden“. Es drohen sechsstellige Strafzahlungen nebst Anwaltskosten. Auch die Staatsanwaltschaft erkannte einen Anfangsverdacht wegen Untreue.
Die Grünen als lachende Dritte?
Jetzt soll es für die CDU im OB-Wahlkampf ihr Kandidat, der Dachdeckermeister Eberhard Seidensticker, richten. Doch auch bei ihm sorgte die Finanzkrise wohl für Verwirrung. Zunächst hatte er seinen CDU-Vorsitzenden Franz aufgefordert, das Parteiamt ruhen zu lassen. Wenige Tage später, auf einem Krisenparteitag, mochte er die Forderung nicht wiederholen. Stattdessen rief er die Parteifreunde zur Geschlossenheit auf.
Lachende Dritte im OB-Wahlkampf könnte die Vorsitzende der grünen Rathausfraktion werden, Christiane Hinninger. Sie spielt in dem Drama um Schüler, Gerich, Lorenz, Franz und Klee bislang nicht mal eine Nebenrolle. Theaterintendant Laufenberg wagt keine Prognose, wie die Sache ausgeht. „Es ist wie immer bei Shakespeare. Der eine ist besonders schlau, der andere raffgierig, ein Dritter mag blauäugig sein und das Ganze in seinen Folgen nicht überblicken, aber es sind immer die verschiedenen Charaktere, die eine Geschichte spannend machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus