Korruptionsskandal: Die KI-Schafe von Kreta
Griechenlands konservative Regierung unter Premier Mitsotakis versinkt in einem EU-Agrarsubventionsskandal. Regierungsmitglieder treten bereits zurück.

7,8 Millionen Tiere! So viele gaben mutmaßliche Betrüger an, um sich üppige EU-Agrarbeihilfen unter den Nagel zu reißen.
Darunter sind auch Pseudobauern, die gar kein Vieh oder Agrarflächen besitzen. Schwindler deklarierten angebliche Olivenhaine in der in Hellas’ Nordwesten gelegenen Gebirgskette von Pindos. Und dies in Höhen, wo nicht einmal überaus robuste Zwergsträucher gedeihen. Andere Gauner reichten fiktive Pachtverträge für vermeintliche Agrarflächen ein, die in Naturagebieten oder auf dem Gelände stillgelegter Militärflughäfen liegen.
Alle Betrüger verfolgten das gleiche Ziel: sich möglichst viel vom Kuchen der EU-Agrarsubventionen abzuschneiden, die Brüssel Hellas’ Landwirten Jahr für Jahr gewährt. In die Röhre guckten die ehrlichen griechischen Landwirte. Es geht um eine Menge Geld: Über zwei Milliarden Euro pro Jahr überweist Brüssel nach Athen, um dem hiesigen Agrarsektor unter die Arme zu greifen.
Korruption statt Kontrolle
Die Agrarganoven hatten offenbar leichtes Spiel. Die Vergabe der EU-Gelder für Hellas’ Landwirtschaft soll die Athener Agraragentur kontrollieren. Statt zu kontrollieren, wirkten kriminelle Agrarbeamte – mutmaßlich unter politischer Einflussnahme – offenbar systematisch dahingehend, Dritte und wohl sich selber illegal zu bereichern.
Zugleich sorgten sie dafür, dass sich die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) unter Premier Kyriakos Mitsotakis via Subventionsbetrug Stimmvieh für Wahlen erkaufte – mit EU-Geldern wohlgemerkt.
Im Ziegenparadies Kreta hat dies offenbar toll funktioniert: Bei der jüngsten Parlamentswahl im Juni 2023 feierte die ND auf Kreta einen Wahltriumph, zuvor eine Hochburg der linken Syriza. Stichwort: Klientelsystem.
Statt den Augiasstall der Agraragentur auszumisten, ging man in Athen stattdessen knallhart gegen Nestbeschmutzer vor. Erst als sich die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) einschaltete, gerieten Mitsotakis und Co unter Druck. Die Europäische Kommission verdonnerte Athen am 11. Juni zu einer Mammutgeldbuße von 415 Millionen Euro. Sie betrifft maßgeblich den Zeitraum ab 2019, seit die ND alleine in Griechenland regiert.
Minister treten zurück
Die EPPO hat nun eine Akte zur Causa Agraragentur an das Parlament gesendet. Bei ihren Ermittlungen ist sie auf mehrere Politiker, darunter zehn ND-Abgeordnete, gestoßen. Die 3.000 Seiten starke Akte enthält Transkriptionen legal abgehörter Telefonate. Griechische Medien verbreiten seither pikante Gesprächsinhalte, die das ganze Ausmaß der Korruption aufzeigen.
Das brachte den Stein endgültig ins Rollen. Im Strudel des nun vollends ausgebrochenen Agrarsubventionsskandals traten am vorigen Freitag der Migrationsminister Makis Voridis, von Juli 2019 bis Januar 2021 Agrarminister, sowie drei Vizeminister der Regierung Mitsotakis zurück. Sie bestreiten unisono die Vorwürfe. Neuer Migrationsminister ist Thanos Plevris, wie Voridis ein Rechtsradikaler mit menschenverachtenden Ansichten in der Migrationsfrage.
Derweil hat die Regierung Mitsotakis angekündigt, die Skandalbehörde bis Ende 2026 abschaffen zu wollen. Deren Personal, landesweit rund 500 Mitarbeiter, soll zur Steuerbehörde AADE wechseln. Unter dem Dach der AADE sollen fortan die EU-Agrarbeihilfen verteilt werden.
Doch die Opposition fordert vorgezogene Neuwahlen. Premier Mitsotakis denkt aber gar nicht daran. Er will bis zum turnusmäßigen Urnengang im Sommer 2027 weiterregieren.
Mitsotakis zeigt Reue
Mitsotakis ergreift lieber die Flucht nach vorn. „Die Dialoge (abgehörte Telefonate; Anm. d. Red.) sorgen für Empörung und Wut. Lassen Sie uns ehrlich sein: Wir sind gescheitert. Es ist Zeit, das (korrupte) System zu durchbrechen“, so Mitsotakis. Im Agrarskandal sei er dazu entschlossen, „den Gordischen Knoten zu zerschlagen“.
Mitsotakis, ein neuer Alexander der Große? Für die Griechen klingt das wie Hohn.
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