Korruptionsskandal in der Ukraine: Jermaks schwarzer Freitag
Am Freitagmorgen wurde die Wohnung von Wolodymyr Selenskyjs engstem Vertrauten Andrij Jermak durchsucht. Er steht unter Korruptionsverdacht.
Die Nationale Antikorruptionsbehörde der Ukraine (NABU) und die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) haben am Freitagmorgen Büro und Wohnung des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration, Andrij Jermak, durchsucht. Die Hausdurchsuchungen fänden „im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens“ statt, so NABU und SAP.
Jermak selbst bestätigte die Durchsuchungen. Die Ermittler hätten vollen Zugang zu seiner Wohnung erhalten, er sei kooperativ, ließ er über seinen Telegram-Kanal wissen. Die Durchsuchungen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit der Operation „Midas“ – einem der umfangreichsten Antikorruptionsverfahren der vergangenen Jahre.
NABU hatte am Mitte November die Existenz einer mutmaßlich über Jahre aktiven kriminellen Organisation öffentlich gemacht, die systematisch Bestechungsgelder im Umfeld des staatlichen Atomkonzerns Energoatom vereinnahmt haben soll. Üblicherweise seien 10–15 Prozent des Auftragsvolumens wieder in die Taschen der verantwortlichen Angestellten und Manager geflossen.
„Ali Baba“ am Telefon abgehört
Wenig später veröffentlichte Audiomitschnitte machten den Geschäftsmann Timur Minditsch, ehemaligen Showbusiness-Partner von Wolodymyr Selenskyj, als zentrale Figur des Skandals aus. Brisanterweise findet sich in den abgehörten Gesprächen auch ein Mann, der sich mit dem Spitznamen „Ali Baba“ anreden lässt. Und dabei, so spekulieren ukrainische Medien, soll es sich um Andri Jermak handeln.
Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.
Was die Antikorruptionsbehörden bei der morgendlichen Hausdurchsuchung gefunden haben, ist noch nicht bekannt. Doch schon am Mittwoch zeigte sich der NABU-Direktor Semen Krywonos, optimistisch hinsichtlich des bisher beschlagnahmten Beweismaterial, unter anderem Computer, Mobiltelefone und Datenträger.
Derzeit würden „Tausende Aufzeichnungen“ mit dem neu erlangten Material abgeglichen, so Krywonos. Das Antikorruptionsbüro zeigt sich entschlossen, die Ermittlungen bis zum Ende durchzuführen.
„Wir müssen der ukrainischen Gesellschaft zeigen, wie viel Geld tatsächlich gestohlen wurde – wie viel davon in luxuriöse Villen in der Schweiz, in Wohnungen, Immobilien und Bankkonten verwandelt wurde“, zitiert die Ukrajinska Prawda NABU-Chef Kriwonos.
Opposition fordert sofortige Entlassung Jermaks
Mit einer Mischung aus Schadenfreude und Gehässigkeit kommentieren Gegner von Präsident Selenskyj die Hausdurchsuchung an „Jermaks Schwarzem Freitag“. „Ich möchte mich zunächst für meine gute Laune entschuldigen“ beginnt der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak von der Oppositionspartei Holos sein morgendliches Video.
Seinen Informationen zufolge hätten die NABU-Beamten die Hausdurchsuchung bei „Ali Baba“ alias Jermak mit den Worten „Sesam öffne dich“ begonnen. Auf dem Messenger Telegram wendet sich Schelesnjak an Selenskyj. „Herr Präsident, Sie müssen unverzüglich den Chef der Präsidialadministration, Jermak entlassen. … Nehmen Sie den nächstbesten Kugelschreiber und entlassen Sie mit Ihrer Unterschrift den Mann, der die volle Verantwortung dafür trägt, dass die Bande von Minditsch all die Jahre das Land ausrauben konnte.“
Und der Abgeordnete Olexi Hontscharenko von der Oppositionspartei Europäische Solidarität meint auf seinem Telegram-Kanal: „Das Minditsch-Gate war nur der Trailer. Jetzt hat der eigentliche Film begonnen.“ Ihn würde, so Hontscharenko, auf dem beschlagnahmten Telefon von Jermak vor allem die Kommunikation zwischen Jermak und dem Präsidenten interessieren.
Sollte gegen Jermak ein Verfahren eingeleitet werden, er möglicherweise in Haft kommen oder mit einer elektronischen Fußfessel versehen werden, werde er kaum noch eine führende Rolle im Verhandlungsprozess zur Beendigung des Krieges spielen können, mutmaßt das Portal strana.news. Es sei jedenfalls nicht vorstellbar, dass der US-amerikanische Unterhändler Dan Driscoll Jermak in Untersuchungshaft aufsuchen werde.
Die EU sieht die Durchsuchungen beim ukrainischen Präsidialamtschef Andrij Jermak wegen Korruptionsverdachts als Zeichen für eine funktionierende Korruptionsbekämpfung in der Ukraine. „Wir haben großen Respekt vor den Untersuchungen, die zeigen, dass die Antikorruptionsbehörden in der Ukraine ihre Arbeit tun“, sagte EU-Kommissionssprecherin Paula Pinho am Freitag in Brüssel. Jermak gilt als engster Vertrauter und Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
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