Korruptionsprozess gegen Netanjahu: Bibi muss ins Kreuzverhör
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu muss in einem seit Jahren laufenden Korruptionsverfahren vor Gericht aussagen. Der Prozess spaltet das Land.
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Die elf Mitglieder des Sicherheitskabinetts forderten am Sonntag angesichts der Entmachtung des syrischen Diktators Baschar al-Assad nochmals einen Aufschub. Laut dem Sender Kanal 12 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, während die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara „politische Einmischung“ anprangerte.
Eine Mehrheit von 56 Prozent der Israelis befürworten laut einer Umfrage die Fortsetzung des Prozesses. Lediglich 29 Prozent sind dagegen. Mit Netanjahu wird am Dienstag erstmals in Israels Geschichte ein amtierender Ministerpräsident als Angeklagter befragt. Frühere Regierungschefs wie Ehud Olmert waren angesichts von Korruptionsverfahren zurückgetreten.
Netanjahu wird in drei Fällen des Betrugs, der Untreue und der Bestechlichkeit beschuldigt. Die Ermittlungen begannen im Jahr 2016. Im sogenannten Fall 1000 sollen er und seine Frau Sara Geschenke im Wert von 180.000 Euro für politische Gefallen erhalten haben. Die Fälle 2000 und 4000 betreffen Wettbewerbsvorteile für eine Tageszeitung und ein Kommunikationsunternehmen im Gegenzug für positive Berichterstattung. Die Höchststrafe für Bestechlichkeit liegt bei zehn Jahren Gefängnis. Über drei Jahre hatten die Ermittler rund 140 Zeugen berufen. Dem Gericht liegen tausende Beweisstücke vor.
Regieren trotz drei Verhandlungstagen pro Woche
Der Prozess birgt auch politische Sprengkraft. „Das Verfahren scheint eine große Auswirkung auf Netanjahus Politik zu haben“, sagt Barak Medina, Professor für Verfassungsrecht an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Erst mit dem Auftauchen der Vorwürfe habe dieser sich politisch zunehmend für eine Schwächung der israelischen Justiz eingesetzt. „Die Sorge vor einer Verurteilung treibt ihn an.“
Nach monatelangen Massenprotesten und dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 wurde die hochumstrittene Justizreform fürs Erste pausiert. „Jetzt hat die Regierung diese Anstrengungen wieder aufgenommen“, sagt Medina. Und: „Netanjahu hat heute eine ähnliche Position wie Donald Trump.“ Wer ihn unterstütze, werde sich auch durch Gerichtsurteile davon nicht abbringen lassen. Viele Netanjahu-Unterstützer sähen die Justiz als politisch von links kontrolliert.
Einen Vorgeschmack auf das nun kommende Kreuzverhör bot der im November erstmals gezeigte Dokumentarfilm „Bibi Files“. In erstmals veröffentlichten Videoaufnahmen der Polizeiverhöre sprechen Unternehmer ebenso wie frühere Hausangestellte der Netanjahus. Sie führen aus, wie die Übergabe von Geschenken wie Champagner und Zigarren im Wert von Zehntausenden Euro stattgefunden hat. Netanjahu selbst wechselt in den Aufnahmen zwischen Belehrungen, wütenden Ausbrüchen und Erinnerungslücken.
Wie Netanjahu während der Befragungen seinen Aufgaben als Regierungschef nachkommen kann, ist umstritten. Angesetzt sind drei Prozesstage pro Woche, voraussichtlich für mehrere Wochen in Folge. Auch hier spaltet der Regierungschef wie so oft sein Land: Knapp die Hälfte der Israelis glauben nicht, dass er während der Befragungen sein Amt wahrnehmen kann. Die andere Hälfte sieht darin kein Problem.
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