Kooperation NSA und BND: Frankreichs Regierung Spähziel
Medien berichten über neue Details in der Affäre um die Geheimdienste BND und NSA. Demnach ist der Élysée-Palast in Paris abgehört worden.
BERLIN dpa | Eine Woche nach ersten Berichten über Hilfestellung des BND bei der Spionage des US-Geheimdienstes NSA in Europa sorgen neue Enthüllungen für Wirbel. Nach Informationen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR nutzte die NSA die Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling zum Ausspähen hochrangiger Beamter des französischen Außenministeriums, des Präsidentenpalastes in Paris und der EU-Kommission in Brüssel. Die Medien beriefen sich auf „interne Untersuchungen von Nachrichtendienst und Kanzleramt“.
Vor einer Woche waren erste Vorwürfe ans Licht gekommen, wonach der BND der NSA über Jahre half, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Demnach fiel dem BND schon seit längerem auf, dass von den Amerikanern vorgegebene Suchmerkmale (Selektoren) für die Überwachung des Datenverkehrs – etwa IP-Adressen von Computern oder Namen – gegen deutsche oder europäische Interessen verstießen. Wie sich inzwischen herausstellte, wusste auch das Kanzleramt seit Jahren – in detaillierter Form seit März – von rechtswidrigen Spähversuchen des US-Dienstes. Das genaue Ausmaß der Affäre ist noch nicht klar.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner reagierte empört auf die neuen Informationen über Spionage gegen Frankreichs Regierung und EU-Institutionen. „Die BND-Affäre sprengt alle Maßstäbe“, sagte er. „Offenbar ist nichts und niemand vor dem Bundesnachrichtendienst sicher. Bundeskanzlerin Merkel muss die Aufklärung umgehend zur Chefsache machen und sich bei unseren europäischen Partnern entschuldigen“, so Lindner.
Hinweise auf gezielte Wirtschaftsspionage der Amerikaner wurden dem Medienbericht zufolge bisher nur vereinzelt gefunden. Nach den bisherigen Feststellungen seien Unternehmen vor allem betroffen, weil die USA nach Hinweisen auf illegale Exportgeschäfte suchten.
7,8 Millionen IP-Suchbegriffe
Alle von den USA seit Beginn der Kooperation beim Datenaustausch 2002 angelieferten Suchworte werden nun noch einmal überprüft. Ihre Zahl ist riesig: Allein 2013 waren es nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR 690.000 Telefonnummern und 7,8 Millionen IP-Suchbegriffe. In einer sogenannten Ablehnungsdatei landeten 40 000 auffällige Suchbegriffe, zu denen den Amerikanern von deutscher Seite keine Informationen geliefert wurden.
Das Kanzleramt übermittelte dem Parlament inzwischen wichtige interne BND-Unterlagen zu der Affäre. In den seit Mittwochmittag in der Geheimschutzstelle des Bundestages stehenden Aktenordnern fehlen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur allerdings die für die Aufklärung wichtigen Listen mit Suchbegriffen. Die Opposition aus Linken und Grünen sowie die SPD pochen auf eine schnelle Herausgabe.
Die Opposition wirft der Bundesregierung vor, den Bundestag bewusst über die Vorgänge getäuscht zu haben. Hintergrund sind mehrere Antworten auf parlamentarische Anfragen der Linksfraktion, in denen die Regierung nach Ansicht der Opposition wissentlich falsche Angaben gemacht haben soll. Die wies den Vorwurf der Lüge vehement zurück.
Innenressortchef Thomas de Maizière (CDU) war von 2005 bis 2009 selbst Chef des Kanzleramts – der Aufsichtsbehörde für den BND. Der Vorwurf der Täuschung richtet sich daher auch gegen ihn. Linke-Chef Bernd Riexinger sagte der PNP: „Bestätigt sich, dass Thomas de Maizière als Kanzleramtsminister seit 2008 über das Ausspionieren deutscher und europäischer Unternehmen und Behörden informiert war, muss es Konsequenzen geben. Es ist höchst zweifelhaft, ob de Maizière als Regierungsmitglied dann noch tragbar ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity