Konzertempfehlungen für Berlin: Unheimliche Stimmen

Das Brodeln des Jazz, gut gealterte Neue Musik und erweiterte Spieltechniken stehen diese Woche auf dem Programm.

ie Sängerin Maja S. K. Ratkje ist von der Seite zu sehen, sie hält ein Mikrofon in der Hand und singt, auf ihrem T-Shirt hebt sich ein rotes Licht ab, an der Wand wirft ihr Körper einen großen Schatten

Die Vokalkünstlerin Maja S. K. Ratkje tritt am Wochenende im Kiezsalon in der MaHalla auf Foto: Fabrice Allard

Unter der Revolution geht es heutzutage anscheinend nicht. Ob es die in der Musik in nennenswertem Maße derzeit überhaupt gibt oder nicht vielmehr das Drehmoment zu gering oder einfach zu viele Künstler in ihrem eigenen Ding kreisen, um eine kritische Masse zu bilden, ist eine andere Frage. Wenn das zweitägige Festival Bitches Brew, das am Freitag (26. 8.) im Gretchen beginnt, seinem Publikum einige „Revoluzzer*innen der heutigen deutschen Jazzszene“ verspricht, kann man das in etwa übersetzen in „Musiker, die interessante Sachen machen oder ausprobieren“.

So zum Beispiel die Perkussionistin Taiko Saito, die am Freitag mit ihrem Projekt Taiko Saito Dada Rhythmé in einer Besetzung ausschließlich mit Schlaginstrumenten antritt. Neben Saito an der Marimba sind Evi Filippou am Vibrafon und Moritz Baumgärtner am Schlagzeug zu erleben. Für einen ins elektronische Fach anschlussfähigen offenen Jazz steht andererseits das Duo Training des Saxofonisten Johannes Schleiermacher und des Schlagzeugers Max Andrzejewski, die ihre Übungseinheiten am Sonnabend (27. 8.) abhalten werden. Und das ist gerade mal ein Drittel des Festivalprogramms (26.-27. 8., Obentrautstr. 19-21 Uhr, 21 Uhr, Einzelticket: VVK 15/18€, AK 20€, www.gretchen-club.de).

Am Sonnabend (27. 8.) beginnt dann das Musikfest Berlin, wobei die eigentliche Eröffnung mit großem Orchester, wie es sich für ein Orchesterfestival gehört, am Sonntag ist. Der Vorabend ist in der Regel kammermusikalischen Besetzungen vorbehalten, hier kann man sich langsam auf den großen Wumms einstimmen. Musikalisch wuchtig oder zumindest gewichtig ist aber auch das Programm des Konzerts mit dem Geiger Ilya Gringolts, dem Bratschisten Lawrence Power und dem Cellisten Nicolas Altstaedt.

Von Wolfgang Rihm ist dessen „Musik für drei Streicher“ aus dem Jahr 1977 zu hören, die seinerzeit als Affront verstanden wurde, erteilte Rihm doch den Avantgarde-Konventionen und dem vorherrschenden Fortschrittsdenken eine klare Absage, wurde gar als „Romantiker“ gescholten. Heute hört sich seine Musik anders an, Rihms subjektiver Ansatz hat sich gut gehalten. Ebenso die Zwölftonmusik von Arnold Schönberg, dessen Streichtrio erklingen wird. Schönberg komponierte das Werk 1946, nachdem er einen Herzanfall erlitten hatte und reanimiert worden war. Die Nähe des Todes übersetzte er in verdichtete Dringlichkeit. Von wegen reine Kopfmusik (Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Str. 1, 19 Uhr, 15-45 €).

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Dynamische Klangschichten

Um die Auswahl etwas zu erschweren: Am Sonnabend (27. 8.) gibt es obendrein einen Kiezsalon in der MaHalla. Auf der Bühne zu erwarten ist etwa die Sängerin Maja S. K. Ratkje, deren Künste sich sehr allgemein mit „erweiterter Vokaltechnik“ beschreiben lassen, was bei ihr schon mal unheimliche Dimensionen annehmen kann. Ebenfalls kein Verächter des Unheimlichen ist der Brite Alexander Tucker, der sein neues Projekt Microcorps vorstellt, in dem auch er die Möglichkeiten der Stimme, vor allem in elektronisch bearbeiteter Form, erkundet, kombiniert mit Cello und Elektronik.

Ein Albumdebüt steht zudem mit Dylan Peirces „Pindrops“ an, der seine rhythmisch dynamischen Klangschichten vorstellen wird. Seine Platte erscheint auf dem Label Digital in Berlin, mit dem der Veranstalter des Abends, Digital in Berlin, zugleich seinen Einstand im Tonträgerwesen begeht. LOUFR, das Soloprojekt des Musikers Piotr Bednarczyk, steuert mit Abstraktionen von Clubmusik die zweite Veröffentlichung im Labelkatalog bei (Wilhelminenhofstr. 76, 19 Uhr, 22,58€, Tickets: https://www.eventbrite.de).

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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