Konzert der Snapped Ankles in Berlin: Mein Freund, der Baum

Die unwiderstehliche Tribalkrautpostpunkraveband Snapped Ankles aus London gab ihr deutsches Konzertdebüt.

Zwei Bandmitglieder in grünem Bühnenlicht

Famos bemoost: die Snapped Ankles in der Berghain-Kantine Foto: Stefanie Loos

„Bailando con dedicación“, sagt die Spanierin. Der Engländer sagt „dedicated dancing“, der Bayer „passt scho“. Das Konzert hat noch gar nicht begonnen, aber die Leute tanzen bereits zu „Testone“, der Bleep­house-Blaupause des Sheffielder Duos Sweet Exorcist von 1990. Eine junge Frau am DJ-Pult heizt das Konzert mit geschmackvoll ausgewähltem Dancefloor an. Wie früher bei einem Rave in freier Natur gerät man automatisch in das wogende bunte Völkchen, sobald man die Berliner Berghain-Kantine am Freitagabend betritt, wo der Deckenputz in großen Placken abblättert und die Uhr über dem Tresen beharrlich fünf vor zwölf zeigt.

Hinter der Bühne ist eine Leinwand in Schwarz getaucht. Darauf in schlichter weißer Schrift: Snapped Ankles. Gegen 21 Uhr betreten die vier britischen MusikerInnen ohne Aufhebens zum ersten Mal eine deutsche Bühne. Alle sind uniform in Arbeitsoveralls gekleidet, ihre Gesichter bleiben verdeckt von bemoosten und verfilzten Dreads, an denen auch ein Joseph Beuys seine Freude gehabt hätte.

Mikrofonständer gibt es keine, stattdessen sind dicke, wie Wünschelruten aussehende Äste mit Kontaktmikrofonen versehen, die zwei der vier Klabauterfrauen und -Männer im Takt als Percussioninstrumente beklopfen. Auf der Leinwand ist nun ein Film zu sehen, in dem ein Wald durchquert wird. Immer tiefer geht es ins Unterholz, aber die mutmaßliche Drummerin und der baumlange Bassist halten das fiepende und feedbackende Herumgeirre ihrer Nebenleute an Keyboard, Effektpad, Sampler und Gitarre mit Verve auf Kurs.

Der Sound von Snapped Ankles ist ein Mischwald aus Krautrock, hypernervösem Postpunk und tribalistischem Dancefloor, wobei die Summe der Einzelteile etwas Neues ergibt. Es geht nicht um Hooklines, sondern um das Gleiten durch Sounds, nur der furztrockene Groove sagt jeweils, wo’s langgeht. Auf ihrem vor wenigen Tagen veröffentlichten zweiten Album „Stunning Luxury“ wird diese Mission in dem Track „Dial the Rings on a Tree“ evident: Raus aus dem Song, rein in die freie Landschaft von Feedback, Effekten und Echo.

Sexuell zu Bäumen hingezogen

Live franst das öfter mal aus, was der Bestimmtheit von Snapped Ankles überhaupt keinen Abbruch tut. Auch nicht beim Hit des Albums „Drink and Glide“, der ein bisschen an die geschmeidigen, ganz frühen Roxy Music erinnert, unwiderstehlich im Drive, aber ohne allzu aufdringlichen Popismus. Der Sänger-Waldschrat von Snapped Ankles steigt immer wieder von der Bühne und pflanzt sich mit seinem Mikrofonast in den Zuschauerraum. „Bless the sound / Put more concrete in the ground“, singt er dazu.

Analog-Punk-Elektronik von sich zu Bäumen sexuell hingezogen fühlenden Immobilienmaklern? Ganz genau!

In einem Interview hat ein Sprecher der Band erklärt, durch künstliche Intelligenz werde das Gesicht in Zukunft ein immer lukrativerer Konsumgegenstand, deshalb verbergen Snapped Ankles ihr Äußeres. Auf der Bandcampseite geht die Verschleierung von Snapped Ankles sogar noch weiter: „AGGROcultural PUNKTRONICA from AnalOGe Dendrophilia Mediators Est8Agents Forest Rd“. Landwirtschaftlich organisierte Analog-Punk-Elektronik von sich zu Bäumen sexuell hingezogen fühlenden Immobilienmaklern aus der Forest Road? Ganz genau! „Recharchgeable“ heißt ein Song von Snapped Ankles, dessen Idee auf eine Partyreihe der Band zurückgeht. In einem besetzten Warehouse in Ostlondon veranstalten sie illegale „Stromausfall“-Parties, bei denen die Gäste den Strom durch Strampeln auf Fahrrädern erzeugen.

Am Freitag behauptet einer der Waldschrate, wir befänden uns gerade in einem Workshop, bei dem es ums „metaphorische Gehölz“ gehe. Anders als Häuser und Gegenden lassen sich Bäume nun mal nicht aufwerten. Am Berghain gefalle Snapped Ankles, so bekundet ein anderer Waldschrat am Freitagabend, dass der Raum einfach bleibt, einen alten Baum könne man auch nicht verpflanzen. Dann covern sie „Tailpipe“ von Can und verziehen sich unter dem Jubel der ZuschauerInnen wieder ins Unterholz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.