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Konzept der NächstenliebeEigentlich gut

Unsere Autorin freut sich über die Nächstenliebe ihrer Eltern. Weil diese Liebe wegen der Kirche in Verruf geraten ist, plädiert sie für ein Rebranding.

Ausschnitt eines Gemäldes: St. Martin gibt einem Bettler ein Stück von seinem Mantel Foto: Joost Cornelisz/imago

Q ua Beruf beschäftige ich mich ja sehr viel mit dem Thema Liebe. Doch in letzter Zeit habe ich mir sehr viele Gedanken speziell zum Thema Nächstenliebe gemacht.

Dazu habe ich meinen Stiefvater mal gefragt. Pensionierter Pfarrer und überzeugter Christ. Ich bin ja auch Christin, aber nicht so überzeugt. Zumindest die meiste Zeit. Das Konzept Nächstenliebe fand ich auf einer theoretischen Ebene schon immer sehr spannend.

Praktisch habe ich jedoch oft den Eindruck gehabt, dass christliche Nächstenliebe nicht konsequent ist beziehungsweise voller Widersprüchlichkeiten steckt. Ein Beispiel: Selbst ernannte Christen, die in Trumps Amerika für alle und jeden Verständnis und Liebe haben, außer für Geflüchtete, Schwule, Lesben und trans Menschen.

Oder ein Beispiel aus meiner eigenen Geschichte: Im Genozid gegen die Tutsi hat sich die Kirche und insbesondere die katholische Kirche nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Hochrangige Priester haben Tausende von Menschen in den Tod geschickt, nur weil sie Tutsis waren und in den Augen der Priester es nicht verdient hätten zu leben.

In Verruf geraten

Das Konzept Nächstenliebe ist also im Zusammenhang mit der Kirche – sagen wir mal – in Verruf geraten. Vielleicht braucht Nächstenliebe ein Rebranding. Ich kam darauf, weil ich mit meinem Stiefvater sprach, der mehrmals die Woche die demente Mutter eines Bekannten von uns besucht, pflegt, mit ihr liest und Essen kocht.

Bis vor ein paar Wochen traf er sich regelmäßig mit einem Mann aus unserer alten Nachbarschaft, der sehr lange ein massives Drogenproblem hatte. Sie saßen in seinem Schrebergarten, unterhielten sich, lachten und tauschten Geschichten aus. Als dieser Mann starb, vererbte er das Wenige, was er hatte, meinem Stiefvater. Als Dank dafür, dass er sich um ihn gekümmert hatte.

Ich spreche und schreibe sehr oft über meine Eltern, weil sie in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für mich sind. Diese Geschichten haben mich sehr beeindruckt. Die Selbstlosigkeit, mit der mein Vater diese Besuche bis zum Tod des Mannes und der Coronadiagnose der Bekannten durchgezogen hat, haben mich beeindruckt.

Menschen sind da, um anderen zu helfen

Ist das Nächstenliebe? Und was ist eigentlich die Motivation meines Stiefvaters zum Beispiel? Oder die Motivation meiner Mutter, wenn sie das Studium für völlig fremde Menschen zahlt?

Beide sind, wie gesagt, Christen, aber das allein scheint es nicht zu sein. Mein Stiefvater sagte mir, dass es für ihn nicht mit dem Ruhestand zu tun hat oder mit „seinem Chef da oben“.

Seine Überzeugung ist eine ganz einfache: Menschen sind da, um anderen Menschen zu helfen. Klingt vielleicht banal und extrem einfach, aber in dieser extrem chaotischen Zeit bin ich für jeden einfachen Ratschlag dankbar.

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Anna Dushime
Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada
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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich bekomme mehr zurück als ich schenke.

    Aber oft kommt die Antwort durch eine andere Tür herein.

  • Im April hat Anna Dushime über die Stärke ihrer Mutter geschrieben. Vor 26 Jahren hat ihr diese Frau mitten in einem Völkermord ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Obwohl sie selber gelitten hat und leicht hätte umkommen können. „Wie hat sie das gemacht?“, hat sich Anna Dushime gefragt. Vermutlich ist die Antwort zugleich simpel und kompliziert: Mit Liebe.

    Liebe, Vertrauen und das Gefühl von Sicherheit bedingen einander. Wie das kommt, können Psychologen und Hirnforscher gewiss ganz genau erklären. Das hilft bloß niemandem, der das Phänomen nicht selber erfahren hat.

    Nein, Nächstenliebe braucht kein „Rebranding“. Sie muss erlebbar werden, wenn sie überleben soll. Nicht als abstrakte Pflicht, sondern als echtes Bedürfnis. Als Bedürfnis, das seinerseits aus Erfahrungen erwachsen ist. So, wie in der Familie der Autorin.

    Möglich, dass in Anna Dushimes Familie die Religion eine der Quellen dieses Bedürfnisses ist. Nur scheint das Christentum da nicht mit Feuer und Schwert geherrscht zu haben. Liebe ist nichts, was Menschen aus einer Machtposition heraus beanspruchen könnten. Als Pflicht ist Liebe nicht überlebensfähig. Sie stirbt und verwandelt sich dabei in Angst bzw. Hass. Hass oder Angst aber können niemandem Sicherheit geben. Sie können nur wieder Angst und Hass erzeugen.

    Vermutlich liebt Anna Dushimes Mutter ihre Kinder einfach zu sehr, als dass sie ihnen ihre eigene Furcht hätte zeigen wollen. Erleichtert hat ihr den Wunsch, stark zu sein, womöglich die Liebe zu einem Gott, auf dessen Schutz sie vertrauen konnte. Und zwar auch ohne Hilfe einer mächtigen Institution wie etwa einer Kirche oder der UN.

    Die Mutter der Autorin konnte Sicherheit geben, weil sie es wollte. Sie hatte die nötigen Ressourcen und konnte nicht daran gehindert werden. Wer sich trotz aller Schwächen geliebt fühlt, kann geliebte Menschen unmöglich bewusst leiden lassen. Daraus erwächst die Kraft einer Selbstbeherrschung, die stärker ist als alles andere.

  • "(...) dass christliche Nächstenliebe nicht konsequent ist beziehungsweise voller Widersprüchlichkeiten steckt. Ein Beispiel: Selbst ernannte Christen, die in Trumps Amerika (...)"

    Ich würde nicht sagen dass die christliche Nächstenliebe an sich widersprüchlich ist, sondern dass einige Personen und Gruppen unter dem Label "Christentum" eine ganz andere Agenda verfolgen. In dem in den USA populären prosperity gospel ("Wohlstandsevangelium") z.B. spielt Nächstenliebe keine Rolle. Wo dieses zentrale Element des Christentums aber fehlt bleibt nur Egoismus, mit pseudo-religiöser Lithurgieshow verkleidet.