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Konservativer Rollback in EuropaZurück in die falschen Fuffziger

Ob Homo-Ehe oder Abtreibung – mehrere Länder Osteuropas arbeiten an der Abwicklung demokratischer Errungenschaften.

Warschau, Mai 2016: Auf einer Demo polnischer Nationalisten trägt ein älterer Mann ein selbstgebasteltes Holzkreuz vor sich her Foto: dpa

Wenn osteuropäische Staaten jetzt in Brüssel äußern, man trage eine europäische Moral nicht mit, weil man eigene Werte eingebracht wissen will, muss man sagen: Nein, das wollen wir nicht. Was jene wollen, hat keinen Wert, es ist giftig und falsch. Dann ist das EU-Projekt lieber tot als lebendig. Eine Europäische Union, in der sich viele Länder ihre Werte und Moralvorstellungen vom Klerus oder vom Kreml vorgeben lassen, ist wertlos. Brexit? Dann lieber gleich namens der liberalen und säkularen Länder ein EUxit.

Aus dem Osten – wie aus dem Westen, hier mögen die Stichworte AfD und Front National reichen – kommen derzeit gruselige Nachrichten. Meldungen aus dem ganz nahen Osten schaffen es nur selten in unsere mitteleuropäische Wahrnehmung. Diese hier sollte von Belang sein: Die lettische Kirche, evangelisch-lutherisch, hat auf ihrer jüngsten Synode die Frauenordination wieder abgeschafft. Lettlands Staatskirche storniert, plebiszitär abgesichert, das, wie die Synodalen es sahen, Elitenprojekt ihrer Oberen: Ein Symbol der Gleichberechtigung von Frauen soll nicht mehr gelten.

Im Osten Europas stehen noch mehr Errungenschaften einer demokratischen Geschlechterwelt auf dem Spiel. „Genderwahn“ heißt die Hetzvokabel gegen das hart Erkämpfte. Die AfD hat sie in die deutsche Öffentlichkeit getragen, auch in anderen Ländern stiften damit Parteien erfolgreich Atmosphären der Entwertung. Es geht immer um die Diskreditierung aller Politik, die klassische heteronormative Strukturen zumindest ein wenig irritieren. Etwa im Schulunterricht, in dem andere Lebensmöglichkeiten als die Hetero-Familie wenigstens nicht demoralisiert werden.

Es ist nicht nur ein Murren über die menschlichere, moderne Art des Blicks auf Familiäres und Sexuelles, sondern ein Kampf. Und er wird von Russland über Polen bis hin nach Westeuropa geführt. Es ist eine christlich angefütterte, letztlich völkische Sache: Zurück in die (falschen) Fuffziger!

Heiß gehasst von den Konservativen: Conchita Wurst

In Polen soll wieder ein Abtreibungsrecht gelten, das einer Kriminalisierung aller Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, gleichkommt. In Slowenien ist vor wenigen Monaten per Volksabstimmung vereitelt worden, die Ehen Gleichgeschlechtlicher mit denen heterosexuell veranlagter Menschen gleichzustellen. In Russland gilt ein Gesetz, das Homosexuelle faktisch verfolgt – und alle, die über Schwule und Lesben freundlich sprechen. Heiß gehasst wurde von konservativ-völkischen Machtinhabern Osteuropas und der Türkei der Sieg des schwulen Tom Neuwirth und seiner Kunstfigur Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest 2014.

Es ist ein Kampf im Gang gegen einen modernen Blick auf Familiäres und Sexuelles

Als das rot-grüne Wien voriges Jahr einige Verkehrszeichen symbolisch queerte, also das Ensemble der etablierten Ampelmännchen durch andere Motive (Frauen, Männer- und Frauenpaare, gemischt geschlechtliche Paare) ergänzte, gab es unter FPÖ-Politiker*innen Empörungen – aber in Osteuropa rief diese winzige Reform der üblichen Repräsentationslogik Entrüstungen hervor, als drohte tatsächlich der Untergang der Zivilisation. Lächerlich, albern, kleinkrämerisch? Gewiss.

Es soll abgewickelt werden, was seit fünfzig Jahren – zunächst im nichtsozialistischen Teil Europas – stärker wurde und ziemlich viele Erfolge errang: Die Kritik und schließlich eine, man könnte sagen: Unterspülung der herrschenden patriarchalen Hetero-Matrix. Das Leiden von Millionen an dieser heterosexuellen Zucht (und der Verfolgung aller anderen) sollte ein Ende haben.

Niemandem wird seit Jahrzehnten vorgeschrieben, wie es Rechtspopulisten bis hinein in CDU/CSU-Kreise behaupten, wie ein Leben zu leben ist. Vielmehr wurden Möglichkeiten erweitert: Neben dem Heterosexuellen könnte es ein gelingendes, nicht verfolgtes, kriminalisiertes oder beschwiegenes Leben von Homosexuellen geben.

Es soll sein, wie es früher war – oder schien

Die aggressiv geäußerte Furcht – von Putin bis Marine Le Pen – vor der Auflockerung der Geschlechtsordnung ist der Kern allen Rechtspopulismus. Es soll so sein, wie es früher war (oder jedenfalls schien). Es soll verfolgt werden, was diese Ordnung erodieren hilft: Frauen, die den Zeitpunkt des Gebärens selbst bestimmen möchten; Schwule und Lesben, die nicht im Underground gehalten werden wollen – insofern alle, die die christlich grundierte Mann-Frau-Kind(er)-Familie nicht abschaffen wollen (warum auch?), sondern ihre Legitimität in den öffentlichen Darstellungsformen nicht behelligt wissen wollen.

Dass die Popularisierung rechter Politik in den vergangenen Monaten sich vor allem der Flüchtlingsfrage verdankt, ist nur ein – aus der Sicht der Rechtspopulisten und ihrer Kundschaften – willkommener Mehrwert an Glaubwürdigkeit: Man will eben keine Fremden, weder inländisch noch von außen einwandernd. Der Wunsch lautet faktisch: Russland, Polen wollen Gesellschaften, die völkische sein sollen, eine Mixtur aus Christlichkeit und Heteronormativität. Möge die polnische PiS-Führung und ihre Regierung sich auch vor Russland fürchten: In Wahrheit eint beide Länder das gleiche ideologische Gebräu – zu dem neben aller Normativität im moralischen auch Hass gegen alles Fremdscheinende zählt.

Es ist insofern ein gigantisches Abwicklungsprojekt von allem, was seit den frühen sechziger Jahren das politische Differenzprojekt war. Wir benennen es gewöhnlich mit der Chiffre „68“ – sie barg viel weniger Sozialismusutopie als vielmehr die Vorstellung von einer zivilisierten und zivilisierenden Fähigkeit zur Anerkennung des anderen schlechthin. Dies war und ist ein liberales Ansinnen – wem das Wort „liberal“ aufstößt, weil damit nur die FDP verbunden wird, möge libertär sagen: Ein Eintreten für Freiheit, Eigensinn, Fremdsein ohne Behelligung, Selbstverantwortung, Em­powerment zur Distanz vom Allgemeinen.

In den postjugoslawischen Ländern steht das Wort „europäisch“ im Übrigen für alles Seltsame. Besonders steht es für: Schwules oder Lesbisches oder Trans. Das hat auch so seine Richtigkeit, denn wahr ist auch, dass die EU als Staatenallianz für diese Liberalität entscheidende moralische und gesetzliche Anschubleistungen erbrachte.

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17 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Also man kann der derzeitigen polnischen PiS Regierung tatsächlich vieles vorwerfen, unter anderem die derzeitige Nähe zur Bürgerbewegung gegen die Abtreibung. Fakt ist jedoch, dass die polnische Regierung derzeit keine Hetze gegen Homosexuelle betreibt oder aktiv Gesetze gegen diese erlässt (ganz im Gegensatz zu Rußland). Überhaupt ist Polen das einzige Land in Europa in dem Homosexualität niemals strafbar war (ganz im Gegensatz zu Deutschland). http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2016/06/02/dradiowissen_homophobie_in_polen_20160602_5e1b2498.mp3

  • Die Hinwendung ehemals Linker zum neoliberalen Irrweg führt ebenso in die falschen Fünfziger, nämlich die McCarthy-Jahre zurück!

     

    Mit dem Finger auf katholisch-homophobe Polen zeigen, aber selber die Augen vor Zuständen im eigenen Land verschließen, hat auch ein Geschmäckle!

  • Ich habe nicht das geringste Verständnis für rückwärts gerichtete reaktionäre Entwicklung in manchen Staaten der EU, insbesondere Osteuropas. Wir haben hier Jahrzehnte gebraucht, um uns eine tolerante, menschenfreundliche und liberale Haltung anzuerziehen, was zu großen Teilen funktioniert hat. Sollen wir uns dies nun von verblendeten Ideologen kaputt machen lassen? Diese mittelalterlichen Werte sollten wir uns nicht aufdrücken lassen und keine faulen Kompromisse eingehen, um eine ohnehin marode EU zu retten.

     

    Wer diese reaktionären Einstellungen durchdrücken will, der soll aus der EU austreten. Und wenn die EU sich dabei auflöst, wäre dies besser so. Wir sollten uns von keinem Staat, keiner institutionalisierten Religion oder einer gesellschaftlichen Gruppierung vom Pfad eines toleranten Humanismus abbringen lassen.

     

    Wo kämen wir hin, wenn wir es zulassen würden, daß Errungenschaften z. B. hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen, die schon vor 2500 Jahren in unserer keltischen Gesellschafts existierten, heutzutage von ewig Gestrigen infrage gestellt werden? Das ist jedenfalls keine Welt, in der ich leben möchte.

    • @Peter A. Weber:

      "Wir haben hier Jahrzehnte gebraucht, um uns eine tolerante, menschenfreundliche und liberale Haltung anzuerziehen..."

       

      Richtig. Und jetzt verlangen wir von anderen, dass sie das einfach übernehmen. Aber die Änderung von tief verwurzelten Ansichten braucht Zeit und ist auch in D noch nicht abgeschlossen.

  • Herr Feddersen, Sie haben Recht mit Ihrer Beschreibung. Doch auch Deutschland ist nicht frei von einer zunehmenden Politikbeeinflussung durch den Klerus oder durch religiöse "Ideen". Herr Gauck und Frau Göring-Eckardt sind Theologen, Frau Merkel ist Pfarrerstochter. Sie zusammen mit der EKD-Vorsitzenden Bedford-Storm vertreten und begründen die naive Willkommenspolitik seit 2015 mit einer angeblich unbeschränkbaren christlichen Nächstenliebe, die die totale und märtyrerhafte Selbstaufgabe wie selbstverständlich mit einschließt. Das ist dann nicht bloß ein Rückfall in die 50er sondern in die Zeit totalitärer religiösem Allmachtsanspruchs.

  • Also was die von Mowgli (unten) an J. Feddersen vorgebrachte „Westler“-Sicht anbetrifft (Wer den gleichnamigen BRD-Streifen (1985) zu einer „unmöglichen Ost-West-Liebe zweier junger DDR&BRD-Schwuler nicht kennt, sei er ans Herz gelegt), also die Kritik ist sicher zum Teil berechtigt.

     

    Es war der leicht von anderen Substanzen getrübte Blick von uns West-Gays, den „Kindern von Marx & Coca-Cola“, denen Timothy Leary, The Doors, Tom of Finland oder Rosa von Praunheim eben viel näher lag als ein Blick ins DDR-Strafgesetzbuch oder das Wissen, dass es Mitte der 80er auf der Schönhauser in Prenzelberg in der Schoppenstube“ oder im „Burgfrieden“ durchaus offenes schwules Leben gab.

     

    Zur Blütezeit in den 80er Jahren feierten allnächtlich bis zu 300 Leute in der „Schoppe“ und dem dazugehörigen Kellerraum, beinahe ebenso viele warteten vor der Tür auf Einlass. Holzvertäfelte Wände, ein Keramikfries als Bordüre und das sakrale Fenster aus buntem Glas gaben dem Lokal seinen gemütlichen (aus Westler-Sicht natürlich total ´spießigen´) Charme.

     

    Unterm Strich muss ich aber Jan Feddersen danken für Beschreibung & Kritik am Rollback“. Ich persönlich greife gern auf die auch von Psychologen herangezogenen Begrifflichkeiten wie dem unterschwelligen Wunsch nach Homogenität einer (real nie existierenden) „Volksgemeinschaft“ zurück in der sich „Reinheitsfantasien“ widerspiegeln, die der Ausgrenzung und Verfolgung vorausgehen.

     

    Was Gauland u.a. für 2016 wieder herbeisehnen war in den falschen “Fuffzigern“ Realität: Der BRD-Normalspießer, vom Verdrängen der Nazijahre & Reinschmecken ins „Wirtschaftswunder“ erschöpft, konnte sicher sein im Urlaub am Hotelpool nicht (wie heute) den Anblick von Behinderten „ertragen“ zu müssen oder von zwei sich küssenden Kerlen vor ihm in der Kassenschlange beim Rewe.

     

    Diese von braunen Stockflecken durchsetzte, mehr als stark miefige Ideologie der vereinten Rechten von Putin, über Höcke bis LePen gilt es stets von neuem anzuprangern.

  • Ihre Ausführungen zum "rollback" einer liberalen Gesellschaft sind völlig richtig. Allerdings blendet:

     

    "Es soll abgewickelt werden, was seit fünfzig Jahren – zunächst im nichtsozialistischen Teil Europas – stärker wurde und ziemlich viele Erfolge errang..."

     

    aus, dass das z.B. der §175 in der DDR viel früher abgeschafft wurde. Und beim Abtreibungsrecht hinkt die BRD immer noch weit hinter der DDR her.

     

    Es ist also nicht eine Frage von Sozialismus oder Kapitalismus, sondern eine Frage des Einflusses der "Konservativen". Besonders des Einflusses der Kirche.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      soo könn mers nehme;)

  • Man kann zwar Nachvollziehen, dass sich manche gegen Veränderungen aufbäumen und sich nach eingebildeten guten alten Zeiten sehnen, aber letztendlich ist es eine Sackgasse die alles nur noch Schlimmer macht.

  • Das ist kein Rollback.

    Ihr Linken habt nur die letzten Jahre ganz doll die Augen geschlossen und alles in "Europa" eingepackt was ihr euch so erträumt oder vorstellt.

     

    Dumm nur das das nichts mit der Realität zu tun hat.

    Guten Morgen, willkommen in der EU.

  • Ich konnte jahrelang in der WIWO beobachten,wie die Ulrike Meinhof Tochter Bettina Röhl gegen alles "Linksgrünversiffte" trommelte und immer mehr Anhänger um sich scharte,in ihrer wöchentlichen Klolumne(freudscher Vertipper).Als Tochter der bekanntesten und klügsten Linksterroristin,die das rhetorische Talent ihrer Mutter durchaus geerbt hat,kann man solch eine Ablehnung alles Linken vielleicht verstehen und ihr ihre Glorifizierung der fünfziger Jahre,die sie selbst auch nur vom Hörensagen kennt,nachsehen.Sieht sie doch die Schuld für den "Niedergang" Deutschlands in Sitte,Moral und Wirtschaft(damals ordentlich die Angst vor der Energiewende geschürt),bei dieser verhassten Klientel.Fatal wird es,wenn solche Leute in entsprechende Positionen kommen(WiWo, viel beachtete Wirtschaftszeitung) und von Konzernen gefördert werden,weil sie beispielsweise an Atom und Kohle festhalten wollen,weil ja Wind und Solar für sie grüner Schwachsinn sind.

    • @Markus Müller:

      Gibt es die Wirtschaftswoche auch

      auf Polnisch,Tschechisch , Ungarisch ?

      Wenn nein , ist Ihr Debattenbeitrag am Thema vorbei.

    • @Markus Müller:

      Nein - Fatal wird es dann wenn ein paar Wenige meinen den anderen vorschreiben zu müssen was Schwachsinn ist und was nicht.

       

      Ihre Energiewende mag ja im wohlstandsverwöhnten Deutschland gut ankommen - aber auch nur da.

    • @Markus Müller:

      D.h. sie wollen Arbeitsverträge und Beförderungen an die politische Einstellung koppeln?

      Natürlich nur von Leuten die nicht ihrer Meinung sind, gelle :)

  • Eine Europäische Union, in der sich viele Länder ihre Werte und Moralvorstellungen vom Klerus oder vom Kreml vorgeben lassen, ist "wertlos" und "lieber tot als lebendig"? Wissen Sie überhaupt, wie Sie klingen, Herr Feddersen? Sie klingen, als hätten Sie einen 1-A-Indianerschlächter abgegeben damals in den wilden Jahren des wilden Westens!

     

    Haben Sie sich schon einmal gefragt, woran es liegen könnte, dass grade nicht so viele positive Nachrichten kommen aus "dem ganz nahen Osten"? Ich glaube, ich kann es Ihnen sagen: Das "hart Erkämpfte" wurde dort besonders hart ERkämpft. Und alle, die es nicht mit tragen wollten, wurden besonders hart BEkämpft. Nun, da die große Freiheit ausgebrochen scheint, kriechen die Ratten aus den Löchern, in denen sie seit Jahrzehnten auf bessere Zeiten gewartet haben. Man hat die Leute überrollt, nicht überzeugt. Man hat ihnen Gewalt angetan ihrer Ansicht nach und wundert sich nun, dass sie auf Rache sinnen.

     

    Nein, ich bin kein AfD-Versteher. Auch nicht katholisch. Ich wünsche mir, dass das, was unsere Zeit zur besten aller Zeiten macht für mich, Bestand hat. Nur, dass ein neuer Gulag die Lösung sein kann, glaube ich nicht. Überhaupt habe ich wenig Lust, männliche Denkschemata zu duplizieren. Die Männer hatten ihre Chance. Jetzt mache ich mir meinen eigenen Reim auf das, was ich erlebe. Und der geht so: Macht kann Gewalt, mehr nicht. Gewalt aber hilft, Ärger zu vertagen – in der Hoffnung, dass er dann jemand anderen trifft, nicht einen selbst. Das ist so dumm wie unfreundlich.

     

    Überhaupt: Wenn ich sehe, wie behaglich sich gewisse Leute eingerichtet haben im Schutz der Macht, die keine Überzeugung hat, sondern bloß ein Image, wundert mich der Rollback gar nicht. Die meisten Menschen hier scheinen jede Mühe zu verabscheuen. Man lässt nicht nur das Klo fremdputzen und die Hemden fremdbügeln, wenn man sich's leisten kann, man geht auch jedem Konflikt aus dem Weg, den man nicht aus einer Position der Stärke heraus führen kann.

    • @mowgli:

      Dem Gefühlshaushalt genügt es offenbar, wenn verbal geäußerte moralische Entrüstung zu eine ebenfalls verbal geäußerten Solidarität vermeintlich Gleichgesinnter führt – und alle vier Jahre das "richtige" Kreuz gemalt werden darf. Wenn es dann nicht trägt, das Kreuz, wenn Kosmetik die Risse nicht mehr zu verdecken vermag, die mangels Kitt entstanden sind, steckt man den Daumen in den Mund und greint: Es soll wieder so sein wie es früher war – oder doch zumindest schien. Den Anderen wird vorgehalten, woran man selber krankt. Kreuz-Gläubige gegen Kreutz-Gläubige - Konservative unter sich.

       

      Ach ja, eins noch, Herr Feddersen. Sie sollten sich nicht ZU viel einbilden auf "die Kritik" und die angebliche "Unterspülung der herrschenden patriarchalen Hetero-Matrix" im Westen. Ihre Freiheit war nur ein Lehen. Ich kann verstehen, dass Sie kein all zu großes Interesse am Osten hatten, bevor von dort der "Rollback" kam. Aber etwas mehr Recherche hätte ihrem Text doch gut getan. Der § 175 StGB wurde erst 1994 abgeschafft. Bis da hin war der Osten Vorreiter. Der § 151 Strafgesetzbuch der DDR, der "gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit Jugendlichen" bestraft hat, wurde bereits 1988 ersatzlos gestrichen und unter Erwachsenen war gleichgeschlechtlicher Sex sogar schon seit den "falschen 50-ern" straffrei. Bereits damals also hätte es im Osten Deutschlands "ein gelingendes, nicht verfolgtes, kriminalisiertes oder beschwiegenes Leben von Homosexuellen geben können". Wenn es damit nicht geklappt hat, hatte das womöglich damit zu tun, dass die DDR-Regierung aus Sicht der DDR-Bürger eine weit geringere Legitimation hatte, als die Bundesregierung, die 20 Jahre lang am Nazi-Paragraphen festgehalten hat.

       

      Man hatte einfach keine Wahl als Ossi. Auf der besteht man jetzt. Sie können das womöglich nicht verstehen. Sie waren immer Wessi, Herr Feddersen, und wollten offenbar auch nie was anderes sein.

  • Ja, ein Rückfall ist überall deutlich spürbar. Schönes Wortspiel im Titel !