Konservativ-liberale Lebensentwürfe: Fallen eines Summa-cum-laude-Lebens
Es lohnt, sich mit Guttenbergs Lebensentwurf weiter zu beschäftigen. Erhellend ist aber auch, die konservativ-liberale Regierung insgesamt zu betrachten.
BERLIN taz | Was in der verständlichen Aufregung der vergangenen Tage und der Zuspitzung auf die Plagiatsfrage etwas unterging, ist die Tatsache, dass man Karl-Theodor zu Guttenberg auch einfach interessant finden konnte. Nicht nur als Politiker (den man ernst nehmen musste), sondern auch als Phänomen, in seinem Lebensentwurf.
Sein selbstverschuldeter Rücktritt war unvermeidlich, die Legendenbildung um seine Person ebenso aufgesetzt wie durchschaubar. Aber in einem Punkt ist es auch ein ganz klein wenig schade, dass er erst einmal von der politischen Bühne verschwunden sein wird: Es ging alles viel zu holterdiepolter, man war mit der Analyse dieser Figur noch gar nicht richtig durch.
Interessant war zum Beispiel sein rasender Ehrgeiz, in allen Bereichen des Lebens brillieren zu wollen. Als Adeliger habe er Anerkennung gar nicht nötig, hieß es. Der Augenschein sprach eine andere Sprache. Vorzeige-Frau, Vorzeige-Familie, Vorzeige-Karriere, Vorzeige-Dissertation (so zumindest die Idee) und politische Vorzeige-Schneidigkeit. Das alles setzt sich zusammen zum Bild eines Hochleistungslebens.
Auch wenn Karl-Theodor zu Guttenberg in manchem so aussah, einer dieser lässigen bayerischen Genussmenschen, die ständig bei gutem Wetter im Straßencafé sitzen und "Passt scho" sagen, ist er dies keineswegs (er ist ja auch Franke). Nach einem konservativen Lebensentwurf, der sorgsam eingebettet ist in Traditionen, Bindungen und Werten, sieht manches darin auch nicht aus. Dazu hat das alles etwas allzu Außengeleitetes.
Was man von Karl-Theodor zu Guttenberg jetzt jedenfalls erst einmal bis zu seinem Comeback im Gedächtnis behalten wird, sind ein paar Möglichkeiten, allerlei Ungereimtheiten, ein schlechter Geschmack auf der Zunge und der Versuch einer Quadratur des Kreises.
Diesen Text über die Lebensentwürfe von Politikern und viele weitere spannende Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 5./6. März 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de erhältlich. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo
An drei Fronten wollte er sich beweisen: Neben dem Stress als junger Familienvater und einer anstrengenden Karriere hat er sich, so beschreibt er es, allabendlich hingesetzt, um in mühevoller Kleinarbeit eine Summa-cum-laude-Arbeit hinzubasteln. Der Freiherr selbst hat das als Quadratur des Kreises bezeichnet, in der Fragestunde des Bundestages zu den Plagiatsvorwürfen.
Mindestens ebenso interessant wie das Scheitern daran ist aber der Wille, das überhaupt ernsthaft zu versuchen. Der Versuch hätte natürlich auch klappen können. Aber das hätte eine noch größere Anstrengung bedeutet, als sein Gelingen - wie Guttenberg es dann tatsächlich hielt - nur vorzutäuschen.
Guttenberg selbst hat sich in der Fragestunde Hochmut attestiert. Das kann man so stehen lassen. Man kann aber auch etwas Prinzipielles ausmachen: Es scheint, als sei es ganz schön kompliziert geworden, heute als konservativ erscheinen zu wollen. Mit Vortäuschungen kommt man da nicht mehr hin.
Vielleicht ist es ganz erhellend, von diesem Punkt aus den Fokus aufzuziehen und die konservativ-liberale Bundesregierung, die sich als Regierung der Mitte versteht, insgesamt in den Blick zu nehmen. Selbstverständlich liefert sie neben Gesetzesvorlagen und politischen Reibereien auch tatsächlich in sich stimmige konservativ-liberale Lebensentwürfe übers Fernsehen in die Wohnzimmer.
Ursula von der Leyen mit ihrer Frisur und ihrer Kinderschar. Wolfgang Schäuble mit seiner verbissenen Pflichterfüllung. Thomas de Maizière mit seiner ausgestellten Sachlichkeit, auch jetzt als Guttenberg-Nachfolger im Verteidigungsministerium.
Wie immer man die von ihnen betriebene Politik nun findet, das alles ließe sich zu einem pragmatischen und liberal aufgehellten Konservatismus zusammenfügen, so wie man es sich nach der Wahl dieser Regierung erwartet hatte.
Aber diese Regierung liefert dem Beobachter, das muss man auch schlicht einmal anerkennen, halt auch immer wieder Überraschungen. Guttenberg ist nur ein Beispiel. Im Licht seines Falles schimmert auch Kristina Schröders Vorhaben, mitten im Amt Mutter zu werden, noch einmal hell auf. In manchem erscheint es als weiblicher Gegenentwurf zu Guttenbergs Rundumperfektionsstreben.
Auch Kristina Schröders Lebensentwurf hat etwas von der Quadratur eines Kreises (unter der verschärften Bedingung, dass bei Mutterschaft noch nicht einmal Copy- und Paste-Taste funktionieren). Jürgen Habermas soll einmal gesagt haben, dass das, was von 68 blieb, die liberale CDU-Familienministerin Rita Süssmuth war.
Wenn das stimmt, ist eine Variante, die von Rita Süssmuth blieb, Kristina Schröder: als Ansatz, die von Habermas diagnostizierte "Fundamentalliberalisierung" der Bundesrepublik einmal ganz praktisch durchzuspielen.
Interessant sind die Brüche, die dabei entstehen. Gesellschaftspolitisch war diese öffentliche Schwangerschaft vielleicht schlicht fällig, als Zeichen dafür, dass Kind und Karriere sich für moderne Frauen nicht ausschließen sollen.
Und mit einem konservativen Lebensentwurf, wie man ihn lange Zeit kannte, hat dieser Ausbruch aus den traditionellen Mütterlichkeitsrollen von Symbiose und Innigkeit wenig zu tun. Manches an der Sache wirkt geradezu, als habe unsere Familienministerin das Buch "Die deutsche Mutter" gelesen, in dem Barbara Vinken mit diesen Rollen abrechnet.
Dennoch zögert man doch sehr, diese Verabschiebung des Hausfrauenideals ganz unter dem Stichwort Emanzipation abzubuchen. Allzu sehr schimmert hier ein Projektdenken durch. Neben dem Projekt einer politischen Karriere wird dann eben, wenn es ansteht, auch das Projekt Kinderkriegen durchgezogen.
Statt einem auf Gesellschaftsveränderung zielenden "Yes, we can"-Denken ist ein Aufgabenerfüllung signalisierendes "Yes, I can"-Denken spürbar. Aber so perfekt die Kinderbetreuung bei Kristina Schröder auch organisiert werden mag, natürlich ist das auch ein Experiment in Sachen Selbstüberforderung.
Was die Lebensentwürfe von Karl-Theodor zu Guttenberg und Kristina Schröder eint, ist dieser rasender Ehrgeiz, in allen Lebensbereichen perfekt sein zu wollen (wobei Kristina Schröder allerdings immerhin keine Schummeleien zu Hilfe nimmt); offenbar können sie nirgendwo mit der Anspannung nachlassen.
Wer will, kann unter diesem Aspekt auch Guido Westerwelle mit in die Reihe aufnehmen. Der interpretiert das Perfekt-sein-Wollen als Perfekt-aussehen-Wollen. Wobei gegen gute Anzüge wirklich rein gar nichts zu sagen ist - auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die alten rot-grünen Rock n Roller, haben sich ihrer Anzüge als politische Arbeitskleidung und Rüstung bedient.
Aber wenn bei Westerwelle der Dresscode "casual" verlangt wird, inszeniert er sich eben perfekt casual. Und wenn er leger erscheinen will, inszeniert er sich so perfekt leger, dass es schon wieder etwas Verkrampftes hat.
Auf zwei unterschiedliche Weisen sind in diesen Lebensentwürfen Politik und Privates miteinander verbunden: Während Karl-Theodor zu Guttenberg und Kristina Schröder in der Mühle hängen, konservative und moderne Ansprüche zugleich erfüllen zu wollen, will Guido Westerwelle zeigen, dass ein entspanntes und selbstbestimmtes Leben auch, nein vielmehr: gerade jenseits der von ihm immer wieder angegriffenen linken Hegemonie möglich ist.
Westerwelle hat das Kohl-Erbe angetreten, den Linken ständig Miesepetrigkeit vorzuhalten. Auch Kohls Gegenentwurf war allerdings nicht vollkommen überzeugend.
Es besteht bei alledem aber überhaupt kein Anlass für Häme von linksliberaler Seite. Ein Patentrezept für selbstverwirklichtes Leben hat da auch noch keiner erfunden, selbst wenn das immer mal wieder behauptet wird. Und eine Ausrichtung auf irgendeine Art von Utopie statt einer Verwirklichung im Hier und Jetzt anzubieten, ist auch nicht mehr jedermanns Sache.
Außerdem mögen die beiden Standardvorwürfe gegen diese neue konservativ-moderne Politikergeneration - dass sie nur eine mediale Runduminszenierung anbietet und dass sie ökonomische Effizienzkriterien auch auf Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen anwendet - zwar teilweise zutreffen; letztlich tragen sie aber nicht weit. Denn die Lebensentwürfe dieser Politiker antworten durchaus auf reale und nicht nur auf medial oder diskursiv behauptete Probleme.
Man muss kein großes Ding draus machen: Es sind die üblichen Probleme der Individualisierung. Jeder Mensch kann seinem Leben einen Sinn geben, muss das aber auch selbst tun. Das ist eine Chance und eine Überforderung zugleich. Wie man von konservativ-liberalen Politikern derzeit erfahren kann, kann sich dabei die Falle auftun, dass man sich in einer Anspruchsüberfüllung verliert.
Aber in einem ganz anderen Boot sitzt man auf linksliberaler Seite keineswegs. Es ist wirklich interessant, immer mal wieder unverstellte Blicke auf die andere Seite zu werfen - auch wenn sie es den eigenen Ressentiments gelegentlich sehr leicht macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“