Konjunkturprognose der EU: Europa rutscht ungleich ins Minus
Wo die Pandemie hart zuschlägt, wird auch die Wirtschaft am stärksten getroffen, sagt die EU-Kommission. Europa steht erneut vor einer Zerreißprobe.
Wegen der Coronakrise dürfte die Wirtschaftsleistung der 27 Mitgliedsländer in diesem Jahr um 7,5 Prozent einbrechen, sagt Gentiloni voraus. Das wäre deutlich mehr als in der Finanzkrise 2009 und könne zu Spannungen in der Eurozone führen, warnte der Italiener.
Der Corona-Schock erschüttert Europa nämlich nicht gleichmäßig. Am schlimmsten dürfte es Italien und Spanien treffen. Weil Covid-19 dort besonders hart zugeschlagen hat und der Lockdown länger dauert, soll die Wirtschaft in beiden Ländern um mehr als 9 Prozent schrumpfen.
Deutschland steht mit minus 6,5 Prozent vergleichsweise gut da. Auch Polen kommt mit minus 4,3 Prozent glimpflich davon – genau wie Luxemburg, wo die Wirtschaft um 5,5 Prozent einbricht. Generell sieht es in Osteuropa besser aus als im Westen und im Norden besser als im Süden.
Problem: Ungleiche Erholung
„Diese Unterschiede sind eine Bedrohung für den gemeinsamen Markt und die Eurozone“, sagte Gentiloni. Denn nicht nur der wirtschaftliche Absturz verläuft unterschiedlich. Auch die für 2021 erwartete konjunkturelle Erholung ist ungleich verteilt.
Während Deutschland die Verluste im kommenden Jahr fast wieder ausgleichen dürfte (plus 5,9 Prozent), fallen Italien, Spanien und Frankreich zurück. Hier schlägt der Tourismus zu Buche – wegen der Grenzschließungen und Flugverbote droht eine verlorene Urlaubssaison.
Auch die Niederlande dürften sich nicht so schnell wieder erholen, da sie stark vom Welthandel abhängig sind. Dabei ist Den Haag bisher – neben Paris – der wichtigste Partner Deutschlands in der Eurozone. Wenn nun Frankreich und die Niederlande als Zugpferde ausfallen und Italien und Spanien noch mehr Schulden anhäufen, könnte dies zu massiven Spannungen in der Eurozone führen.
Auch der Binnenmarkt ist gefährdet. Der Wettbewerb auf dem EU-Marktplatz wird durch staatliche Beihilfen und Rettungsprogramme immer mehr verzerrt. Während Deutschland ein Programm nach dem anderen auflegt, können die anderen EU-Länder nicht mithalten.
Beihilfenmeister Deutschland
Schon jetzt entfielen mehr als 50 Prozent aller gemeldeten Beihilfen auf das größte EU-Land, heißt es in Brüssel. Zudem starten die großen deutschen Unternehmen schon wieder durch, während die Wirtschaft in Südeuropa, aber auch in Großbritannien, noch am Boden liegt.
„Es ist extrem wichtig zu vermeiden, dass diese Krise die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Unterschiede vergrößert“, sagt Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Die Erholung könne nur dann zum Erfolg werden, wenn alle an einem Strang ziehen: „Gemeinsam sind wir stärker.“
Doch die „starke und koordinierte Antwort“, die Dombrovskis und Gentiloni fordern, lässt auf sich warten. Die EU-Kommission wollte am Mittwoch ursprünglich einen Vorschlag für ein neues EU-Budget vorlegen, das auch ein „Recovery Instrument“ gegen die Krise enthalten soll.
Der mit Spannung erwartete Entwurf wurde aber nicht rechtzeitig fertig, er soll erst „in den nächsten Wochen“ folgen. Der Grund: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Bedenken. Merkel lehnt es ab, dass die EU-Kommission wie geplant Schulden aufnimmt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat versprochen, sich vor der Vorlage eines Entwurfs ganz eng mit ihrer Parteifreundin abzustimmen.
Prognose für eine neue Coronawelle
„Wenn wir nicht schnell handeln, dann könnte das sehr negative Konsequenzen haben“, warnt nun Gentiloni. Er sei jedoch zuversichtlich, dass bis Juni eine Einigung gelingen könne. Von dieser Prämisse – weiteren EU-Maßnahmen – geht auch die Konjunkturprognose aus. Sie basiert zudem auf der Annahme, dass das Coronavirus auf dem Rückzug ist und die Wirtschaft wieder anläuft.
Doch was passiert, wenn im Herbst eine zweite Corona-Welle durch Europa rollt und die Weltwirtschaft von Nationalismus und Protektionismus erschüttert wird? Dann könnte die Rezession noch viel schlimmer ausfallen, heißt es in Brüssel. Die Rede ist von bis zu minus 15 Prozent.
Das wäre dann noch mehr als in den 1930er Jahren. In der Großen Depression schrumpfte die Weltwirtschaft im schlimmsten Jahr „nur“ um 10 Prozent.
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