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Konjunktur der VerschwörungstheorienDie nervöse Republik

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Tausende demonstrieren gegen die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung. Man sollte sich von der Konjunktur des Irrsinns aber nicht irre machen lassen.

Protest am Sonntag in Stralsund Foto: dpa

I n Stuttgart jubeln ein paar Tausend einem einschlägig bekannten Verschwörungstheoretiker zu, der meint, Bill Gates habe Corona erfunden, um die Welt zu beherrschen. Ein Ex-Grüner hat kürzlich eine Partei mitinitiiert, die ohne Scheu vor Pathos „Widerstand 2020“ heißen soll – aber rekordverdächtig schon vor ihrer Gründung wieder zu zerfallen scheint. Die Republik wird jedenfalls nervös. Auch die Ränder des ex-alternativen Milieus, das schon immer wissenschaftsskeptisch gestimmt war, sind anfällig für schlichte Parolen.

Die machen das Schwierige einfach. Sie reduzieren die Komplexität der verwirrenden globalen Moderne auf ein praktisches Freund-Feind-Klischee. In dem Gewirr von Fachbegriffen der Epidemiologie, Statistiken und Ängsten vor dem eigenen wirtschaftlichen Absturz wächst die Neigung, Fake News zu glauben und einem archaischen Reflex zu folgen: Jemand muss schuld sein. Da bieten sich wahlweise Bill Gates, Angela Merkel, die Impflobby, die globalen Eliten oder die Medien an. Oder 5G-Funkmasten, die in Großbritannien abgefackelt werden.

Die Methode der Verschwörungstheoretiker erinnert an Trump. Auch dort verschwindet der Unterschied zwischen Fakten und Meinungen. Dass die AfD versucht, diese diffuse Bewegung für sich zu rekrutieren, passt ins Bild.

Warum jetzt? Es ist kein Zufall, dass die Paranoiker in dem Moment, in dem die Gesellschaft in eine fragile Normalität zurückkehrt, versuchen die Bühne zu entern. Der Konsens des Lockdowns löst sich auf. Gleichzeitig brechen stillgelegte soziale Kämpfe auf, welche Branche zuerst wieder öffnen darf. Beides ist nötig. Denn Demokratie heißt nicht Konsens von oben, sondern geregelter Kampf der Interessengruppen. Für manchen Restaurantbesitzer, der Angst vor dem Bankrott hat und sich benachteiligt fühlt, scheint die Idee, dass alles Lüge ist, anziehend zu sein.

Man sollte sich von der Konjunktur des Irrsinns aber nicht irre machen lassen. Denn all das ist auch ein flüchtiger Effekt der Aufmerksamkeitsökonomie. Selten war es leichter, die Scheinwerfer auf sich zu richten. Ein Autor von Kochbüchern hat es mit der Idee, als Samurai im Kampf gegen die Weltverschwörung zu sterben, zu einer gewissen Bekanntheit gebracht.

Diese neue Querfront ist nicht so einflussreich, wie sie es in ihren Filterblasen suggeriert. Weniger als 10 Prozent lehnen, laut einer ARD-Umfrage, das Krisenmanagement der Regierung rundheraus ab. Die Allianz von Impfgegnern bis zu Rechtsextremen ist laut und schrill – stabil schon weniger. Bislang haben wir es eher mit einem ästhetisch strapaziösen als demokratiegefährdenden Phänomen zu tun.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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6 Kommentare

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  • Ist halt ziemlich einfach, Andersdenkende als politisch extrem, verschwörungstheoretisch und durchgeknallt darzustellen. So werden sie diffamiert, öffentlich unmöglich gemacht. Ich dachte immer, in einer Demokratie ist die Diskussion das Mittel der Wahl.



    Warum hat eigentlich ein Beamter im Bundesinnenministerium diesen kritischen Corona-Bericht verfasst? Um seinen Job zu verlieren? So sind Beamte doch normalerweise nicht gestrickt, dass sie mal einfach so ihre Existenz aufs Spiel setzen. Wo ist der Journalist, der dieser Sache auf den Grund geht?



    Der Spiegel-Bericht dazu liest sich jedenfalls wie einer aus dem Neuen Deutschland:



    www.spiegel.de/pol...8509-e8ea282b98ca#

    Und wieso ist es jetzt politisch nicht mehr korrekt, die WHO in Frage zu stellen?



    www.deutschlandfun...:article_id=423076

  • Sehe ich auch so. Nicht überbewerten, das sind bloß eine Handvoll laute Quälgeister. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist vernünftig.

  • Die verrückteste Theorie, die ich bisher gehört habe, geht in Kurzform so:



    Adolf H. hat nicht sich selbst, sondern einen seiner Doppelgänger erschossen. Er selbst konnte entkommen. Aus seinem südamerikanischen Versteck heraus gelang es ihm, den kalten Krieg zwischen seinen ehemaligen Kriegsgegnern Sowjetunion und USA anzuzetteln, um sich so ganz fürchterlich an ihnen zu rächen. Weil sie ihn um den sicher geglaubten „Endsieg“ betrogen haben!



    Als vor einigen Jahren ein „Referent“ in kleiner Runde diese „Theorie“ zum Besten gab, gewürzt mit einigen, höchstwahrscheinlich erfundenen Details und Anekdoten, musste ich an einigen Stellen laut loslachen. Damit machte ich mich bei ihm und einigen Anwesenden, die echt an diesen Schmarren glaubten, sehr unbeliebt!

    • @Pfanni:

      "(...) musste ich an einigen Stellen laut loslachen." (Pfanni)



      Nun, mir erging es auf einer vom Arbeitgeber angeordneten "Fortbildung" so, dass ich auf einen Referenten stieß der sich ständig vom Thema entfernte und mit Hingabe und ausdauernd in einem Pfuhl von obergärigen esoterischen Halbwissen suhlte. Zum eigentlichen "Fortbildungs"-Thema hatte er teils nur Altbackenes oder bereits Widerlegtes beizutragen.



      Weil es mich damals irgendwann anfing zu nerven hier meine Zeit zu vergeuden, begann ich inhaltlich nachzufragen, ihm zu widersprechen und ihn zu widerlegen. Ergebnis: Das Ganze lief ihm aus dem Ruder. Er stand dann mit leeren Händen da. Vom Puplikum wurde das wenig goutiert. Sie waren alle unfreiwillig in dieses Seminar geschickt worden und wollten eigentlich nur ihre Zeit absitzen.



      Von meinem Vorgesetzten kassierte ich danach eine Abmahnung, weil ich die Veranstaltung erheblich gestört hätte. Über den vom Referenten verbreiteten Unsinn wollte er explizit nicht sprechen. Deswegen wurde diese Abmahnung auch vom Betriebsrat wieder einkassiert.



      Ein Jahr später wurde dieser Referent entlassen. Allerdings nicht wegen des Verzapfens von Unsinn. Das wurde auch weiterhin geduldet.



      Als nächstes begegnete mir dieser Selbstdarsteller dann in der Rolle eines untalentierten Schauspielers auf der Bühne eines grenzwertigen Bauertheaters. Und heute ist er als Wirt eines Gasthauses nun endlich auf seiner Ebene angekommen. Nun kann er, vor alkoholisierten Publikum, seine Fabulierlust hemmungslos ausleben.



      Sie sollten sich also zumindest auch weiterhin nicht das Lachen verkneifen, wenn geltungssüchtige unfreiwillige Clowns ihre Faxen machen. Wir sollten noch viel öfter den Leuten "des Kaisers neue Kleider" bewußt machen, egal ob es ihnen nun gefällt oder nicht.



      Übrigens: Die Idee vom seinen Doppelgänger ermordenden Hitler finde ich eigentlich genial. Das wäre der Stoff einer Komödie um die selbst die Monty Phyton's vor Neid erblaßt wären.

      • @LittleRedRooster:

        Ganz meiner Meinung!

  • Carl Schmitt läßt grüßen

    Zitat: „Die machen das Schwierige einfach. Sie reduzieren die Komplexität der verwirrenden globalen Moderne auf ein praktisches Freund-Feind-Klischee.“

    Dies ist eine treffende Beschreibung der Trump-Administration und ihrer Verschwörungstheorie, die Virus-Epidemie sei ein Biowaffen-Angriff Chinas gegen die USA und gleiche in seiner historischen Bedeutung dem japanischen Angriff auf Pearl-Harber und dem Bin Laden zugeschriebenen Luftangriff auf die drei WTC-Türme in New York am 11. September 2001.