Konflikt zwischen Türkei und Kurden: Angriff zur Schneeschmelze
Türkeis Armee attackiert Stellungen der PKK im Nordirak. Das begründet sie mit Selbstverteidigung, obwohl die PKK kaum mehr in der Türkei aktiv ist.
Der grenzüberschreitende Militäreinsatz ist offenbar mit der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak abgesprochen worden. Am Freitag letzter Woche traf sich Masrur Barsani, Regierungschef der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan. Die PKK gab bislang keine öffentliche Erklärung ab.
Vor dem Einsatz ihrer Bodentruppen hatte die Luftwaffe in den nordirakischen Grenzprovinzen Zap, Avasin und Metina vermeintliche Stellungen der PKK bombardiert. Zusätzlich wurde von türkischer Seite der Grenze mit schwerer Artillerie in das Gebiet gefeuert. Dann übernahmen Kampfdrohnen und Hubschrauber den Luftraum und setzten Bodentruppen ab, die das Gebiet jetzt durchkämmen.
Die türkische Regierung macht Selbstschutzgründe geltend. Angeblich habe es Erkenntnisse gegeben, dass die PKK sich mit der Schneeschmelze zu Frühlingsbeginn auf neue Angriffe auf türkisches Territorium vorbereitet hätte. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sagte im TV, der Angriff sei ein voller Erfolg, die PKK werde aus der grenznahen Region zurückgedrängt. Immer im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze in den Bergen entlang der türkisch-irakischen Grenze einsetzt, kam es in den letzten Jahren zu ähnlichen Einsätzen. Die türkische Regierung führt immer dieselben Argumente an, obwohl es schon seit Jahren keine größeren PKK-Anschläge innerhalb der Türkei mehr gegeben hat.
Kurdische Autonomieregierung im Irak ist ein Gegner der PKK
Wenn die Operation für die türkische Armee gut läuft, ist nicht auszuschließen, dass der Radius der Angriffe ausgeweitet wird. Aus der Luft hat die türkische Armee das Hauptquartier der PKK in den Kandil Bergen, gut 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, schon mehrfach angegriffen. Die Gelegenheit für einen Krieg gegen die Kurden scheint günstig: Die Welt schaut auf die Ukraine, Erdogan hat sich durch seine Vermittlung im Ukraine-Krieg wieder ein besseres internationales Image erworben. Europa und die USA scheinen im Moment bereit, über den Angriff im Nordirak hinwegzusehen.
Dazu kommt, dass die kurdisch-irakische Autonomieregierung unter Führung der Barsani-Familie mittlerweile offener Gegner der PKK ist: Zum einen braucht die kurdische Autonomieregierung ein gutes Verhältnis zur Türkei um wirtschaftlich überleben zu können – alle Wege aus dem Nordirak heraus führen über das Land. Zum anderen werden Anhänger der Barsani-Partei DPK in Nordsyrien, wo die von der PKK dominierte PYD das Sagen hat, verfolgt und unterdrückt. Schon länger will ein großer Teil der Kurden im Nordirak die PKK deshalb gerne loswerden. Um sich die Unterstützung von der Barsanis nicht zu verscherzen, hat die türkische Armee größtmögliche Vorsicht gegenüber unbeteiligten Zivilisten versprochen.
Der irakische Staatspräsident Barham Saleh, selbst Kurde, verurteilte dagegen die türkische Offensive als „Verletzung der irakischen Souveränität und Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Bagdad hat außerdem den türkischen Botschafter Ali Riza Guney einbestellt. Ihm sei eine „entschiedene Protestnote“ überreicht worden, mit der Aufforderung „die Provokationen und inakzeptablen Verstöße zu beenden“.
Der türkische Geheimdienst MIT ist seit Jahren im Nordirak stark vertreten. Die Armee kennt deshalb die potentiellen Ziele im Nachbarland sehr gut. Seit immer mehr Kampfdrohnen eingesetzt werden, können kurdische Guerillakämpfer im bergigen Gelände leichter identifiziert und angegriffen werden. Das alles nährt die Illusion, man könne den Kampf gegen die PKK militärisch gewinnen, statt eine Verhandlungslösung mit der PKK anzustreben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern