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Konflikt um Rettung von MAN-FabrikGegen die Putin-Sanktionen

Lkw-Bauer MAN will sein Werk in Österreich schließen. Der Manager Siegfried Wolf könnte es retten – ist aber umstritten wegen seiner Nähe zu Russland.

1.-Mai-Kundgebung der SPÖ vor dem MAN-Werk in Steyr Foto: Werner Kerschbaummayr/APA

Feiern zum Tag der Arbeit fanden am vergangenen Samstag in Österreich nur virtuell statt. Die einzige Mai-Demonstration gab es in der oberösterreichischen Industriestadt Steyr. Vor dem Werkstor des dortigen MAN-Werkes zeigte sich SPÖ-Landesvorsitzende Birgit Gerstorfer stolz auf die Belegschaft, „dass Sie sich nicht erpressen haben lassen, weil dann wären 1.000 Arbeitsplätze draufgegangen“.

Über 2.000 Jobs bei MAN und etwa 4.000 weitere bei Zulieferern stehen auf dem Spiel. Und außerdem die ganz große Weltpolitik – die Frage, ob in Steyr künftig Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim umgangen werden sollen.

Der zum Volkswagen-Reich gehörende Mutterbetrieb mit Sitz in München will die Fertigung von Lkw-Teilen ab 2023 aus Kostengründen nach Polen verlegen. Eine vertraglich vereinbarte Standortgarantie bis 2030 hat MAN deswegen aufgekündigt. Ende März hatte die Konzernleitung die bevorstehende Schließung bekanntgegeben – und gleichzeitig einen Ausweg aufgezeigt: Ein Investor wolle ein Angebot machen.

Dieser Investor heißt Siegfried Wolf und legte wenige Tage später ein „Rettungskonzept“ vor. Von den rund 2.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wolle er 1.250 übernehmen, allerdings nur mit 15 Prozent weniger Lohn. Eine Einmalzahlung von 10.000 Euro sollte Abschied oder Lohnverlust versüßen. Wolf wollte aus dem Zulieferwerk für deutsche Lkw eine Fertigung für russische Fahrzeuge machen. Damit könnten von den USA wegen der Annexion der Krim verhängte Sanktionen gegen Russland umgangen werden.

Wir wurden hier regelrecht erpresst

Alois Wallner, Facharbeiter

Was Wolfs Projekt zum Problem für Washington macht, ist die enge Anbindung an Oleg Deripaska. Der Oligarch steht zusammen mit Putin-nahen russischen Geschäftsleuten auf der US-Sanktionsliste. Unternehmen aus der EU müssen damit rechnen, dass auch sie auf die Liste kommen, wenn sie mit dem Deripaska-Konzern GAZ Geschäfte machen. Wolf hatte diese Gefahr in Steyr nicht angesprochen. Die Betriebsräte haben den wohl eigentlichen Knackpunkt des Deals erst im Laufe der Gespräche herausgefunden. Das MAN-Werk dürfte aber in Wolfs Strategie eine zentrale Rolle spielen, denn die Sanktionen greifen dann nicht, wenn 30 Prozent der Wertschöpfung in Österreich stattfinden.

Von Anfang an habe die Konzernleitung nur die Alternative Zusperren oder Plan Wolf angeboten, heißt es. „Wir wurden hier regelrecht erpresst und mit einer Friss-oder-stirb-Mentalität unter Druck gesetzt“, sagt der Facharbeiter Alois Wallner, der seinen wirklichen Namen aus Furcht vor Konsequenzen auf der Arbeit nicht in der Zeitung lesen will. Gleich nach Ostern wurde eine Urabstimmung der Belegschaft angesetzt, bei der sich Wolf eine Zweidrittelmehrheit für seinen Plan erhoffte.

Es kam aber umgekehrt: Bei einer Beteiligung von 94 Prozent lehnten mehr als 60 Prozent das „Angebot“ ab. „Bei den Arbeitern waren es sicher 75 Prozent“, sagt Wallner. Er findet es ohnehin seltsam, dass ein gut gehender Betrieb verhökert werden soll. MAN habe erst vor drei Jahren 70 Millionen Euro in die modernste Kunststofflackieranlage Europas investiert, sagt der 33-jährige Schweißer. Dort werden seit 2019 alle Lkw-Kunststoffanbauteile von MAN lackiert und anschließend anderen Fertigungsstätten des Konzerns zur Verarbeitung zugeliefert.

Bei Magna Karriere gemacht

Siegfried Wolf ist in der österreichischen Autoindustrie kein Unbekannter. Der Bauernsohn und gelernte Werkzeugmacher aus der Steiermark hat im ­Magna-Konzern Karriere gemacht. Dann holte der russische Oligarch Oleg Deripaska den Manager nach Moskau, wo er als Chef und Mitgesellschafter des Autozulieferers Russian Machines über 60.000 Mitarbeiter gebietet.

Wolf gilt als wirtschaftspolitisch liberal und gesellschaftlich konservativ. Mit Russlands Präsident Wladimir Putin soll er sich gut verstehen. Offenbar auch darüber, was das Demokratieverständnis betrifft. Einmal hat er sich für Österreich „ein bisschen mehr russische Demokratur“ gewünscht. Wolfs Angebot ist am 30. April abgelaufen. Er macht keinerlei Anstalten nachzubessern. Bislang jedenfalls.

An diesem Mittwoch werden Betriebsrat und die Anwälte von MAN noch einmal zusammentreffen. Die Arbeiterschaft wird voraussichtlich damit drohen, die Standortgarantie einzuklagen. Das könnte für MAN teuer werden. Alois Wallner will sich jedenfalls einer möglichen Sammelklage anschließen. Nicht, weil er als gesuchter Facharbeiter keinen Job in Steyr oder Linz finden würde. Sondern, weil er fair behandelt werden will.

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1 Kommentar

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  • Der Hauptgrund für den Plan Wolf besteht wohl im Absaugen von Know-how. Wer den Zustand der heimischen Automobilindustrie kennt, versteht auch warum. Die Werke wurden dort seit Jahrzehnten nicht modernisiert. Der Investitionsstau ist gewaltig. An fehlenden Mitteln lag es sicherlich nicht.



    Die Arbeiter in Steyr sind ja nicht blöd. Sie wissen ganz genau, dass der russische Investor ihnen keine echte Arbeitsplatzgarantie gibt. Da wird etwas versprochen. Dann die neue Firma an die Wand gefahren, anschließend die Fertigungsstrecke billig nach Russland verhökert. Alternative: man pocht auf die von VW abgegebene Arbeitsplatzgarantie und verhindert den Deal mit Russland.