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Konflikt in der UkraineBehörden vermuten 50.000 Tote

In der Ukraine sollen zehn Mal so viele Menschen getötet worden sein wie bisher angenommen. Merkel und Hollande setzen Diplomatie-Offensive am Sonntag fort.

Tausende Flüchtlinge in der Ukraine fliehen aus den umkämpften Gebieten Bild: reuters

FRANKFURT/BERLIN/MÜNCHEN afp/dpa | Im gewaltsamen Konflikt in der Ostukraine könnten einem Zeitungsbericht zufolge bereits bis zu 50.000 Soldaten und Zivilisten getötet worden sein. Die bislang offiziell angegebenen Zahlen seien eindeutig zu niedrig und nicht glaubwürdig, berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter Berufung auf deutsche Sicherheitskreise. Nach heftigen Gefechten würden oft einstellige Totenzahlen gemeldet, obwohl es in Wirklichkeit dutzende Tote gegeben haben müsse, hieß es weiter.

Die Zahl von bis zu 50.000 Toten liegt in etwa zehn Mal höher als von den Vereinten Nationen und ukrainischen Behörden genannte Opferzahlen.

Unterdessen geht die deutsch-französische Friedensinitiative für die Ostukraine in die entscheidende Phase. Mit Spannung wird erwartet, ob am Sonntag ein Telefonat von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatsoberhaupt François Hollande mit Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko eine Annäherung in dem Konflikt bringt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatten sich Moskau und Kiew am Samstag gegenseitig Vorwürfe gemacht und kaum Kompromissbereitschaft gezeigt.

In den vergangenen Monaten waren mehrere Versuche gescheitert, den Krieg zwischen der prowestlichen ukrainischen Regierung und den moskaunahen Separatisten diplomatisch beizulegen. Die Initiative Merkels und Hollandes sehen viele Beobachter als eine der letzten Chancen der diplomatischen Konfliktlösung.

Ein Knackpunkt der Verhandlungen ist der Verlauf der Demarkationslinie für einen Waffenstillstand. Poroschenko bestand zuletzt auf den im September im Minsker Friedensplan vereinbarten Verlauf. Die Separatisten haben seitdem aber deutliche Gebietsgewinne verzeichnet.

Entmilitarisierte Zone?

Gleichwohl zeigte sich Poroschenko in München offen für eine sofortige, bedingungslose Waffenruhe. „Ich bin zu jeder Zeit bereit, eine vollständige, bedingungslose (...) Waffenruhe zu verkünden, um die steigende Zahl an Opfern unter der Zivilbevölkerung zu stoppen“, sagte er vor Journalisten. „Wir erhalten vollständige Unterstützung bei der Umsetzung dieses ukrainischen Wunsches von Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande.“

Merkel und Hollande waren am Donnerstag und Freitag nach Kiew und Moskau gereist, um mit Poroschenko und Putin über einen neuen Friedensplan auf Grundlage des Minsker Abkommens zu beraten. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in einem ARD-Interview, über einen Erfolg der Initiative würden die „nächsten zwei, drei Tage“ entscheiden.

Nach Informationen des französischen Fernsehsenders France 2 sieht der Friedensplan eine entmilitarisierte Zone von 50 bis 70 Kilometern rund um die aktuelle Trennlinie vor. Die von Separatisten beherrschten Gebiete im Osten der Ukraine sollten eine relativ große Autonomie bekommen, berichtete der öffentlich-rechtliche Kanal unter Berufung auf Hollande. Poroschenko sagte dagegen: „Ich weiß gar nichts von diesen Vorschlägen.“ Von deutscher Seite gab es keinen Kommentar dazu.

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8 Kommentare

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  • "ukrainischen Behörden genannte Opferzahlen.". Dass dort Menschen "verschwinden" ist bekannt. Mit Erfolgsmeldungen hält man die Bewvölkerung bei der Stange.

    • @fornax [alias flex/alias flux]:

      Es ist wie in Syrien. Die Totenzahlen sind etwa so genau wie die Zahlenlotterie. Ob jemand gestorben ist oder nach Russland ausreiste kann kaum statistisch korrekt erhoben werden. Hier mangels Personal überhaupt nicht.

  • Sind denn alle verrückt geworden?

     

    Ja, das frage ich mich auch schon seit geraumer Zeit. Aber verfolgt man die Geschichte der USA, dann ist das Verhalten durchaus plausibel.

     

    Es wird weitergehen, die Interessen der USA sind so leicht zu durchschauen, wenn man erst mal die Vernebelungsversuche enttarnt hat.

     

    Madame Albright hat schon während der Interventionen im Irak ganz kaltschnäuzig gesagt: "Es mag sein, dass dieser Krieg 500.000 Menschen das Leben gekostet hat, aber das war die Sache wert!"

     

    Und genau das denkt sie immer noch und auch im Zusammenhang mit der Ukraine.

     

    Was juckt es die USA-Bellizisten, wenn es zu einem großen Krieg in Europa kommt, da sind 500.000 Tote doch die Sache wert, könnte man zynischerweise denken, es sind doch keine US-Amerikaner betroffen.

     

    Man kann nur hoffen, dass sich dieses Denken nicht durchsetzt, die Hoffnung stirbt zuletzt.

    • @Iannis:

      "Was juckt es die USA-Bellizisten, wenn es zu einem großen Krieg in Europa kommt, da sind 500.000 Tote doch die Sache wert, könnte man zynischerweise denken, es sind doch keine US-Amerikaner betroffen."

       

      Irgendwie scheint es den Amerikanern entfallen zu sein, dass russische Raketen jeden Punkt der USA treffen können. Und genau so wie die Amerikaner mit ihren Atomwaffen die Menschheit ausrotten können, reicht die Sprengkraft der russischen Atomwaffen, um den Rio Grande bis zu den Großen Seen zu verbreitern.

       

      Aber wie gesagt. Im allgemeinen Kriegsfieber scheinen das zu viele vergessen zu haben.

  • Das die 5000 Toten nur die zivilen Opfer enthalten, die offiziell bekannt sind, war ja klar. Dass es insgesamt vielleicht schon 50000 Opfer gegeben hat, ist erschreckend.

     

    Leider scheinen die Hoffnungen, dass es nicht noch mehr werden, zu schwinden. Geht man nach den Nachrichten der letzten 24 Stunden, so sieht es so aus, als hätte Hollande einen realistischen Vorschlag gemacht, Merkel ist mitgefahren, um nicht abseits zu stehen und Poroschenko hat schon abgelehnt.

     

    Was richtig Angst machen kann ist der immer wieder gebrachte Spruch: „Dann ist ein Krieg kaum noch zu vermeiden.“ Was soll das bedeuten? Dass die verantwortlichen Politiker dieser Welt die mörderischen Kämpfe im Donbas bis jetzt für eine kleine Kampelei unter Freunden gehalten haben? Oder dass wegen der „Westorientierung“ der Ukraine ein großer europäischer Krieg geplant ist? Gegen eine Atommacht? Sind denn alle verrückt geworden?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Was ich mich frage, worüber haben denn Merkel und Hollande mit Poroschenko in Kiew denn dann überhaupt gesprochen, wenn letzterer sich jetzt hinstellt und behauptet, von den ganzen Einzelheiten eines Friedensplanes sei ihm nichts bekannt?

      Die hohen Zahlen an Toten indes sind erschreckend, und jeder einzelne von ihnen - Kinder, Frauen, Rentner, Kämpfer, Soldaten - ist eine Anklage an die Politik. Daß es so viele sein würden, konnte sich jeder denken, der die Nachrichten aus der Krisenregion aufmerksam verfolgt hat. Es gibt kein "schweres Feuergefecht", wo nur ein einziger Soldat stirbt, und allein der Kessel bei Ilowaisk im letzten Sommer hat über 1000 ukrainische Soldaten das Leben gekostet. Im Kessel von Debalzewo kommen täglich Dutzende von ukrainischen Soldaten und Separatisten um. DAS ist die schreckliche Wahrheit, und nicht irgendwelche Siegesmeldungen und Durchhalteparolen.

      Das Töten soll endlich aufhören, und vielleicht besteht ja die Möglichkeit dazu, jetzt wo sich sogar Putin und Poroschenko und Merkel und Hollande in Minsk persönlich treffen wollen. Wird aber unter dem Strich nur klappen, wenn auch Sachartschenko und Plotnitzki einbezogen werden...

      • @Der_Peter:

        Merkel versuchte Poroschenko klar zu machen, dass er nichts zu gewinnen habe. Hinzu kommt, dass ganze Oekonomische Fiasko in Kiew. Merkel weiss, dass der IWF keine Kredite an Länder die im "Krieg" sind vergeben darf. Ebenso nicht an Länder die den Kredit nicht zurückzahlen können. Beides trifft bei der Ukraine zu. Wäre nur noch die EU aber die hat schon mehr als genug troubles mit den Griechen. Verlangt Putin und Gazprom seine 3 Mia und 2.4 von Gazprom retour hat die Ukraine keine Reserven mehr. In Minsk geht es auch um "Umschuldung". Das wäre der einzige Ort wo Putin entgegenkommen könnte.