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Konflikt in der OstukraineKiew streicht die Sozialhilfe

Kein Anspruch mehr auf Sozialleistungen: Menschen, die in den Rebellengebieten leben, bekommen ab sofort keine Unterstützung von der Zentralregierung.

Renten und Sozialhilfe erreichen schon seit Monaten die Sparkasse in Donezk nicht mehr. Bild: dpa

KIEW afp | Die ukrainische Regierung kappt die Sozialleistungen für die Menschen in den östlichen Rebellenhochburgen und will den Druck auf die Separatisten so erhöhen. „Wenn ein Teil der Regionen Donezk und Lugansk von Betrügern kontrolliert wird, wird die Regierung kein Geld mehr in dieses Gebiet schicken“, sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Mittwoch in Kiew. Präsident Petro Poroschenko ordnete eine Truppenverstärkung für die umkämpften Gebiete an.

Jazenjuk sagte auf einer Kabinettssitzung, Gas und Strom würden wegen des nahenden Winters weiter geliefert, um eine „humanitäre Katastrophe“ zu vermeiden. Sozialhilfe werde aber erst wieder an die Bewohner der Rebellengebiete überwiesen, wenn sich die Separatisten von dort zurückgezogen hätten und „wir die Kontrolle zurückerlangt haben“. Derzeit weiter zu bezahlen, „wäre eine direkte Finanzierung von Terrorismus“, sagte der Regierungschef.

Die Aufständischen hatten am Sonntag in Donezk und Lugansk Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten. Russland stellte sich hinter die Separatistenführer, Kiew sowie die EU und die USA erkennen die Wahlen hingegen nicht an und sehen sie als Verletzung eines Abkommens, das im September in Minsk geschlossen worden war.

Nachdem Poroschenko gedroht hatte, ein Gesetz zu kassieren, das den Rebellen eine Teilautonomie zubilligt, schlugen diese am Mittwoch einen versöhnlichen Ton an. „Wir sind bereit, an einer neuen Version des Abkommens (von Minsk) zu arbeiten“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Eine Reaktion aus Kiew darauf gab es zunächst nicht.

Truppenverstärkung im Osten

Am Dienstagabend hatte Präsident Poroschenko eine Truppenverstärkung angeordnet, um „eine mögliche Offensive in Richtung von Mariupol, Berdjansk, Charkiw und Lugansk“ abwehren zu können. Kiew sei „verpflichtet, die Ausbreitung des Krebsgeschwürs zu verhindern“, sagte er nach einem Treffen mit dem nationalen Sicherheitsrat. Einige neue Einheiten seien schon gebildet worden und die Aufrüstung der Streitkräfte mit modernem Gerät schreite voran.

Die Gefechte gingen am Mittwoch weiter. Aus der Region um den Flughafen von Donezk war Artillerie- und Raketenfeuer zu hören. Nach Angaben der Stadtverwaltung kam ein Zivilist ums Leben, vier weitere wurden verletzt. Das Militär teilte mit, es seien zwei Soldaten getötet und vier verletzt worden, ohne einen Ort zu benennen. Ein Sprecher sagte zudem, weiterhin würden militärisches Gerät und Soldaten aus Russland in die Rebellengebiete gebracht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte nach einem Treffen mit Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos in Berlin, dass sie die Sanktionen gegen Russland nicht aufheben will. Wegen der von Russland anerkannten Wahlen und „wegen der vielen Toten täglich“ sei „keine Erleichterung der Sanktionen möglich“. Vor dem Winter habe „humanitäre Hilfe allerhöchste Priorität“.

Der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kündigte in Brüssel an, seine erste Reise außerhalb der EU werde ihn in die Ukraine führen. „Ich werde in die Ukraine reisen, ich weiß aber noch nicht, wann“, sagte der Luxemburger.

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15 Kommentare

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  • Wie unvernünftig!

    So treibt man die Mehrheit der Ostukrainer zu den Putintreuen Gewalttätern.

    Die Kiewer drücken jetzt die im Osten in eine Schublade.

    • @nzuli sana:

      Kiew hat die Ostukrainer vor den Kopf gestoßen, seitdem die Putschregierung einen Tag nach der Machtübernahme laut darüber nachdachte, den Gebrauch der russischen Sprache im öffentlichen Leben zu verbieten. Aktionen des Rechten Sektors im Donbass waren auch nicht populär, Schützenpanzerwagen zu schicken und auf Leute zu schießen noch weniger, noch dazu Menschen zu verbrennen. Das Ende ist bekannt.

      Schade, daß es Ihre einzige Sorge ist, die Politik Kiews könne die Ostukrainer in die Arme der Separatisten treiben (was im übrigen längst geschehen ist), anstatt sich um die über 4000 toten Zivilisten, darunter Dutzende Kinder, zu sorgen, um die Tausende Verletzen und Traumatisierten, um die Alten und Schwachen, die in ihren zerschossenen Wohnhäusern dem Winter entgegensehen, um die Hunderttausende, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

  • Teilt das Land doch endlich auf. Dann ist jeder für sich selbst verantwortlich, und das Blutvergießen hat ein Ende.

    • @DD:

      Auf Propaganda folgt gegen Propaganda.

      Das Volk im Osten der Ukraine und auf der Krim haben keine Change sich eine freie Meinung zu bilden.

      Lösungen ......?

      Fehlanzeige.

      Ich bin kein Diplomat, polit Profi oder (selbst ernannter) Kenner der Region, doch erdreiste ich mir eine Meinung zu diesem schweren Thema.

       

      Alle Militäreinheiten raus aus der Region und Blauhelme rein. Ost Ukraine und Krim unter Un-Verwaltung. Rückführung aller Fluchtlinge und Wideraufbau.

      Verbot aller Extremisten Parteien.

      Sonderstatus der Gebiete bis in zehn Jahren das Volk bei einem International organisierten Referendum frei über Ihre Zugehörigkeit abgestimmt hat

      • @Jörg 70:

        Da gibt es ein paar Probleme:

         

        „Das Volk im Osten der Ukraine und auf der Krim haben keine Change sich eine freie Meinung zu bilden.“

         

        Auch im Rest des Landes ist die „Informationspolitik“ durch Propaganda gekennzeichnet. Desinformation steht auch da an vorderster Stelle.

         

        „Ost Ukraine und Krim unter Un-Verwaltung.“

         

        Sie wollen einen Teil Russlands unter UN-Verwaltung stellen? Na dann viel Spaß dabei. Oder geht es auch mit etwas Realismus?

         

        „Verbot aller Extremisten Parteien.“

         

        Dann bleibt kaum eine Partei übrig, denn selbst die Rhetorik der als gemäßigt geltenden Parteien wäre in Deutschland ein Fall für den Radikalenerlass.

         

        „…frei über Ihre Zugehörigkeit abgestimmt hat“

         

        Da sind wir doch wieder beim Grundproblem. Die Lage ist doch eskaliert, weil das Land vor eine entweder/oder Entscheidung gestellt wurde. Aber es gibt viel zu viele Leute, die eine solche Entscheidung (egal wie sie ausfällt), nicht mittragen wollen. Sollte eine solche Abstimmung nämlich für Russland ausfallen, dann bekommen sie einen Aufstand in Galizien.

  • Die Überschrift ist pervers und idiotisch. Soll sie die Normalität einer deutschen Hartz4 Diskussion mit dem Ton von Bildzeitung vermitteln?

     

    Wie haben uns überlegt euch anders zu töten,

    oder etwas humaner,

    soll euch doch Putin füttern.

  • „wäre eine direkte Finanzierung von Terrorismus“

     

    Nach dieser Logik wären die Rentner und Sozialhilfeempfänger alle Terroristen. Interessant.

     

    Allerdings sind die Führungen der Separatisten so und so für die Zahlung der Leistungen zuständig. Da sie stets betonen, dass ihre VR unabhängig sind, können sie auch nicht verlangen, dass das das Ausland bezahlt. Andererseits muss Kiew zahlen, solange es darauf besteht, dass die Gebiete zur Ukraine gehören. Den Rentnern steht ja nach ukrainischen Gesetzen das Geld zu. Das ist alles recht kompliziert.

     

    Hoffentlich macht das Beispiel nicht Schule. Sonst gibt es demnächst in Thüringen keine Rente mehr...

     

    Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass der Schokohase Charkow für bedroht hält. Ist der dortigen Bevölkerung so wenig zu trauen?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, Charkow ist kein ruhiges Pflaster mehr. Am Mittwoch brannte dort ein Haus, welches ein Lager für die Bekleidung des ukrainischen Militärs beherbergte. Brandstiftung wird vermutet...

      • @Der_Peter:

        Wie hoch war eigentlich die Wahlbeteiligung in Charkow?

  • In Kiew sitzen doch nur Banditen und Halsabschneider; und wir bezahlen deren Gasrechnung.

  • Einerseits ist die Ukraine völlig pleite. Die Staatsschulden werden nicht mehr bezahlt, das Rating ist auf Ramschniveau CC gesunken, die Löhne der Staatsangestellten wurden massiv zusammengestrichen, ebenso die Budgets der Regionen und Gemeinden, der Kapitalabfluss hat gigantische Ausmasse erreicht. Der Staatsbankrott ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Junta hat schlicht kein Geld mehr, um noch Renten und Sozialleistungen zu bezahlen.

     

    Andererseits scheint die Junta mittlerweile begriffen zu haben, dass der Donbass definitiv unabhängig ist und nicht wieder zurückgezwungen werden kann. Faktisch behandelt die Ukraine den Donbass nun als Ausland.

    • @Zuegelmann:

      Na ja, als Ausland, das man, da man es eh' nicht mehr behalten kann, munter zerbombt. Heute Donezk, Frunse, Golubowka. Die Folge neben zerstörten Gebäuden: Sechs Tote, elf Verletze. Hinzu kamen mehrere Versuche, eine Gasleitung im Rayon Stachanow zu zerstören.

      Frieden à la Kiew.

      • @Der_Peter:

        Auf einem Sportplatz an der 63. Schule in Donezk schlugen zwei Granaten ein und töteten zwei Jugendliche, die da Fußball spielten. Es gab auch verletzte Jugendliche und einen Erwachsenen.

        Als ob dies nicht schlimm genug wäre, tat sich nun der ukrainische Außenminister Klimkin hervor und forderte, die Schuldigen zu bestrafen. Na, geht es noch heuchlerischer?? Soll doch Kiew mit dem Beschuß von zivilen Gegenden aufhören!