Komödie über Relotius-Skandal im Kino: Er liefert, was sie drucken wollen
Der Relotius-Skandal des „Spiegel“ wird Film. Michael Bully Herbig versucht sich in „Tausend Zeilen“ an einer Mediensatire über „dichtende“ Reporter.
Nicht erst seit Donald Trumps Fake-News-Vorwürfen oder den Querdenker-Demonstrationen während der Coronapandemie wird in den Redaktionsstuben der Republik über den Vertrauensverlust in die Medien diskutiert. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kam da die Relotius-Affäre, die Ende 2018 öffentlich wurde und für oft kaum verhohlene Schadenfreude sorgte. Traf der Fälschungsskandal um nie geführte Interviews und zum Teil frei erfundene Reportagen doch in erster Linie den Spiegel, das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“.
Wie konnte es ausgerechnet in dieser Redaktion, die sich so viel auf ihre Faktencheckabteilung eingebildet hatte, zu so einem Skandal kommen?
Die Fehlersuche im eigenen Haus war anfangs larmoyant, später zwar ansatzweise kritisch, aber fast zwangsläufig unvollständig. Einer der Hauptbeteiligten des Falls, der Spiegel-Journalist Juan Moreno, der als erster Verdacht geschöpft hatte, schrieb bald das aufklärerische Buch „Tausend Zeilen Lüge“, das zwar kritisch war, aber nicht zu sehr, schließlich wollte Moreno weiterhin beim Spiegel arbeiten und tut das auch bis heute.
Dieses Buch bildet nun die Vorlage zu einem weiteren Versuch von Michael – dem ewigen Bully – Herbig, sich als ernstzunehmender Regisseur zu etablieren, zumindest ein bisschen. „Vieles ist so passiert, das meiste haben wir uns allerdings ausgedacht. Ganz ehrlich!“, heißt es zu Beginn, man könnte also annehmen, dass eine angebracht bissige Satire folgt, doch von satirischen Elementen ist im Folgenden kaum etwas zu spüren.
„Tausend Zeilen“. Regie: Michael Bully Herbig. Mit Elyas M’Barek, Jonas Nay u. a. Deutschland 2022, 93 Min.
Stattdessen erweist sich „Tausend Zeilen“ als über weite Strecken überaus trockenes Doku-Drama, dass die erzählerischen Möglichkeiten und vor allem die Abgründe des Falls weitestgehend verschenkt.
Zum Betrug gehören stets zwei
In der Hauptrolle ist Elyas M’Barek zu sehen, seine Figur heißt nicht Moreno, sondern Romero, während aus Claas Relotius Lars Bogenius (Jonas Nay) wurde, beide arbeiten nicht für den Spiegel, sondern für die Chronik. Abgesehen von diesen kleinen Änderungen folgt die Handlung penibel der Realität: Während der Arbeit an einer Reportage über die Zustände an der mexikanisch-amerikanischen Grenze entdeckt Romero Unstimmigkeiten in den Texten des Starjournalisten Bogenius.
Seine Redakteure wollen von den Vorwürfen jedoch nichts hören, stellen sich vor den Star, der ihnen das liefert, was sie wollen. Genau hier hätte es interessant werden können, denn zur erfolgreichen Fälschung, zum gelungenen Betrug gehören immer zwei: einer der betrügt, einer der betrogen werden will.
So ist es immer, egal ob bei der angeblichen Millionärserbin Anna Sorokin, dem angeblich neu entdeckten Leonardo-Gemälde, den Liebesbetrügern beim Online-Dating oder eben den spektakulären Reportagen eines talentierten Schreibers, der genau das schreibt, was eine Redaktion ihren Lesern vorlegen möchte.
Aufschreiben, was sein soll
Der Vorwurf, das oft nicht aufgeschrieben wird, was ist (um ein Spiegel-Motto zu gebrauchen), sondern das, was sein soll, wird dem Journalismus immer häufiger gemacht, oft zu Unrecht, aber immer wieder und nicht nur im Fall Relotius auch zu Recht. Doch um diese Strukturen anzuklagen, bedürfte es eines mutigeren Ansatzes, als es Michael Herbig und sein Drehbuchautor Hermann Florin wagen.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Tausend Zeilen“
![](https://taz.de/picture/5818706/14/Bildschirmfoto-2022-09-28-15-58-04-1.png)
Warum ließen sich so viele herausragende Journalisten – vor allem beim Spiegel, aber auch bei der FAZ, der NZZ und diversen anderen Zeitungen und Magazinen – Artikel unterjubeln, die zu schön waren, um wahr zu sein? „Tausend Zeilen“ verortet das Problem bei zwei leitenden Redakteuren, die wie arrogante, großkotzige Knallchargen daherkommen und (hoffentlich) nicht repräsentativ für die Elite des deutschen Journalismus sind.
Bleibt am Ende nur zu hoffen, dass sich nicht allzu viele jugendliche Fans von Hauptdarsteller Elyas M’Barek in diesen Film verirren. Denn wie eine vor wenigen Wochen veröffentlichte, viel zitierte Studie zeigte, misstrauen gerade Jugendliche in erschreckend hoher Zahl den klassischen Medien. Und in dieser Haltung dürften sie sich durch einen misslungenen Film wie „Tausend Zeilen“ nur bestätigt fühlen.
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