Komödie „Asteroid City“ von Wes Anderson: Ordnung in der kosmischen Wildnis

„Asteroid City“ konfrontiert seltsame Figuren mit dem Unbekannten. Das wirft Sinnfragen auf und neues Licht auf das Werk des Regisseurs.

Midge Campbell (Scarlett Johansson) blickt aus dem Fenster ihrer Holzhütte heraus.

Ein gelangweilter Star: Midge Campbell (Scarlett Johansson) in „Asteroid City“ Foto: Pop. 87 Productions LLC

Entweder man ist hellauf begeistert von seinem Schaffen oder man ist ebenso restlos verwundert über diese Begeisterung: Wes Anderson gehört zu den konsequentesten Filmemachern unserer Zeit, wenn es um das Verfolgen eines ureigenen und eindeutig wiederzuerkennenden Stils geht. Mit der gleichen Konsequenz scheint sich das Kinopublikum in Enthusiasten und Kritiker seines Werks zu spalten. Ein Wechsel zwischen den Lagern, so wirkt es, kommt selten vor.

Jene, die Wes Anderson nicht ausstehen können, stören sich meist am Solipsismus seines Kosmos, können dem Artifiziellen und Verspielten daran nichts abgewinnen oder halten schlicht für redundant, was in seinen Komödien geschieht und gesprochen wird. Wer in den Kreationen des texanischen Regisseurs und Drehbuchautors nicht viel mehr als selbstzufriedene, wenn auch aufwendige Eskapismusübungen erkennen kann, bewertet Wes Andersons bisherige Arbeit nach „Asteroid City“ vielleicht neu. Zumindest, wer bereit dazu ist, im gewohnten Geplapper umgeben vom üblichen Pastellpomp genau zuzuhören.

Die Zelte seiner unbeirrbar blassroten bis babyblauen Welt werden diesmal mitten in der US-amerikanischen Wüste im Jahr 1955 aufgeschlagen – in einer Ödnis unweit des Highways, in der es nicht viel mehr als ein Motel, ein Diner und eine Tankstelle zu erkunden gibt.

Seinen Namen verdankt das titelgebende Örtchen dem Krater eines Asteroideneinschlags. Unweit von diesem beobachten Wissenschaftler eines Observatoriums (darunter eine gewohnt einnehmend elfenähnliche Tilda Swinton) den Sternenhimmel. In Kooperation mit dem US-Militär wird dort alljährlich ein beschaulicher Kongress abgehalten, in dessen Zuge besonders findige Wissenschaftsprojekte von High-School-Schülern ausgezeichnet werden.

„Asteroid City“. Regie: Wes Anderson. Mit Jason Schwartzman, Scarlett Johansson u.a USA 2023, 105 Min.

Der Anlass zieht allerlei Anderson’sche Charaktere an, alle auf ihre Art und Weise verschroben. Die spitzzüngige Schauspielikone Midge Campbell (Scarlett Johansson) kommt mit ihrer Tochter Dinah (Grace Edwards) und einem neuen Drehbuch, das studiert und für die optimale Vorbereitung auf die nächste Rolle möglichst auch durchlebt werden will, nach „Asteroid City“.

Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), ein verwitweter Kriegsfotograf, der im Hinterkopf ein Schrapnell und im Gesicht beinahe pausenlos eine Pfeife mit sich herumträgt, reist mit seinen vier Kindern und der lange aufgeschobenen Aufgabe an, seinem Nachwuchs endlich vom Tod ihrer Mutter zu erzählen. Der älteste Sohn Woodrow (Jake Ryan), der als „Brainiac“ der Familie bereits ahnt, dass etwas nicht stimmt, wird am Wettbewerb teilnehmen.

Verlorensein in Raum und Zeit

Die „Junior Stargazer Convention“ gerät schnell ins Hintertreffen, stattdessen geht es um die possierlich heruntergespielten Problemchen der Figuren, die sich in ihrem Alltag wahlweise mit dem Streben nach Ruhm und Reichtum, nach Wissen und Kunst oder mit Romanzen und Rivalitäten die Zeit vertreiben.

Das Wesentlichere, das in diesem heiteren Weltall-Diorama, in dem sich unter anderem Tom Hanks als mürrischer Großvater, Steve Carell als verquerer Motel-Besitzer und Jeffrey Wright als General und Gastgeber des Wettbewerbs einfinden, munter wabert, ist das Verlorensein des Menschen in Raum und Zeit. Und die Sehnsucht nach einem Sinnzusammenhang – nach etwas, das dabei hilft, mit dem großen Unbekannten, das uns umgibt, fertig zu werden, es vergessen oder verdrängen zu können.

Ob Andersons Figuren diese Sehnsucht nun bewusst ist oder nicht, konfrontiert werden sie mit ihr durch einen äußerst kuriosen Zwischenfall: Gerade als sich das bunte Grüppchen zusammengefunden hat, um ein seltenes Spektakel am Himmel zu beobachten, landet in ihrer Mitte eine fliegende Untertasse, und ein tapsiges Männchen geht für einen kurzen Augenblick von Bord, um den Meteoriten, der vor tausenden Jahren einschlug, mitzunehmen.

Es handelt sich unleugbar um einen Außerirdischen (Jeff Goldblum), was in der Quarantäne, unter die die Augenzeugen von der Regierung gestellt werden, vielerlei Fragen aufwirft. Sind wir womöglich nicht allein? Gibt es da draußen doch Antworten?

Kleine Existenz im großen Universum

Das menschliche Bedürfnis, gesehen zu werden, das Verlangen nach etwas, das unserer Existenz eine Bedeutung verleiht, bringt Wes Anderson in kurzen, treffsicheren Dialogzeilen zum Ausdruck. Etwa wenn einer der jugendlichen Wettbewerbsteilnehmer, der sich zum Unmut seines Umfelds ständig in skurrile Mutproben begibt, auf die entnervte Frage seines Vaters, warum er das denn tue, erschrocken zugeben muss, dass er fürchtet, andernfalls würde niemand Notiz von seiner kleinen Existenz im großen Universum nehmen.

Oder aber wenn ein Schauspieler auf einer anderen Handlungsebene des Films seinen Regisseur um Anleitung bittet, wie er den verwitweten Kriegsfotografen zu spielen habe. Als dieser zurückgibt, dass niemand wisse, wie man jemanden richtig spielt, fühlt sich das nach einem Verweis auf unser eigenes Aufgeschmissensein vor der Frage an, wie dieses Leben zu führen sei.

Mit einer Erzählstruktur, die wie zuletzt in „The French Dispatch“ und „Grand Budapest Hotel“ mehrere Ebenen umfasst – hier sind es ein geplagter Autor (Edward Norton), der die Story „Asteroid City“ ersinnt, ein Regisseur, der an der Inszenierung (Adrien Brody) feilt und ein Moderator (Bryan Cranston), der durch die TV-Adaption leitet – würdigt Wes Anderson das Geschichtenerzählen als einziges stützendes Geländer in dieser „kosmischen Wildnis“.

Auch wenn es wahrlich nicht sein stärkster Film ist und sich der Plot stellenweise in Redundantem verliert, ist es doch das Solipsistische von „Asteroid City“, das das Ansinnen des Filmemachers so viel greifbarer macht als bisher: Wie die Autoren in „The French Dispatch“ gegen die Bedeutungslosigkeit anschreiben und der Concierge des „Grand Budapest Hotel“ mit seinem hohen zivilisatorischen Anspruch gegen die aufziehende Barbarei ankämpft, lassen sich Wes Andersons Filme in ihrer strengen Stiltreue als rührender Versuch lesen, die Illusion einer anmutigen Welt zu errichten, in der alles eine beruhigende Ordnung hat.

Erzählen, um das große Unbekannte eine Zeitlang auszukehren – so realitätsfremd ist das nicht.

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