Kommunalwahlen in Großbritannien: Partystimmung? Fehlanzeige
Boris Johnsons Ansehensverlust macht den Tories zu schaffen. Doch in ihren regionalen Hochburgen sind lokale Belange wichtiger.
Uxbridge ist der Wahlkreis des britischen Premierministers Boris Johnson, den infolge des Partygate-Skandals inzwischen 78 Prozent aller Brit:innen für einen sündigen Lügner halten. Kein Wunder, dass Johnsons Konservativen bei den Kommunal- und Regionalwahlen in weiten Teilen des Landes am 5. Mai selbst in ehemaligen konservativen Londoner Hochburgen wie der Bezirk Hillingdon, in dem auch Uxbridge liegt, um ihre Mehrheiten bangen.
140 Gemeindebehörden stehen in England zur Wahl, dazu alle 32 in Schottland und alle 22 in Wales sowie das Regionalparlament von Nordirland.
„Ich habe 45 Jahre lang konservativ gewählt. Solange Boris Johnson die Partei führt, werde ich nicht für die Tories stimmen!“, schimpft in der Nähe des Stadtparks Uxbridge Common Rentner Richard Mitchell, 75. Er nennt Boris Johnson einen Opportunisten und Populisten ohne Moral. Ian Parks, 68, pensionierter Lkw-Fahrer in der Reihenhaussiedlung Hillingdon Heath, findet hingegen, dass man die nationale Lage von der vor Ort trennen müsse. Weil seine Straße neu geteert wurde und generell alles in Ordnung sei, bleibt er bei den Konservativen.
„Conservatives“ sind nun „Local Conservatives“
Als die dieses Jahr zur Wahl stehenden Mandate zuletzt bestimmt wurden, im Jahr 2018, war Großbritannien im Streit um den Brexit gefangen und Premierministerin Theresa May steckte in der Krise. Damals holten hier in Hillingdon die Tories trotzdem 67,7 Prozent.
Und dieses Jahr? Auf seiner Webseite hat der Ortsverband der Konservativen ein Bild der konservativen Stadträte mit Boris Johnson gegen eines ohne ihn ausgetauscht. Wie in anderen Bezirken Londons nennen sie sich auf ihren Wahlflugblättern nicht „Conservative“, sondern „Local Conservatives“, als wollten sie betonen, dass sie hier nichts mit dem Premier in 10 Downing Street zu tun haben.
Die Krankenpflegerin Loraine McDonald, 47, ist davon nicht beeindruckt. Sie wird die Konservativen in Hillingdon nicht mehr wählen – wegen des Premierministers. „Johnson muss zurücktreten, weil er feierte, während Menschen nicht ihre Familienangehörigen besuchen konnten.“
Im Süden Londons könnten die Konservativen sogar ihre einstige Hochburg Wandsworth verlieren. Einst war der Stadtbezirk das Aushängeschild Thatchers: die Gemeindesteuer wurde auf null gesetzt, der Staat setzte auf große private Bauprojekte. Auch heute noch ist die Gemeindesteuer in Wandsworth nur halb so hoch wie im benachbarten Lambeth, einer Labour-Hochburg. Nun verspricht Labour im mittlerweile stark gentrifizierten Wandsworth eine Senkung dieser Steuer.
Die Konservativen seien selbstgefällig geworden
2018 überholte Labour die Konservativen bereits in Stimmenanteilen, wenn auch nicht in Wahlkreisen; bei den Parlamentswahlen 2019 war der im Bezirk Wandsworth gelegene Wahlkreis Putney der einzige im ganzen Land, den die Konservativen an Labour verloren. Nun will Labour auch die Gemeinde regieren – und verspricht eine erneute Senkung der Gemeindesteuer.
Der einstige Tory-Stadtrat Malcolm Grimston, 64, der seit 2018 als Parteiloser im Gemeinderat sitzt, hält es für möglich, dass Wandsworth an Labour fällt – nicht unbedingt wegen Boris Johnson und Partygate, sondern weil die lokalen regierenden Konservativen selbstzufrieden geworden seien. „Als ich noch Mitglied der Konservativen war und zuständig für Wohnungsbau, beobachtete ich, wie meine Vorgängerin über die Meinungen von Bürger:innen hinweg große Entscheidungen traf. Was die Leute vor Ort dachten, interessierte sie nicht.“ Auch habe sich die Bevölkerungsstruktur verändert. „In die Neubauten sind viele jüngere Menschen in die Wohnungen gezogen und die sind eher links ausgerichtet. In Nine Elms alleine gibt es ganze 8.000 solche neue Wähler:innen.“
Woran es aber in Wandsworth trotz des protzigen Neubauviertels Nine Elms und dem zur Designerwohngegend umfunktionierten ehemaligen Battersea-Kohlekraftwerk mangelt, sind Wohnungen für Geringverdiener. Der aus Paris stammende Aktivist Cyril Richert, 49, der seit über zehn Jahren die Clapham Junction Action Group (CJAG) koordiniert, hat sich dies zum Thema gemacht. „Was hier betrieben wird, ist ein Versuch, sich der alteingesessenen Bevölkerung zu entledigen“, behauptet er. Richert trat sogar Labour bei, aber als sich die Partei davor drückte, ihn zur Kommunalwahl aufzustellen, wechselte er zu den Grünen und kandidiert im kommunalen Wahlkreis Lavender Hill. Sein Wahlversprechen: Transparenz.
Befragte in verschiedenen Gegenden Wandsworths lassen wenig Wechselstimmung erkennen. Die einen lehnen die Tories sowieso ab, die anderen betonen die Leistungen des konservativen Gemeinderats in Sachen Sicherheit, Pflege der Grünanlagen und Müllbeseitigung.
Schlechte Ergebnisse könnten eine Gefahr für Johnson werden
Eine andere konservative Hochburg in London ist der Bezirk Havering am östlichen Rand Londons. Dort stimmten 2016 69,7 Prozent der Wähler:innen für den Brexit, der dortige Parlamentsabgeordnete Andrew Rosindell gehört zu den konservativsten seiner Partei. Doch in Havering ist wenig politische Bewegung zu erkennen.
Tory-Wähler:innen, die sich am Partygate stören, verweisen darauf, dass auch Labour-Oppositionsführer Keir Starmer während des Lockdowns beim Biertrinken mit Parteigenossen fotografiert wurde – das schlachten die Konservativen im Wahlkampf gerade als „Beergate“ aus. Es gibt aber auch inhaltliche Vorbehalte gegen Labour. Die Pläne des Londoner Labour-Bürgermeisters Sadiq Khan, Niedrigemissionszonen in Londoner Außenbezirke wie Havering auszuweiten, stößt auf so großen Widerstand, dass manche dafür plädieren, dass Havering aus London austreten und wieder Teil der Grafschaft Essex werden solle, wie vor den 1960er Jahren.
Nicht Labour macht den Tories in Havering zu schaffen, sondern lokale Wählervereinigungen, die bereits 2018 31,8 Prozent der Stimmen holten. Sie treten nun als Bündnis namens Havering Resident Association (HRA) an. „Zum ersten mal haben wir Kandidat:innen in allen Bezirken aufgestellt“, erklärt HRA-Vorsitzende Gillian Ford, die seit 2002 Stadträtin ist. „Wir sind nicht an nationale Parteivorschriften oder Regierungspläne gebunden und können etwa bei der Wohnungsbaudebatte auf die regionalen Bedürfnisse eingehen.“ Ein Austritt aus London sei keine Option: Dann würden die Menschen viel mehr für den öffentlichen Nahverkehr zahlen und Zugang zu Londoner Dienstleistungen verlieren.
Sollten die Konservativen am Donnerstag landesweit deutliche Verluste holen, dann könnte es Boris Johnson erneut in Gefahr bringen. Gleiches gilt aber auch für Labour-Führer Keir Starmer. Nicht selten wurde gegenüber der taz unaufgefordert Andy Burnham, der Bürgermeister von Manchester, als bessere Option für Labour erwähnt.
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