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Kommunales WahlrechtUnmündiger als Teenies

Gastkommentar von Memet Kilic und Memet Kiliç

Die Ampelkoalition will das Wahlalter auf 16 senken, doch Dritt­staa­te­r*in­nen dürfen nicht mal kommunal wählen.

Protest der Initiative „Wahlrecht für alle“ Foto: Christian Mang

O laf Scholz wurde zum 9. Bundeskanzler der BRD gewählt. Wir wünschen ihm viel Erfolg und eine glückliche Hand. In einem Punkt aber wird er diese glückliche Hand mit aller Wahrscheinlichkeit nicht haben: mehr Demokratie.

Aber haben die Ampelparteien das Wahlalter nicht sogar auf 16 Jahre auf Bundesebene senken wollen, für mehr Beteiligung? Genau hier liegt das Problem: Während Teenager auf Bundesebene künftig wählen können sollen, dürfen erwachsene Menschen aus Drittstaaten nicht einmal auf kommunaler Ebene wählen. Die Ampelparteien halten Mi­gran­t*in­nen ohne deutschen oder EU-Pass also offenbar für unmündiger als 16-jährige Teenager.

Dabei wollten die Ampelparteien doch „mehr Fortschritt wagen“. Viele positive Maßnahmen wurden im Koalitionsvertrag vorgesehen, insbesondere in den Bereichen Vielfalt und Teilhabe. Darunter auch die fällige Erleichterung bei der Einbürgerung, etwa durch die Hinnahme der Mehrstaatigkeit oder für die Gast­ar­bei­te­r*in­nen-Generation, die viel für den Wohlstand unseres Landes geleistet hat. Lobenswert ist auch die Übernahme unserer Forderungen, ein Partizipationsgesetz zu verabschieden und einen Partizipationsrat einzuführen.

Memet Kiliç

Memet Kiliç 51 Jahre alt, ist stell­vertretender Vor­sitzender des Bundes­zuwanderungsrates. Er kam 1990 aus der Türkei nach Deutschland und arbeitet als Jurist in Heidelberg. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen.

Das Wahlalter auf Bundesebene auf 16 zu senken, gehört auch zu diesen positiven Maßnahmen. Gleichzeitig aber findet die Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige keine Erwähnung. Die Dreierkoalition signalisiert damit, dass sie Mi­gran­t*in­nen auf kommunaler Ebene für politisch nicht mündig genug hält, um mitbestimmen zu können. Wer hier lebt, aber keinen deutschen Pass oder die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitglieds hat, bleibt damit Zaungast in der Kommunalpolitik – im Herzen der Beteiligung – und wird von wichtigen Entscheidungen vor der Haustür ausgeschlossen. Das wiederum ist Gift für das Vertrauen in demokratische Kultur.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir fordern die neue Bundesregierung dazu auf, zügig die Erweiterung des kommunalen Wahlrecht auf Drittstaater in die Hand zu nehmen.

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6 Kommentare

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  • Mal ganz allgemein, denn das gilt eben nicht nur im Speziellen:

    Ich weiß nicht, aber ehe irgendein für sagen wir 6 Jahre nach EU-Europa abkommandierter CocaCola-Manager in dem betreffenden EU-Mitgliedsland das kommunale Wahlrecht erhält, sollten wir doch zunächst einmal die provinzfremden EU-Bürger mit gleichen Rechten nicht nur auf kommunaler Ebene ausstatten. Warum muss jemand, der Grieche ist und in Schweden lebt, seinen Ausweis (nicht Pass, Ausweis) beim Konsulat oder der Botschaft beantragen, statt an seinem Wohnort? Warum darf ein EU-Bürger, der Finne ist und in Portugal lebt, nicht in Portugal bei den Parlamentswahlen wählen? Bayern dürfen schließlich auch in Mecklenburg-Vorpommern wählen, wenn sie dort gemeldet sind (und bekommen an ihrem Wohnort auch den Ausweis ausgestellt).

    Ich finde schon, wir sollten den fünften Schritt nicht vor dem ersten tun und erst einmal in unserem Laden (gemeint ist die EU) für geordnete Verhältnisse sorgen.

  • Nein, die benannten Drittstaatler sind nicht umündig. So fern sie über 18 Jahre alt sind, so sind sie geschäftstüchtig und können Verträge abschließen. Da sie weiterhin in den meisten Fällen ja noch eine Staatsangehörigkeit haben, ist auch eine politische Teilhabe möglich, nur nicht hier. Es ist weiterhin möglich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben und dann im vollen Umfang politisch aktiv zu werden.

  • Mit Rechten gehen normalerweise auch Pflichen einher, da gilt es dann halt den Weg der Einbürgerung zu gehen.

  • 4G
    47823 (Profil gelöscht)

    Kann mir jemand ein paar Länder (außerhalb der EU) nennen, in denen ich wählen darf ohne dort Staatsbürger zu sein? Würde mich echt interessieren?

    • @47823 (Profil gelöscht):

      Chile, Uruguay, Argentinien, Kolumbien, Neuseeland, die Schweiz, Island, Südkorea...

  • "Das wiederum ist Gift für das Vertrauen in demokratische Kultur."

    So generell gilt das wohl nicht. Höchstens für die nicht EU-Bürger, die hier plus minus kurz oder lang leben und nicht wählen dürfen. Aber warum möchte man wählen und sich zur lokal repäsentativen Demokratie bekennen, wenn man anderseits nicht dem Staat beitreten möchte? Ja, es hat Hürden und es dauert. Dann darf man halt mal in einer Periode nicht mitwählen. Daran sollte die Demokratie nicht scheitern.