Kommentar: Der kurze Koalitionskrach
■ Atomausstieg: Schröder und Trittin kämpfen um ihr Profil
Hinter den Unstimmigkeiten zwischen Kanzler Schröder und seinem Umweltminister steckt mehr, als das schnelle Ende des Koalitionskrachs vermuten läßt. Zwar wiegelte Schröder bereits am Montag abend wieder ab, nachdem er Jürgen Trittin am Mittag noch gewarnt hatte, er könnte mit der Neubesetzung der beiden Atomkommissionen die Koalition gefährden. Doch der Grundkonflikt um den Weg zum Ausstieg bleibt bestehen.
Schröder will die Atommeiler im Einvernehmen mit den Konzernen abschalten. Als selbsternannter „Mann der Wirtschaft“ will er alles vermeiden, was die Konzernchefs verstimmen könnte. Es reicht ein Stichwort, und Schröder schreitet ein. Erst bremst er die Atomnovelle Trittins wegen des anvisierten Verbots der Wiederaufarbeitung. Nun warnt er vor der Umbesetzung der Reaktorsicherheits- und der Strahlenschutzkommission.
Letztlich ist auch Trittin ein Ausstieg im Konsens lieber, weil er vor Gericht nicht anfechtbar wäre. Doch im Gegensatz zu Schröder möchte der Grüne auch ein wenig die Peitsche schwingen. Deshalb darf er nicht alle Hebel aus der Hand geben. Da ist es nur logisch, die atomfreundlichen Beratungsgremien neu zu besetzen, deren Aussagen etwa vor den Gerichten großes Gewicht haben.
Es ist sicher naiv zu glauben, die Strombosse kämen nur an den Verhandlungstisch, wenn man lieb zu ihnen ist. Sie kommen, weil auch sie ein Interesse an einem Konsens haben. Kein Unternehmen will ein neues AKW bauen. Sie wollen nur ihre alten Meiler noch möglichst lange betreiben – aber ohne ausstiegsorientierten Vollzug mit immer neuen Auflagen, ohne eine Hängepartie bei der Entsorgung und ohne große Proteste. Sonst könnte es ihnen passieren, daß sie nach dem Verlust ihrer Gebietsmonopole Kunden scharenweise an ausländische Versorger verlieren – sei es aus Imageverlust oder weil ihr Atomstrom zu teuer geworden ist.
Doch so unnötig Schröders Schmusekurs ist, so riskant ist Trittins Konfrontationskurs. Ein Anruf vor der Auflösung beim Kanzleramt hätte die Aufregung vermeiden können. Trittin ist, wenn er einen raschen Ausstieg will, nicht auf Gutwetter mit der Atomindustrie angewiesen, wohl aber mit dem Kanzleramt. Im Konflikt mit der mächtigen Atomlobby macht es keinen Sinn, den Kanzler zu Distanzierungen vom Umweltministerium zu zwingen. Matthias Urbach Berichte Seite 2
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