Kommentar: Ambivalent
■ CDU und "Mehr Demokratie" sammeln Unterschriften
Die Berliner CDU hat sich entschieden. Kaum hat sich im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit der Volksvertreter für die doppelte Staatsbürgerschaft ausgesprochen, bringt die CDU von heute an das Volk gegen seine Repräsentanten in Stellung. Daß sie damit eine Aktionsform ihrer politischen Gegner übernehmen, werden die CDU- Mitglieder auf den Straßen hautnah erleben. Schließlich begegnen sie dort den Unterschriftensammlern des Vereins „Mehr Demokratie“, die für Bürgerentscheide auf Bezirksebene werben.
Während der Zweck ihrer Aktion die „liberale Großstadtpartei“ CDU schnurstracks ins rechte Ghetto führt, zeigt sich die Union in der Wahl ihrer Mittel erstaunlich innovativ. Erst angesichts der drohenden Abschiebung auf die harten Oppositionsbänke dämmerte der Berliner Union, was die bayerische Regierungspartei schon längst erkannt hat: Mit dem nötigen Populismus angewandt, haben Volksbefragungen eine eminent konservative Tendenz. Der Vereinfachung, zu der die Argumentation auf der Straße zwingt, kommt ein simples „Nein“ viel eher entgegen als eine Neuerung gleich welcher Art. Wird etwas Neues eingeführt, gilt es stets, Alternativen abzuwägen, das Für und Wider zu bedenken.
Daß die Grünen, mit ihrem bildungsbürgerlichen Habitus eher elitär, sich traditionell für Bürgerentscheide begeistern können, beruht auf einem Mißverständnis. Der Irrtum gründet in der Herkunft der Grünen aus der Umweltbewegung: Das Nein der Anwohner gegen Startbahnen oder Verkehrslärm ließ sich leicht organisieren. Eine Reform durchzusetzen, und sei sie so überfällig wie die neue Staatsangehörigkeit, ist dagegen schwer: Für die CDU genügt es, sich den Doppelpaß als umstrittenen Teilaspekt herauszupicken – und schon kann sie den vermeintlichen Volkszorn organisieren.
Ob die Union damit eine Mehrheit gewinnen könnte, werden wir nie erfahren. Denn einen Volksentscheid auf Bundesebene gibt es nicht – und damit auch nicht die Möglichkeit, selbst die wenigen Reformen der neuen Regierung wieder zu zerpflücken. Das ist vielleicht nicht so schlecht, wie mancher in den langen Jahren der Kohl-Ära geglaubt hat. Ralph Bollmann
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