Kommentar: Ein Spiegel, keine Antwort
■ Der Bundestag votiert für Eisenmans Stelenfeld
Diese Debatte wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Routiniert hat der Bundestag gestern die gut zehnjährige Debatte um das Holocaust-Denkmal entschieden. Die parteipolitischen Scharmützel hielten sich in Grenzen, ansonsten referierte man bekannte Argumente. Daß es um eine zentrale Frage bundesdeutschen Selbstverständnisses geht, war kaum zu merken. Mag sein, daß in der Diskussion ein entschiedener Gegner eines Denkmals fehlte. Vielleicht fehlte es der Debatte an Intensität, weil die Zeit, in der sich aus vergangenheitspolitischen Bekenntnissen bruchlose politische Identitäten buchstabierten, vorbei ist. Die Front verlief quer zum Links-rechts-Schema. Das ist vielleicht die interessanteste Erkenntnis der Debatte: Die bundesdeutsche Politik kann auf erinnerungspolitische Funktionalisierungen verzichten. So flau die Debatte war, so klug ist der Entschluß: Eisenmans Stelenfeld wird gebaut. Dies symbolisiert, daß sich auch das wiedervereinigte Deutschland in einer unabgeschlossenen Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit befindet. Mit diesem Beschluß demonstriert die Bundesrepublik, daß sie die Nazi-Vergangenheit in ihr Selbstbild integriert hat. Es ist die Anerkennung, daß Deutsche diese Verbrechen begangen haben.
Mit diesem Holocaust-Denkmal hat die Erinnerung an die Schuld einen zentralen, öffentlichen Ort. Das bedeutet auch eine Entlastung. Denn jedes Denkmal, auch dieses, ist insgeheim ein Zeichen des Triumphs der Lebenden über die Toten. Man gedenkt rituell der Toten – und geht in die Kneipe. Zur Raffinesse von Eisenmans Entwurf gehört es, eine eindeutige Antwort zu verweigern. Er wirft den Besucher auf sich selbst zurück; er funktioniert wie ein Spiegel. Damit gelingt so etwas wie die ästhetische Formulierung der Paradoxien der Erinnerung, zumal der Erinnerung im Land der Täter an die Opfer. Ob wir darin bloß Unverbindlichkeit erkennen oder ob wir verstehen, daß dieser Raum Einfühlung in das Schicksal der Opfer ermöglicht – das liegt an uns. Eine reflexive Einfühlung, die nichts mit jener platten Identifikation gemein hat, die der bundesdeutsche Philosemitismus hervorgebracht hat.
Und nun? Wenn wir die Lektion, die dieses Denkmal bedeutet, verstehen, ist klar, was zu tun ist: die Zwangsarbeiter zu entschädigen. Unbürokratisch und ohne Geiz. Und schnell. Stefan Reinecke
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