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Kommentar zur neuen alten RegierungMagma unter der Oberfläche

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

SPD und Union sind sich zu ähnlich geworden, die GroKo verstärkt das Problem noch. Das System der mittigen Volksparteien zerfällt.

Man quetscht sich in der Mitte zusammen, aber das kann nicht gut gehen Foto: dpa

D ie geschäftsführende Regierung ist abgelöst, aber das Geschäftsmäßige bleibt. Diese große Koalition hat nichts Euphorisches. Sie ist aus Not geboren, nicht aus Willen. Union und SPD hatten am Ende der letzten Regierungszeit ja nur noch gegenseitigen Überdruss gemeinsam. Dass 35 Abgeordnete, wohl eher aus der SPD als aus der Union, nun Merkel nicht wählten, zeigt wie müde viele schon jetzt dieser Regierung sind.

Natürlich gibt es eine paar neue, interessante Gesichter, wie Franziska Giffey, und Konstellationen. Falls Horst Seehofer ideologisch so scharfkantig auftritt wie angekündigt, wird Katarina Barley als Justizministerin für das Kontra sorgen müssen. Jens Spahn wird vielleicht weiter die konservative Krawallschachtel geben – ein sozialdemokratisches Pendant gibt es bezeichnenderweise nicht. Der SPD scheint, wie der Rückzieher bei Paragraf 219a zeigt, der Koalitionsfriede wie schon in den letzten Merkel-Regierungen über alles zu gehen. Dafür trägt der Koalitionsvertrag, wie schon 2013, eine blasse sozialdemokratische Handschrift. Normalverdiener werden weniger Steuern und Kitagebühren zahlen. Also alles Routine, alles Weiter-so?

Man muss den Rahmen größer ziehen, um zu erkennen, dass dieses vierte Kabinett Merkel eine historische Zäsur ist. An der Oberfläche scheint alles gleich. Doch darunter brodelt Magma.

Die Bundesrepublik ist, was in der üblicherweise miesepetrigen Stimmung oft weggeblendet wird, eines der reichsten, politisch stabilsten und liberalsten Länder auf dem Globus. Deutschland hat von der Finanzkrise, die in Südeuropa Verheerungen angerichtet hat, handfest profitiert. Der Export boomt, ein Erfolg, der durch Lohndumping erkauft wurde. So ist diese Regierung in der luxuriösen Lage, nicht einsparen zu müssen, sondern jedes Jahr gut zehn Milliarden Euro mehr ausgeben zu können. Die Ungleichheit in Deutschland wächst. Union und SPD werden daran keine Jota ändern. Auch wenn die Ungleichheit in der Bundesrepublik nicht so tief ist wie in den USA oder Großbritannien.

Das letzte Aufgebot

Die soziale und wirtschaftliche Lage hierzulande ist stabil – trotzdem hat diese Regierung etwas vom letzten Aufgebot, von Notnagel und Reparatur. Dies ist die erste Große Koalition seit 1949, die verlängert wird. Das Bündnis von Union und SPD ist damit nicht mehr die Ausnahme. Sie wird zum Normalmodus. Das zeigt: Das System von einer Mitte-rechts und einer Mitte-links Partei, die sich an der Regierung abwechseln, implodiert.

Dafür gibt es zwei Gründe. Die Gesellschaft franst sozial und habituell aus. In der individualisierten Gesellschaft haben es Großorganisationen, die immer Kompromissmaschinen sind, schwer. Das ist zwar keineswegs neu, aber ein Trend von ungebrochener Kraft.

Zweitens haben SPD und Union exakt den gleichen Fehler gemacht. Sie sind sich zu ähnlich geworden. Schröder hat die SPD entkernt, Merkel die CDU weit für den liberalen Zeitgeist geöffnet. Zum Prinzip der Demokratie gehört aber die Wahl zwischen deutlich unterscheidbaren Alternativen. Auch unter dem Aspekt politischen Marketings war die Annäherung von Union und SPD nur kurzfristig ein Gewinn. Auf dem Wählermarkt wächst derzeit jedenfalls die Nachfrage nach Erkennbarkeit. SPD und Union, die dem Publikum als mehr oder weniger auswechselbare Regierungstechnokraten erscheinen, können dies nicht bedienen.

Diese Koalition ist der fatale Versuch, eine Krankheit zu heilen, indem man deren Ursachen verstärkt.

Die vierte Merkel Regierung scheint die Krise erst einmal zu beenden, nach 171 Tagen ist wieder alles normal. Das täuscht. Diese Regierung ist für Union und SPD eine Zwangsjacke, die das Nötige verhindert – dass beide wieder unterscheidbar werden. Diese Koalition ist der fatale Versuch, eine Krankheit zu heilen, indem man deren Ursachen verstärkt.

Es gibt zwar zaghafte Ansätze, sich mehr zu unterscheiden. Die Union hat das, wie die Berufung der kulturell konservativen Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin zeigt, sogar eher begriffen als die SPD, deren Erneuerungsrhetorik schon jetzt dünn klingt.

Allerdings ist es ein blanke Illusion, dass die SPD und Union prägnanter, klarer, eigenständiger werden können, wenn sie zusammen regieren. Denn die Regierungsraison zwingt zusammen, selbst wenn die Parteien nicht mehr so eng zusammen gehören wollen. Eine Streitkoalition, so wie sie Union und FDP 2009 dem erstaunten Publikum vorführten, ist nebenbei auch keine brauchbare Alternative.

Das System von zwei mittigen Volksparteien war über Jahrzehnte ein rationales Modell politischer Entscheidungsfindung. Es wird nicht mit einem Krach verschwinden, sondern in einem zähen Prozess an Kraft und Einfluss verlieren. Der Zerfall hat begonnen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Ja Ja - die gute alte Binndendifferenz - Pierre Bourdieus

    (aka "Konkurrenz belebt das Geschäft" - Karl "Arsch" Adam - RRC-;)

     

    But. Das Fotto - Zeigt doch was fehlt - stupid!

     

    "Man quetscht sich in der Mitte zusammen, aber das kann nicht gut gehen"

     

    Genau Genau - In der Mitten fehlt der Saumagen! Nothing else

    Zum Zuschneiden & Verteilen - Nach Maßgabe -

    Der Kanzlerrichtlinienkompetenz für - öh Politik - kerr!

    Eben - "Fehlanzeige" - "Ich doch nicht!"

    Nu. That´s it.

     

    Na Mahlzeit.

    &

    Auf der Rückbank - werden nicht alle Platz finden. Normal.

    Auch wieder wahr. Newahr.

    • @Lowandorder:

      & btw - das mit "Magma" - Sorry

       

      Ist ein großkalibriger Euphemismus - aber VXXL!

      Die schlafen alle - doch erkennbar schon im Stehen ein!

      Na - Si´cher dat. Da mähtste nix. Aber Hallo!

      Normal.

  • Dieser Kommentar trifft die Misere sehr gut! "Dass mindestens 35 Abgeordnete der Koalition Merkel nicht wählten, zeigt, wie müde schon jetzt viele von dieser Regierung sind" ist allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ganz korrekt. Dass sie schon jetzt der Regierung überdrüssig sind, sie satt haben oder gar ihrer müde sind, stimmt aber. Und möglicherweise ist in (?) 2022 - neuer Duden - der Gebrauch jenes Anglizismus dann auch abgesegnet, wenn auch nicht von allen geliebt. Wie jetzt die GroKo unter Angela Merkel.

  • Das große Problem dieser GroKo ist deren selbst gestellte, vermeintliche Aufgabe Deutschland Reich zu machen!

     

    Schade nur, dass SPD, CDU/CSU dabei die Menschen dieses Landes nicht bei dieser Aufgabe berücksichtigen.

     

    Für diese Politiker besteht Deutschland aus Großkonzernen und extrem reichen Einzelpersonen, z.B. Familie Quant. Otto Normalverbraucher wird nur als Garant für die Schaffung des Kapitals benötigt und Menschen, die Aufgrund ihrer Lebenssituation Arbeitslos oder Krank sind, werden nur als vorhandenes Übel erachtet.

    Die Politik lässt immer häufiger ihren Frust über diese Menschen freien Lauf, so wie es Herr Spahn jetzt durchblicken ließ.

     

    Solange die Politik nicht damit beginnt, den Menschen wieder in den Vordergrund ihres Schaffens zu stellen, wird es für etwa 2/3 der Deutschen nur noch schwerer werden, sich eine Zukunftsperspektive zu erarbeiten.

    4Diejenigen, die dies bis jetzt geschafft haben, müssen zwischenzeitlich ebenfalls mit Abstieg rechnen, da durch die Rentenpolitik immer weniger des eingezahlten Geldes ausgezahlt wird.

     

    Solange die Politik nicht gewillt ist auch an das Leistungslos erworbene Kapital zu gehen, um eine gewisse Umverteilung zu gewährleisten, wird es den Menschen, die ja eigentlich für die Möglichkeit der Reichen sorgen Reich zu sein.

     

    Von allen sogenannten Leistungsträgern in diesem Land wird vollkommen vergessen, wer denn für diesen extremen Reichtum einiger Weniger sorgt.

     

    Es darf einfach nicht hingenommen werden, dass alle finanziellen Leistungen diese Landes, die Massen an Arbeitern und Angestellten leisten müssen, während die Reichen mit Steuergeschenken und Bevorzugung durch die Politik entlastet werden!

     

    Es gab Zeiten, in denen die SPD der Gegenpol zur CDU/CSU war und sich somit hinter den Arbeiter/Angestellten gestellt hat um eine gewisse Gerechtigkeit zu gewährleisten.

     

    Mit Schröder hat die SPD den Zusammenhalt im Lande durch die Agenda 2010 zerstört!

     

    Die SPD muss anfangen ihre Fehler aufzuarbeiten, es kommt aber nichts!

  • Am schlimmsten, dass diese Mitte ökonomisch gesehen nur Angebotspolitiker anbietet mit einem Hang zum Merkantilismus.

    So kann es "Deutschland" gut gehen, vielen Menschen darin aber nicht.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Große Begeisterung, Jubel und Beifall als der Messias persönlich, Martin Schulz, verkündete: Keine neue GROKO!! Und nun? Champagner, Grinsen bis über beide Ohren und den Kopf bis zum Anschlag der Chefin eingeführt. Diese Würmer. Hätte ich die zwanghafte Wahl zwischen NPD und SPD... Ich würde tatsächlich kurz überlegen was seriöser ist.

    • @97796 (Profil gelöscht):

      Nehemn sie doch die AFD.

       

      Dann sind sie auch nicht alleine. Gibt ja - Gerüchten zufolge - mehr als genug ehemalige SPD-Wähler, die sich bei der AFD besser vertreten fühlen.

      • 9G
        97796 (Profil gelöscht)
        @Thomas_Ba_Wü:

        Bei der nächsten Wahl werde ich ehrlicher, überzeugter Demokrat sein. Und im Namen einer gerechten Wirtschaft und Sozialstaatlichkeit garnicht wählen.

  • Die Mitte war schon immer Illusion. Nach ihren natürlichen Funktionen betrachtet gibt es nur die Umverteilungpartei (SPD) und die Nichtumverteilungpartei (CDU). Beide haben nachvollziehbare Aufgaben. Die Linkspartei und AFD und FDP sind nur radikalere Fraktionen, denen allenfalls eine Antreiberfunktion zukommt. Einzig die Grünen haben komplett andere Prioritäten und wären angesichts der Notwendigkeit einer politischen Vertretung des Umweltschutzes eigentlich der ideale Mehrheitsbeschaffer. Es könnte so einfach sein.

  • Und die mittigen Volksparteien fügen sich in ihr Siechtum, wissend, dass ihr Schicksal besiegelt ist, sobald das Beatmungsgerät der noch boomenden Wirtschaft Aussetzer bekommt. Da ist kein Platz für weitreichende Zukunftspläne oder tiefgreifende Umbaumaßnamen. Die Energie reicht maximal dazu, den Abbau etwas hinaus zu zögern.

  • Die Karawane zieht weiter!