Kommentar zur Lage in Syrien: Auf der falschen Achse
Die Chancen des Westens, Einfluss auf Syrien zu nehmen, sind nicht sehr groß. Die weltpolitische Konstellation macht die Situation nicht gerade einfacher.
G estützt auf eigene Recherchen, wirft Amnesty International dem Regime von Syriens Machthaber Bashir Assad jetzt "Verbrechen gegen die Menschheit" vor. Es ist kaum zu erwarten, dass dieser Vorwurf das Regime zu einem Kurswechsel veranlassen wird. Auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, das für solche Verbrechen zuständig ist, dürfte Assad ebensowenig beeindrucken wie zuvor den libyschen Diktator Gaddafi.
Und selbst eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, die das Assad-Regime für sein brutales Vorgehen verurteilt, wie sie Bundesaußenminister Westerwelle noch in diesem Monat unter dem deutschen Ratsvorsitz anstrebt, hätte kaum Auswirkungen auf das weitere Geschehen in Syrien.
Wie aber lässt sich die drohende Eskalation der Gewalt in Syrien überhaupt noch verhindern? Eine Chance gibt es nur, wenn die "unabhängigen Regimegegner", die sich erstmals Ende Juni mit Duldung des Regimes in einem Hotel in Damaskus trafen, die Möglichkeit erhalten, unter den von ihnen geforderten Vorbedingungen in einen "nationalen Dialog" über politische Reformen in Syrien zu treten.
ANDREAS ZUMACH ist UN-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf.
Zu diesen Bedingungen gehört, dass Assad seine "Sicherheitskräfte" zurückzieht, alle politischen Gefangenen frei lässt und eine Amnestie erwirkt. Wann Assad zurücktreten muß, ob er vor ein Gericht gestellt wird oder ins Exil gehen kann - all diese Fragen zu klären sollten den Syrern selbst überlassen bleiben. Forderungen westlicher Regierungen an die Diktatoren in Tripolis und Damaskus, doch bitte zurück zu treten, waren und sind eher kontraproduktiv.
Hinter der Einmischung des Westens stecken Eigeninteressen
Die westlichen Regierungen sind überdies wenig glaubwürdig, wenn sie in Libyen und Syrien auf mehr Demokratie pochen. Denn die gleichen Regierungen in London, Paris, Washington und Berlin setzen weiterhin auf die nicht minder despotischen Regimes in Riad, Bahrein und anderen Staaten der Region - und rüsten diese Regimes, wie etwa Deutschland mit seinen geplanten Panzerlieferungen an Saudi-Arabien, sogar weiter auf.
Hinter dieser zynischen als "Stabilitätspolitik" bezeichneten Strategie des Westens im Nahen und Mittleren Osten stecken in erster Linie die unmittelbaren Eigeninteressen in den ölreichen Ländern der Region. Nicht erst seit die Bush-Regierung Anfang 2001 ihr Amt antrat, sondern bereits seit Ende der Neunzigerjahre wird diese Politik nicht nur in Washington zunehmend mit der Gefahr gerechtfertigt, die von einer "schiitischen Achse der Bösen" - bestehend aus der Vormacht Iran sowie Syrien, der Hamas und der Hisbollah ausgehe. Dagegen gelte es, aus den "gemäßigten" sunitischen arabischen Staaten Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Golfemiraten sowie Israel und den USA eine "Achse der Guten" zu formieren.
In Reaktion auf diese Politik setzte Rußland wieder zunehmend auf Syrien, das schon zu Zeiten des Kalten Krieges sein engster Verbündeter in der Region gewesen war. Moskaus Hinwendung zu Syrien verstärkte sich nach Israels jüngsten Kriegen im Libanon und im Gazastreifen sowie nach Israels anfänglichen israelischen Unterstützung für Tiflis im georgisch-russischen Konflikt 2006. Derzeit plant Rußland, seine Marinestreitkräfte an der syrischen Mittelmeerküste zu stationieren. Das - sowie die nicht nur aus russischer Sicht missbräuchliche Umsetzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Libyen - erklärt, warum Moskau gegen einen Beschluss des Rates zu Syrien so entschieden Widerstand leistet.
Diese weltpolitische Konstellation, die seit Ende der 90er Jahre besteht, bot denkbar schlechte Rahmenbedingungen für jene Politik vorsichtiger innenpolitischer Öffnung und Reformen, die Bashar Assad nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 einleitete. Und je länger der Westen und Rußland Syrien in erster Linie als ein Mitglied einer von Teheran geführten "Achse" - und daher als Feind beziehungsweise als Verbündeten in der Region - wahrnehmen und behandeln, desto geringere Chancen haben die Bestrebungen der Menschen in Syrien nach Freiheit, Demokratie und auf Verwirklichung ihrer Menschenrechte.
Umso größer wird auch die Gefahr eines Bürgerkrieges, der nicht nur zu einem Zerfall Syriens führen, sondern möglicherweise auch auf den benachbarten Libanon übergreifen und den sunitisch-schiitischen Konflikt in der gesamten Region anheizen könnte.
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