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Kommentar zur Altersarmut in Deutschland Es trifft vor allem alte Frauen

Es gibt eine simple Lösung für die Rentenfrage: Die Jungen müssen mehr zahlen und die Alten müssen länger arbeiten. Doch die Politik traut sich nicht.

Ein alltägliches Bild: Senior*innen sind im Alter mitunter auf das Pfandflaschensammeln angewiesen Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

taz FUTURZWEI | Immer weniger Junge und zugleich immer mehr Alte müssen gemeinsam den sozialen Zusammenhalt zwischen den Generationen leben, strukturieren, organisieren und vor allem auch finanzieren. Diese ungünstige Verteilung gilt bis etwa 2070 und daran ist nichts zu ändern. Im Gegenteil.

Allein um die gegenwärtige Verteilung zwischen den Generationen wenigstens zu stabilisieren, müsste jede Frau ab sofort 2,1 Kinder bekommen. Tatsächlich aber sinkt die Geburtenrate immer weiter, aus nachvollziehbaren Gründen. Heute beträgt sie 1,35 Kinder pro Frau.

Heute zahlen alle Erwerbstätigen für diese Aufgaben 41,9 Prozent von ihrem Bruttoeinkommen. Der Betrag setzt sich aus 14,5 Prozent für die Krankenversicherung, 3,6 Prozent für die Pflegeversicherung, 18,6 Prozent für die Rentenversicherung und 12,6 Prozent für die Arbeitslosenversicherung zusammen.

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Wenn das aktuelle Niveau der Versorgung gehalten werden soll, muss der Betrag kontinuierlich auf etwa 50 Prozent vom Bruttoentgelt ansteigen. Schon heute reichen die Sozialbeiträge zur Finanzierung aller Sozialleistungen nicht aus. Damit deren Versorgungsanspruch erfüllt werden kann, sind Zuschüsse aus dem allgemeinen Haushalt des Bundes und der Länder zwingend.

So kommen etwa 135 Milliarden Euro für die Renten und jeweils 14,5 Milliarden für die Kranken- beziehungsweise die Pflegeversicherung aus dem Bundeshaushalt aus den Steuern aller Bürger noch obendrauf.

Renten als unbeantwortete Frage

Es ist offen, ob die Höhe dieser Zuschüsse bei dem wachsenden Finanzierungsdruck durch neue Ausgaben, etwa zur Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, gehalten werden wird. Strategische Überlegungen der Politik, wie unser Sozialversicherungsstaat insgesamt durch Reformen, Innovationen und eine Effektivitätsrevolution zukunftsfest gemacht werden könnte, gibt es nicht.

Wie etwa die Renten - bedarfs- und generationsgerecht finanziert - an die wirtschaftliche Entwicklung, die Inflation und Lohnsteigerungen angepasst werden könnten, bleibt unklar. Das ist wohl deshalb so, weil das Anpassen der Leistungen des Sozialstaates an die demographischen Tatsachen ohne Leistungskürzungen, Steuererhöhungen und höhere Sozialabgaben nicht möglich ist. Das aber will niemand dem Elektorat zumuten.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Zusätzlich wird in allen sozialen Versorgungssystemen eine Effizienzrevolution gebraucht, die zwar Einsparungen generieren könnte, aber erst einmal Milliarden-Investitionen braucht. Die von der neuen Bundesregierung schon halb wieder abgesagte Effizienzrevolution in der Krankenhausversorgung durch Karl Lauterbach ist dafür ein überzeugendes Beispiel.

Das Rentenniveau ist unterirdisch

Das Rentenpaket II, ein vorsichtiger Einstieg in eine grundsätzliche Reform, wurde von der Ampel nicht mehr beschlossen. Übrig geblieben davon sind die 48 Prozent des letzten Bruttogehalts als Zielgröße für alle Renten unter den Bedingungen der Erfüllung vieler anderer Voraussetzungen, die aber längst nicht alle schaffen, etwa einer durchgehenden Lebensarbeitszeit von 45 Jahren.

Die Durchschnittsrenten für Frauen liegen deshalb heute bei etwa 900 Euro, für Männer bei 1.350 Euro.

Weil diese Renten bei den steigenden Mietkosten, der Inflation, sowie den immer höheren Lebenshaltungskosten, nicht ausreichen, sind immer mehr Rentner auf Grundrenten, Wohngeld und andere Sozialleistungen angewiesen, wie etwa die Übernahme der Pflegekosten durch die Sozialämter.

Kombirenten aus erworbenen Rentenansprüchen und zusätzlichen öffentlichen Versorgungsleistungen werden zur Normalität, Altersarmut wird bitterer Lebensalltag. Bei 900 Euro Altersrente, vielleicht noch einer kleinen Witwenrente obendrauf, sind vor allem alte Frauen davon betroffen.

Generationenvertrag statt Populismuskeule

Anstatt hier gegenzusteuern, greifen Politiker lieber zur Populismuskeule: Sie befeuern einen Krieg der Jungen gegen die Alten, nach dem Motto: Wir Jungen sind nicht bereit, die Versorgungslücken der Konsum-besoffenen Boomer auf Kosten unserer Lebenschancen zu schließen. So argumentiert etwa der Chef der Jungen Union, der Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel, der gerade einen Kampf gegen die Ausweitung der Mütterrente führt.

Dabei sind Eckpunkte einer Demographie-festen Rentenreform gar nicht schwierig zu identifizieren. Grundsatz eines solchen zukünftigen Rentensystems bliebe der Leitgedanke direkter Verantwortung der Jungen für die Renten der Alten aus dem Generationenvertrag von 1957.

„Wir Jungen sind nicht bereit, die Versorgungslücken der Konsum-besoffenen Boomer auf Kosten unserer Lebenschancen zu schließen.“

In seiner ersten Säule würden die Jungen mit ihren Abgaben direkt die Renten der je Alten finanzieren. Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden hälftig so hohe Sozialabgaben und zusätzlich Steuererhöhungen leisten, dass eine Grundrente in Höhe von 1800 Euro für alle daraus finanziert werden könnte.

Als Gegenleistung der Alten für diese Grundrente würde deren Renteneinstiegsalter auf etwa 70 bis 72 Jahre erhöht. Die Rente mit 63 würde abgeschafft.

Als zweite Säule würden Betriebsrenten und ähnliche Sicherungssysteme für andere Berufsgruppen gesetzlich verpflichtend eingerichtet und steuerlich gefördert.

In einer dritten Säule könnten alle Arbeitnehmer freiwillig in einem Staatsfond zusätzlich für ihre Alterssicherung am Kapitalmarkt sparen. Ein solcher Umbau des heutigen Rentensystems würde mehrere Generationen brauchen, bis er seine Wirkung entfalten könnte.

Er hätte aber den politischen Vorteil, dass alle Jungen und Alten gemeinsam durch die demographisch so schwierigen Jahre reisen könnten und auf diesem Weg zu neuer Gemeinsamkeit der ganzen Gesellschaft finden.

Verantwortung von Jung und Alt für einander und die Gesellschaft, ein erneuerter Zusammenhalt der Generationen, das könnte zu einer politischen Botschaft werden, die breite Zustimmung bei künftigen Wahlen gewinnt.

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