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taz FUTURZWEI

Kommentar zu Joschka Fischers Ideen einer neuen Weltordnung Europa als letzte Hoffnung?

Joschka Fischer beschreibt in seinem neuesten Buch eine neue machtbasierte Weltordnung. Ist eine Rückkehr ständiger kriegerischer Auseinandersetzung denkbar? Leider ja, meint unser Kolumnist.

Zeigt einen möglichen Weg in die Zukunft: Ex-Außenminister Joschka Fischer Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Federico Gambarini

taz FUTURZWEI | Joschka Fischer beginnt seine neueste weltpolitische Diagnose mit einer Beschreibung „des Übergangs von einer regelbasierten zu einer machtbasierten Weltordnung“, das meint „eine Rückkehr in die Vergangenheit ständiger kriegerischer Auseinandersetzung konkurrierender Mächte.“

Die große Frage, die der Außenminister der rot-grünen Jahre in seinem jüngsten Buch stellt: „In welcher Weltordnung werden mehr als acht Milliarden Menschen zukünftig leben? Ohne Ordnung, im Chaos der Rivalität mehrerer großer Mächte und deren widersprechenden Interessen, Wertesysteme und irrationaler Ambitionen, allerdings im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, ausgerüstet mit Atomwaffen, digitaler Technik und künstlicher Intelligenz?“

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In welcher Weltordnung leben wir (noch)?

Die Eckdaten der heutigen Weltordnung sind für Fischer:

Putin hat den zaristischen Großmachtchauvinismus zu seiner politischen Direktive erhoben, ist ohne eigenes Zukunftsmodell in Abhängigkeit von China geraten, kann zwar Europa destabilisieren, hat aber nur als Juniorpartner Chinas noch Anteil an Weltmacht-Perspektiven.

Xi Jinping knüpft an die neomaoistischen Zeiten der chinesischen KP an. Er hat China wirtschaftlich, technologisch und militärisch in den Rang der Weltmacht Nummer zwei geführt. China ist eine sich kommunistisch nennende Diktatur. Das Allgemeininteresse der Gesellschaft ist hier Staats­räson – jeder individuellen Freiheit übergeordnet.

US-Präsident Donald Trump knüpft mit „make America great again“ an den US-Isolationismus an. Das kann er sich leisten, denn Amerika ist ökonomisch, technologisch und militärisch nach wie vor die Weltmacht Nummer eins. Trump wird die amerikanischen Interessen mit einem auf die ganze Welt bezogenen rationalen oder irrationalen Führungsanspruch mit – ausdrücklich – allen Mitteln durchsetzen.

Europa und der globale Süden

Europa und die EU sind machtpolitisch und militärisch schwach, dazu noch demografisch vom Rückgang seiner Bevölkerung betroffen und intern zerstritten. Wenn es im transatlantischen Verbund an der Seite eines – auch ohne die EU – starken Amerika eine weltpolitische Rolle spielen will, dann muss die EU eine zentralisierende Machttransformation hinbekommen.

Gelingt das nicht, wird es einen transatlantischen, freien Westen nicht mehr geben. Europa wird dann weltpolitisch keine Rolle mehr spielen. Das gilt umso mehr für den Fall, dass es Europa nicht gelingen sollte, auch ohne massive amerikanische Hilfe, die Ukraine als selbstständigen Staat zu sichern.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Der globale Süden drängt nach der Überwindung der Folgen des Kolonialismus, auch der mentalen, auf Anerkennung und Weltgeltung.

Der Krieg im Nahen Osten um die Zukunft Israels zeigt, so Fischer, die Schwäche der heutigen Weltordnung, verbindliche Rahmenbedingungen für das Miteinander zerstrittener Nationen zu setzen. Nur deshalb kann die Mittelmacht Iran die ganze Region destabilisieren und weltweit religiös ideologisch aufgeladene Konflikte lostreten.

Die neue Teilung der Welt

Schließlich ist festzuhalten, dass sich die Zweiteilung der Welt in Demokratien und Autokratien verfestigt hat. Beide Seiten kämpfen um Macht und Einfluss. Die bisherige Weltordnung, die auf den „liberalen Prinzipien Amerikas, seiner Macht und Kreativität und der westlichen Vorherrschaft gegründet war“, sagt Fischer, „hat vor diesem globalen Machtgefüge an Kraft und Akzeptanz verloren.“

Ohne einen neuen globalen Ordnungsrahmen würden Chaos und Kriege die Weltpolitik destabilisierend bestimmen, würden Regionalmächte die Gelegenheiten nutzen, um ihre Interessen in Kriegen und mit Terror durchzusetzen.

In dieser geopolitischen Lage sieht Fischer im Interesse eines weltweiten Friedens nur eine Möglichkeit. „Die beste Option für die Weltgemeinschaft wäre ein zu gleichen Teilen auf Kooperation gründender chinesisch amerikanischer Frieden, garantiert durch diese beiden globalen Supermächte. Damit würde die Welt aufs Neue zu globaler Stabilität finden.“

JOSCHKA FISCHER: Die Kriege der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung. Kiepenheuer & Witsch 2025 – 224 Seiten, 23 Euro

Realpolitik und universalistische Demokratie

Diese Idee setzt auf die realpolitische Vernunft des „Duopols Amerika-China“ und geht von deren Verzicht auf eine weltweite politische und geistige Hegemonie ihres eigenen Gesellschaftsmodells aus.

Fischer reduziert damit die demokratische und rechtsstaatliche Idee des liberalen Westens, ihren universellen Anspruch auf die Geltung von Freiheits- und Menschenrechten, auf eine bloß machtpolitische Entität, die nur in ihrem eigenen Herrschaftsbereich gesichert ist. Die Welt würde in machtpolitisch zugeordnete Einflusszonen aufgeteilt, für die strikte Vereinbarungen der Nichteinmischung gelten würden.

Für mehrere Milliarden Menschen wäre Demokratie nicht mehr als eine nie erreichbare Luftnummer, im Interesse eines für sie abstrakten Weltfriedens würden Willkür und Unterdrückung hingenommen. Die große Tradition des Westens, liberale Freiheitsbewegungen subversiv und notfalls auch mit Gewalt zu unterstützen, wäre Geschichte.

Das ist hart, aber Joschka Fischer gibt andererseits Europa als transatlantischen Partner Amerikas als gemeinsamen Anker westlichen Denkens und Handelns nicht einfach auf. Er sieht in einer von Deutschland durchgesetzten Vertiefung der EU die Chance, den Westen insgesamt auf universalistischem Kurs zu halten.

Er zeichnet das deutsche Staatwerden nach – auf seinem Weg heraus aus dem preußischem Machtgebaren und in seinen Versuchen, mit den zwei angezettelten Weltkriegen selbst zur Weltmacht aufzusteigen.

Er beschreibt den von den Alliierten patriarchalisch begleiteten Aufstieg der Bundesrepublik nach 1945 zur demokratischen Zentralmacht in der EU, mit Adenauers Westbindungspolitik bis zur Wiedervereinigung, als demokratische Selbstermächtigung, die nur wegen des bewussten Souveränitätsverzichtes zugunsten der EU erfolgreich war. Deutschland muss aus Eigeninteresse und als Selbstverpflichtung für einen freiheitlichen Westen eintreten, offensiv für eine Vertiefung der EU und gegen den auch in Europa sich ausbreitenden Neonationalismus.

Die EU, sagt Joschka Fischer, könnte Amerika trotz Trump auf freiheitlichem Kurs für die ganze Welt halten. Das ist eine Rolle, die durchaus Europas historischem Gewicht entspricht. Und es ist eine deutliche Ansage Fischers an die deutsche Politik.

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