Kommentar zu Flüchtlingen: Der Senat steht unter Druck
Was am Oranienplatz und in der besetzten Schule geduldet wird, ist am Breitscheidplatz ein Grund für Räumung. Nachvollziehbar ist das nicht.
B is vor zwei Tagen war klar: Wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht muss sich im Berliner Flüchtlingsprotest niemand Sorgen machen. Dieses Vergehen, nahezu Voraussetzung für die Selbstorganisation von Flüchtlingen, wurde von den Berliner Behörden nicht geahndet. Nicht, dass die Verstöße ein Geheimnis gewesen wären: Auf dem Marsch von Würzburg nach Berlin, dem Beginn der aktuellen Proteste, überschritten die Flüchtlinge mehrfach und teilweise vor Kameras die Grenzen ihrer Landkreise und verstießen so öffentlich gegen das Gesetz, das es nur in Deutschland gibt, hier seit Jahren kritisiert wird und in mehreren Bundesländern mittlerweile abgeschafft ist.
Die gleichen Flüchtlinge machten auch in ihrem Protestcamp am Oranienplatz immer wieder klar, dass ihr Aufenthalt in Berlin einen bewussten und gewollten Verstoß gegen die Residenzpflicht bedeutete. Gewaltsam zurückgebracht wurden sie trotzdem nie.
Was am Oranienplatz und in der besetzten Schule geduldet wird, ist wenige Kilometer weiter am Breitscheidplatz plötzlich ein Grund für Räumung und Abtransport – nachvollziehbar ist das nicht. Der nun vollzogene Politikwechsel zeigt, dass es Berlin weiterhin an einem Konzept für den Umgang mit dem nicht abreißenden Flüchtlingsprotest fehlt. Paradoxerweise sind deshalb selbst die Ereignisse vom Breitscheidplatz ein Erfolg für die Flüchtlingsbewegung: Wer so widersprüchlich und unsouverän handelt wie momentan der Berliner Senat, muss schließlich ziemlich unter Druck stehen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens