Kommentar von Stefan Reinecke zu Olaf Scholz’AKW-Entscheidung: Kein Machtwort, sondern ein Griff zur Notbremse
Der Kanzler hat ein Machtwort gesprochen. Endlich greift Scholz durch. Warum denn nicht früher? So sehen es manche. Aber das ist ein autoritär durchtränktes Bild von Politik. Und es hat mit den Machtverhältnissen in der Ampel wenig zu tun.
Denn Scholz’Richtlinienkompetenz ist kein Fürstenwort, sondern nur ein mit gewissem Nachdruck versehener Vorschlag zur Güte. Wir haben eine parlamentarische Demokratie, keine Präsidialdemokratie. Scholz hat nur Erfolg, wenn FDP und Grüne nun auch brav die Hand im Bundestag für das veränderte Atomgesetz heben.
Deshalb war der Kanzler gut beraten, dieses Instrument sehr spät einzusetzen – und nur, um die autodestruktive Dynamik zwischen FDP und Grünen zu stoppen. Grüne und FDP hatten sich in dem Atomstreit derart verhakt, dass drohte, womit niemand glücklich geworden wäre. Weil Christian Lindner sich weigerte, den Streckbetrieb für zwei AKWs durchzuwinken, wäre der Reservebetrieb für das reparaturbedürftige AKW Isar 2 unmöglich gewesen. Was FDP und Grüne boten, erinnerte an einen Slapstickfilm, in dem eine harmlose Rauferei mit dem Abriss des Hauses endet.
Scholz hat auch kein Machtwort gesprochen. Das kann er nicht. Gerhard Schröder konnte mit Basta-Ansagen die kleinen Grünen erpressen, die damals nur mit der SPD regieren konnten. In der Ampel ist die Macht anders verteilt. Grüne und FDP können gehen, wenn ihnen die Ampel nicht mehr passt. Im Hintergrund wartet die Union.
Verwunderlich war, mit welcher Inbrunst der Streit über die AKWs geführt wurde. Der Anteil der AKWs an der Stromproduktion ist ja minimal. So standen Affekte und Relevanz in einem seltsamen Missverhältnis. Für die Grünen ist der Atomausstieg eine Art Fetisch. Sie machen in der Regierung viele Kompromisse, von Kohlekraftwerken bis zu Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien, die den Idealen feministischer Außenpolitik nicht direkt entsprechen. Dafür stehen sie eisern beim Atomausstieg – es hat etwas von einer Ersatzhandlung.
Für die FDP bot die Atomdebatte die Möglichkeit, die bei Wahlen so unverschämt erfolgreichen Grünen wie früher als antimoderne Ideologen anzugreifen. Daher rührte die Verve der Debatte. Nüchtern betrachtet ist es hingegen zweitrangig, ob zwei oder drei Atomkraftwerke in Deutschland 14 Wochen länger laufen werden. Eigentlich haben wir – Ukraine, Rezession, Inflation, Pleitewelle – wichtigere Probleme.
Also ein glimpfliches Ende eines von allen Seiten überbewerteten Streits? Ja, aber nicht nur. Dass der Kanzler zu diesem Mittel greifen muss, zeigt, wie tief sich das Misstrauen in dieser Koalition eingenistet hat.
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