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Umgang mit Gewalt gegen FrauenSelbstkritik ist immerhin ein Anfang

Patricia Hecht

Kommentar von

Patricia Hecht

Ja, es gibt Fortschritte beim Kampf gegen häusliche Gewalt. Doch wenn sich die Union nicht permanent verweigern würde, wären wir schon viel weiter.

Von der Politik muss deutlich mehr kommen, Frauendemo am 8.3.2025 in Berlin Foto: Stefan Boness

N och Mitte der 1970er Jahre gab es in Deutschland keine Anlaufstelle für Frauen, die vor teils schlimmsten Misshandlungen durch ihre Partner flüchten mussten. Erst 1976 öffnete das erste autonome Frauenhaus in Westberlin. Es behauptete sich gegen massiven Widerstand von Öffentlichkeit und Ehemännern. Heute, knapp 50 Jahre später, ist die Situation eine andere. Rund 400 Frauenhäuser gibt es bundesweit.

Seit 2018 gilt hierzulande die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats gegen Gewalt gegen Frauen. Im Februar wurde das Gewalthilfegesetz verabschiedet, das zum ersten Mal einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder festhält. Voraussichtlich ab 2032 soll der gelten – ein historischer Schritt. Und trotzdem: Fast 266.000 Opfer häuslicher Gewalt gab es 2024 in Deutschland, mehr als 70 Prozent davon Mädchen und Frauen – und das Dunkelfeld ist immens. 191 Mädchen und Frauen kamen durch häusliche Gewalt zu Tode. 2022 konnten bis zu 15.000 schutzsuchende Frauen nicht in Frauenhäusern aufgenommen werden.

Nun zeigte sich Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) bei der Vorstellung der Gewaltzahlen vergangene Woche ungewohnt selbstkritisch. „Tut die Politik ausreichend viel, um Frauen vor Gewalt zu schützen?“, fragte Dobrindt und gab sich gleich selbst die Antwort: „Da muss deutlich mehr kommen.“

Selbstkritik ist ein Anfang – vor allem von MinisterInnen der Unionsfraktion. Während ihre SPD-Kollegin, Justizministerin Stefanie Hubig, bereits einen Gesetzentwurf zum Einsatz der elektronischen Fußfessel und zu K.-o.-Tropfen vorgelegt hat, Verschärfungen im Sorge- und Umgangsrecht ankündigt und verbale sexualisierte Gewalt unter Strafe stellen will, kommt von der Unionsseite wenig bis nichts.

Seit der 70er hat sich viel getan

Deren Verweigerungshaltung ist auch ein Grund, warum der Schutz vor Gewalt keine wesentlich größere Rolle im Koalitionsvertrag spielt. Warum wird von UnionsministerInnen der Länder gegen manche Pläne Hubigs mobil gemacht? Und warum ziehen sich solche Länder aus der Finanzierung der Hilfestruktur zurück?

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Seit Mitte der 70er Jahre hat sich viel getan. Aber die Kontinuität, dass Männer ihre Frauen und Kinder schlagen und umbringen und die Taten als „Familiendrama“ ins Private geschoben werden, existiert noch. Gewalt gegen Mädchen und Frauen als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen, ist noch immer nicht angekommen. Da ist mehr nötig, als einmal jährlich Betroffenheit am Tag gegen Gewalt gegen Frauen zu zeigen.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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3 Kommentare

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  • 》Selbstkritik ist ein Anfang – vor allem von MinisterInnen der Unionsfraktion. Während ihre SPD-Kollegin, Justizministerin Stefanie Hubig, bereits einen Gesetzentwurf zum Einsatz der elektronischen Fußfessel und zu K.-o.-Tropfen vorgelegt hat, Verschärfungen im Sorge- und Umgangsrecht ankündigt und verbale sexualisierte Gewalt unter Strafe stellen will, kommt von der Unionsseite wenig bis nichts.《



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    Das stimmt so nicht. Das oben erwähnte Gewakthilfegesetz ist kurz vor der Wahl von der Restampel mit der Union verabschiedet worden.



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    Zum Gewaltschutzgesetz, ausdrücklich auch der Fussfessel, hatte Merz ein eigenes Gesetz eingebracht



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    taz.de/Friedrich-M...bb_message_5109270



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    taz.de/Strafrechts...bb_message_4982521



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    Das an SPD und Grünen gescheitert ist, weil sie die zusätzliche Aufnahme des Merkmals 'Ausnutzen körperlicher Überlegenheit' in den Mordparagraphen abgelehnt haben.



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    taz.de/Toechter-De...bb_message_5110274 Mordmerkmal

  • Wo anfangen, wo es so viels gibt, was im Bezug auf Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt und sexueller Ausbeutung schief läuft.

    Anfangen bei den über 400 Frauenhäusern, überbelegt und unterfinanziert?

    Anfangen beim gesellschaftlichen Bild, welches durch Medien noch verstärkt wird? Also dass vermittelt wird, dass eine Frau mit Größe 36 schon als fett gilt, jederzeit sexuell verfügbar zu sein hat und gleich auf den nächsten springt, der bestimmte Knöpfe drückt?

    Oder beim Patriachat, entweder religiös oder durch Erziehung fest verankert. Der junge Mann darf sich gern ausprobieren. Das junge Mädchen/ die Frau eben nicht. "Küche Haushalt, dem Mann willig sein, Maul halten".

    Beim gesamtgesellschaftlichen weg sehen? Wenn schlimmes passiert, ahnten es die Nachbarn im Rückblick zwar, aber riefen weder Polizei noch Jugendamt.

    Oder beim romantischen Bild der freiwilligen "Sexarbeit"? Die mag es zwar geben und sind besonders präsent, aber in der Regel ist Prostitution eine Form der Vergewaltigung. Zwang, Ausbeutung, Gewalt und Ringtausch (um den Eindruck von "Frischfleisch" zu erhalten).

    Oder "Catcalling", Belästigung... es gibt so vieles und ich sehe nicht wirklich eine Verbesserung.

  • Die Politik tut nicht genug, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Und sie tut nicht genug, um Männer vor Gewalt zu schützen. Und Kinder.