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Kommentar griechisches ReferendumEine Chance für ganz Europa

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Das griechische Referendum war keine Entscheidung über Finanzierungspläne, sondern über Demokratie. Und die funktioniert nicht ohne Hoffnung.

Pensionen zu streichen, ist nicht genug: Rentner vor der griechischen Nationalbank. Foto: reuters

D as Nein der griechischen Bevölkerung zu den Sparforderungen der Gläubiger ist eine gute Nachricht für Europa. Ein Mitgliedsland der Europäischen Union hat mit großer Mehrheit die Rückkehr zur Politik gefordert. Endlich.

Wahr ist: Die Probleme von Griechenland sind durch das Referendum nicht kleiner geworden. Es ist folgerichtig, dass alle, die über den Ausgang der Volksabstimmung enttäuscht sind, das mit wirtschaftlichen Argumenten begründen. Aber um die ging es ja gar nicht. Die konkreten Vorschläge, über die abgestimmt werden sollte, waren nach Angaben der Eurogruppe ohnehin längst vom Tisch. Über die konnte überhaupt nicht mehr entschieden werden.

Das Votum der Griechen ist deshalb nicht als sorgsam austarierte Entscheidung über Finanzierungspläne zu verstehen. Sondern als Forderung nach Demokratie.

Schon bei der Einführung des Euro hatte es vereinzelt Warnungen gegeben, hier werde der Dachstuhl eines Hauses ausgebaut, dessen Fundament noch nicht gelegt sei. Sollte heißen: Eine Währungsunion sei verfrüht, solange nicht geklärt sei, wie Demokratie unter diesen Umständen funktionieren könne.

Diese Warnungen haben sich als berechtigt erwiesen.

Hätte die griechische Bevölkerung mit Ja gestimmt: ihre Regierung hätte künftig kaum mehr tun dürfen, als Bändchen vor neuen Brücken oder Gebäuden durchzuschneiden, über deren Finanzierung anderswo entschieden worden wäre. Wenn das die Zukunft ist, der alle in Not geratenen Länder und ihre Völker entgegensehen –dann braucht man sich über Zulauf zu nationalistischen Parteien nicht zu wundern. Europa hat Glück, dass die griechische Regierungspartei Syriza wenigstens nicht europafeindlich ist.

Demokratie ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft funktioniert nirgendwo auf der Welt. Trotz aller Zerstrittenheit sind sich die Verhandlungspartner in zentralen Punkten einig: Die griechische Wirtschaft wird zur Erholung sehr viel Geld brauchen. Die Kürzung von Sozialleistungen und die Privatisierung von Staatseigentum könnten allenfalls Tropfen auf einen sehr heißen Stein sein.

Weshalb jetzt nicht nur über neue Kredite verhandelt werden sollte. Sondern endlich offen über die Grenzen von Souveränität und Demokratie geredet werden muss. In dieser längst überfälligen Diskussion liegt die Chance des griechischen Referendums – für ganz Europa.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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19 Kommentare

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  • Danke Frau Gaus! Ihr Text spricht mir aus dem Herzen!

    Griechenland ist ja økonomisch `pleite´..

    ja und?

    Aber menschlich ist Hellas offensichtlich reicher als die EU ..

  • Hallo Frau Gaus,

     

    dann kann Bayern, doch gleich mehr Rechte innerhalb der Bundesrepublik einfordern. Und dann eigentlich gleich die Unabhängigkeit. Nein, der Sinn der Bundesrepublik/EU ist ja, dass die Entscheidungen eine Ebern nach oben verlegt werden. Natürlich demokratisch legitimiert. Aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden. Ich freu mich, wenn die nationalen Parlamente immer weniger zu sagen habe. Nur so können wir den Aufgaben der Zukunft gewachsen sein. Ein Steuersystem in der EU, dass Steuerschlupflöcher schließt, eine EU, die den MArkt angleicht, oder wollen Sie weiter unverschämte Roaming Gebühren zahlen. Und eine EU, die hoffentlich dem Wahsninn der Mautsystem irgendwann einen Strich durch die Rechung macht. Die EU ist die Zukunft. Und wer Ihr Beitritt, erkennt die Statuten der EU an.

  • Welche Demokratie soll das sein, wenn 11 Millionen Griechen den übrigen 500 Millionen Europäern vorschreiben wollen, was die zu tun haben.

    • @Richard Kotlarski:

      Da wurde was vertauscht, richtig lautet der Satz: "Welche Demokratie soll das sein, wenn 500 Millionen Europäern den 11 Millionen Griechen vorschreiben wollen, was die zu tun haben."

      • @TV:

        Den 11 Millionen wird nichts vorgeschrieben. Sie können machen was Sie wollen. Es gibt ein Angebot der EU. Wenn man das nicht möchte, dann ist Griechenland pleite. Es wird keiner Gezwungen. Was für ein dummer Kommentar.

  • "Hätte die griechische Bevölkerung mit Ja gestimmt: ihre Regierung hätte künftig kaum mehr tun dürfen, als Bändchen vor neuen Brücken oder Gebäuden durchzuschneiden, über deren Finanzierung anderswo entschieden worden wäre."

    War es nicht eigentlich genau das was als Endziel der europäischen Einigung ursprünglich angedacht war? Das mit der Kleinstaaterei endlich ein Ende sein soll?

  • "Schon bei der Einführung des Euro hatte es vereinzelt Warnungen gegeben, hier werde der Dachstuhl eines Hauses ausgebaut, dessen Fundament noch nicht gelegt sei. Sollte heißen: Eine Währungsunion sei verfrüht, solange nicht geklärt sei, wie Demokratie unter diesen Umständen funktionieren könne.

    Diese Warnungen haben sich als berechtigt erwiesen."

     

    Yupp. Siehe dazu: https://www.youtube.com/watch?v=x1ef0BBtuYA

     

    Ich finde es interessant, daß die Tatsache, daß gigantischer (!) Deutschlands Exportüberschuss nirgendwo mehr als Ursache der aktuellen Situation thematisiert wird.

     

    Wenn über 15 Jahre ein Mitglied einer Währungsgemeinschaft ständig viel mehr verkauft als alles anderen, dann MÜSSEN sich bei vielen anderen die Schulden aufhäufen.

     

    Solange wir nicht verstehen, was hier passiert, und wer davon profitiert, wird die Grundsituation und die Gefahr für die gesamte Eurozone von Tag zu Tag immer schlimmer.

     

    Bisweilen denke ich, daß unsere Regierungen von Makroökonomie genauso wenig Ahnung haben wie vom Neuland.

    Indiz:

    Der Euro ist kaum älter als das Internet, und die Sprüche bzgl. Griechenland auf dem Niveau unserer Zensursula...

    • @Jens Siegfried:

      Wer hindert denn, die anderen Länder wettbewerbsfähiger zu werden? Wenn meine Konkurrenz besser verkauft, muss ich mir anschauen, warum das so ist und meinen Verkauf verbessern. Es ist so dämmlich Deutschland für seinen Erfolg zu kritisieren. Die Griechen dürfen gerne mehr Verkaufen, nur müssten Sie Ihre Wettbewerbsfähigkeit dann erhöhen.

    • @Jens Siegfried:

      Vielleicht sollte sich Schäuble an Varoufakis ein Vorbild nehmen und zurücktreten? So als vertrauensbildende Maßnahme?

  • Jetzt endlich die Versorgung der Kranken in Griechenland sicherstellen!

    Sofortige Auszahlung der blockierten Gelder!

    Deutschlands Exportüberschuss ist den anderen Ländern ihr Handelsdefizit.

    Das wurde genauso schuldenfinanziert wie die Arbeiterklasse in den USA auf Kredit konsumierte / in Schulden geriet.

     

    Sollen also alle Belieferten immer weniger Geld verdienen, immer weniger Rechte haben?

    "Interne Abwertung" führt dazu, dass niemand mehr die deutschen Exporte kaufen kann.

    also: so viel Transferunion wie möglich.

    • @nzuli sana:

      was denn für blockierte gelder???? die Griechen dürfen mit dem Geld, dass sie haben machen,w as sie wollen. aber wohl gemerkt, mit dem Geld was sie haben!

  • Demokratie ohne Hoffnung funktioniert tatsächlich nicht. Genau deswegen hätten der Veröffentlichung von "The Limit to Growth" (Die Grenzen des Wachstums) vor immerhin 43 Jahren nicht bloß unendlich viele erhobene Zeigefinger folgen dürfen. Das Buch hätte dazu führen müssen, dass die Macht der Wirtschaft über die Politik erst hinterfragt und dann gebrochen wird. Nur war die Zeit dafür gerade ziemlich ungünstig.

     

    Es galt, mittels Sieg im Systemwettbewerb einen Atomkrieg zu verhindern. Der Russe stand nicht nur zuerst im All damals. Er hat vor jeder einzelnen Haustür gestanden. Im Grunde hatte er bloß eine einzige Schwäche. Das war seine schwache Wirtschaft. Wer wollte da der eignen, starken Zügel anlegen? Die Demokraten jedenfalls nicht. Bis heute hat "The Limit to Growth" keine Folgen. Nicht mal auf Klimagipfeln hört man mehr als lasche Absichtserklärungen. Eine weltweit verbindlichen Pflicht zur Regulierung der (Finanz-)Wirtschaft stand nie in Rede.

     

    Das Schöne an Griechenland ist nun, dass es nicht nur ein Buch ist – und wenn, dann ein sehr altes und bekanntes. Die meisten Leute sind entweder schon mal da gewesen oder waren wenigstens mal essen in der Taverne nebenan. Die Abenteuer des Odysseus wurden als "teuerster Fernsehfilm aller Zeiten" beworben und die ARD schickt jeden Sonntag zur besten Sendezeit einen griechischen Wirt in deutsche Wohnzimmer. Wenn es also einer Chance gibt auf so etwas wie Empathie angesichts des abstrakten Themas Demokratie, dann jetzt.

     

    DIE Griechen sind nicht nur bekannt als Erfinder der Demokratie. In ihrer vorgeführten Abhängigkeit und ihrem trotzigen Stolz stehen sie quasi stellvertretend für all die von uns, die keine eigne Macht besitzen. Darin liegt die eigentliche Chance, die diese Katastrophe birgt. Am Beispiel Griechenlands werden nicht nur Kredite verhandelt oder Haushaltsposten. Es geht um Freiheit, Stolz und eben Hoffnung. Darüber aber können wir alle mitreden.

  • Demokratie ist natürlich ein sehr hohes Gut. Allerdings kann man demokratisch etwas beschließen, das nicht bezahlbar ist. Der Beschluss wurde zwar von der Mehrheit angenommen, aber wenn niemand bereit ist, ihn zu bezahlen, läuft er ins Leere. Von daher sehe ich das ganze nicht als positiv für die Demokratie. Es wurde vielmehr etwas beschlossen, was nicht bezahlt werden wird (weitere Hilfe bitte, aber ohne Auflagen), weil die anderen Regierungen auch Wähler zu verlieren haben. Das könnte der Demoktratie sogar schaden, weil viele Leute den Unterschied nicht verstehen, dass ihre Abstimmungen wenig Bedeutung haben, wenn sie nicht finazieret werden können.

  • Das Gute im Schlechten sehen... von mir aus!

     

    Blöd nur, dass wenn eine gleiche Abstimmung über Griechenlandhilfen im Rest Europas stattfände ggf. das dann nicht mehr als demokrattisch legitime Mitbestimmung und Souveränität gesehen werden würde.

     

    Es wäre (wieder mal) schön wenn die Einsicht wüchse, dass linke Gedanken und somit deren Wähler meist in der Minderheit sind.

    Schön sich derzeit die argumentativen Rosinen zu picken... dennoch ist eher von verwirrten Griechen zu reden als von gezielten strategischen Vorgehen!

  • "Weshalb jetzt nicht nur über neue Kredite verhandelt werden sollte. Sondern endlich offen über die Grenzen von Souveränität und Demokratie geredet werden muss. "

     

    Nein , ist nicht schlimm , Frau Gaus . Sie sind nicht allein : Niemand weiß zur Zeit genauer , wie es weiter gehen wird , gehen kann , gehen soll . Die Krisenverwalter_Innen kommen uns vor wie Zauberlehrlinge , die überfordert und ratlos an Knöpfen einer gigantischen Maschine drehen , die unser aller Leben bestimmt - ... und niemand von ihnen weiß das richtige Zauberwort .

  • "Sondern endlich offen über die Grenzen von Souveränität und Demokratie geredet werden muss."

     

    Dem stimme ich vollumfänglich zu! Denn unter diesen Vorzeichen hätte man bei Griechenland schon 2010 die Reissleine gezogen (was übrigens nahezu gleichbedeutend ist mit einem Schuldenschnitt).

     

    @Celsus: auch wenn es sich so schön liest ist die Aussage mit den Waffenlieferungen nicht zielführend. Wg. ein paar Mrd. (at best) EUR? http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-06/griechenland-deutschland-ruestung-kooperation

     

    Das vis-a-vis den Krediten aufzurechnen ist lachhaft. Griechenland ist kein funktionierender Staat. Erst wenn das griechische Volk die Themen Korruption, funktionierende Verwaltung und Steuerbehörden in den Griff bekommt, wird es aufwärts gehen. Frau Kipping kann zwischenzeitlich gerne ein FSJ dort machen.

  • Die Chance für Europa wäre ncoh größer, wenn die Parteien gehen würden, die uns diese Suppe eingebrockt haben. Hat die große Koalition es verpasst die lauten Schreie von allen Oppositionsparteien ernst zu nehmen. Die sahen alle keine vernünftigen Grund für griechische Schulden meist gegenüber der deutschen Waffenindustrie zu haften.

     

    Dazu flossen reichlich Bestechungsgelder. Und seien wir mal ehrlich: Diese Regierung fand doch in Wahrheit, dass der Export die Mittel heiligt.

     

    Jetzt wird das Desaster aber auch für den deutschen Haushalt immens werden. Gibt es einen Merkelexit und Neuwahlen, weil die CDU das Land mal wieder rekordmäßig verschuldet hat???

  • Ich bin begeistert von meiner taz. Heute schreibt Frau Herrmann auf S. 11 der Printausgabe unter Tschüss Varoufakis seine Rolle im Kampf um Troija, ein Heros,

    Den besungen selbst Homers. Wir hätten es wissen können: Es gibt eine Aufgabenteilung zwischen den Helden im Kampf um Troja:

     

    Varoufakis als: Achilleus Zorn „Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,

    Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,

    Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs

    Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,

    Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet“

    Odysseus beschreibt ihn mit den Worten

    Der Held Achilles, den die Meinung krönt

    Als Nerv und rechte Hand des ganzen Heers –

    Das Ohr gefüllt mit seinem luft'gen Ruhm,

    Wird frech und launenhaft und ruht im Zelt,

    Verspottend unser Tun. Mit ihm Patroklus,

    Auf einem Lotterbett, treibt freche Possen

    Den lieben langen Tag…

    Der Listenreiche Odysseus, Tsipras wird es schwer haben, aber er wird am Ende nach hause kommen und die Freier töten:

    Odysseus (episch griechisch Ὀδυσσεύς) ist ein Held der griechischen Mythologie.

    Odysseus gehörte zu den bekanntesten griechischen Heroen im Trojanischen Krieg.

    Er zeichnete er sich vor allem durch außergewöhnlichen Verstand und listige Ideen aus.

    Europa hat eine Chance. Wir können noch lernen. Es geht nicht um das Recht Haben, Herr Schäuble, sondern um einen politischen Willen für Europa.

    Dazu sagt Peter Sloterdijk am 18.12.2012 bei der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit u.a. Die Europäische Union ist der Club der gedemütigten Imperien

    "Wir sind an Bord eines Schiffes gegangen, dessen Kapitäne im Streit miteinander liegen, und niemand weiß, welcher Kurs eigentlich eingeschlagen worden ist. Selbst wenn wir für das Schiff unser gemeinsames Geld geben, werden wir wahrscheinlich nicht entscheiden können, wohin wir fahren wollen.

    • @Peter Meisel:

      wer nimmt denn die Rolle des Achilles ein? Europa?