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Kommentar deutsch-türkisches VerhältnisDie neue Normalität

Kommentar von Wolf Wittenfeld

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind noch immer angespannt. Das ist nicht überraschend, denn an den Ursachen hat sich nichts geändert.

Die Spannungen sind geblieben Foto: dpa

W er gehofft hatte, dass sich die deutsch-türkischen Beziehungen nach der Freilassung von Deniz Yücel im Februar vergangenen Jahres wieder so normalisieren, wie es zwischen zwei befreundeten und verbündeten Staaten normal ist, sieht sich ein knappes Jahr später enttäuscht. Die Spannungen sind geblieben, weil sich an den Ursachen für sie nichts geändert hat.

Sieht man einmal davon ab, dass Kanzlerin Angela Merkel einen damals noch möglichen Beitritt der Türkei zur EU seit ihrer Wahl 2005 hintertreibt, was das deutsch-türkische Verhältnis bereits deutlich abgekühlt hat, liegt die Hauptursache der Spannungen an den Folgen des Putschversuchs gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan 2016.

Völlig zu Recht hat die Bundesregierung die anschließende, bis heute anhaltende flächendeckende Repression gegen jeden Oppositionellen kritisiert, zu denen letztlich auch die Verhaftungen von Deutschen aus politischen Gründen gehören – andererseits weigert sie sich bis heute, über die Schuldigen des Putsches zu sprechen.

In der Türkei gibt es kaum Zweifel daran, dass der Putsch von der Gülen-Sekte initiiert wurde. Dass gilt für die Regierung, aber auch für die Opposition. Wenn dann der Präsident des Bundesnachrichtendienstes öffentlich behauptet, die Gülen-Sekte sei nichts anderes als eine Bildungsorganisation und gleichzeitig Tausende Gülen-Anhänger in Deutschland ein sicheres Exil finden, nährt das in Ankara natürlich den Verdacht, dass Deutschland die Putschisten unterstützt.

Es ist gut, dass in Deutschland unabhängige Gerichte über Asylanträge entscheiden, aber Ankara hat auch einen Anspruch darauf, dass Auslieferungsanträge gegen Leute, denen eine Beteiligung an dem Putsch vorgeworfen wird, genauso geprüft werden, wie wenn Spanien oder Portugal die Auslieferung von Flüchtlingen verlangt.

Solange das nicht passiert, wird man in Ankara nicht glaubwürdig die Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlangen können.

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5 Kommentare

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  • Solange grosse Teile UNSERER Wirtschaftsleistung in der Türkei erbracht wird (weil es dort billiger ist) wird sich an der Kriecherei Deutschlands gegenüber dem Sultan nichts ändern.



    Der Grossteil der Weissware kommt z.B. da her - und die Wirtschaftsbosse werden den hörigen Politikern schon den Marsch blasen, diese Produktion zu gefährden.

  • Herr Recep Tayyip Erdoğan sollte sich mal VIEL Zeit für ein privates Gespräch mit seinem ehemaligen Freund und Mitstreiter Herrn Fetullah Gülen nehmen!

    Um rauszufinden, warum diese Freundschaft zerbrach.

  • Ich bin zutiefst entsetzt darüber, wie einfältig ein Taz-Autor der türkischen Propaganda auf den Leim geht. Wenn die Türkei gegen bestimmte Personen eindeutige Beweise für eine Beteiligung am Putsch vorlegen kann, dann soll sie dies auch tun. Dann werden sich unsere Gerichte damit befassen. Die Bundesregierung hat damit gar nichts zu tun. Das ist eine Sache für unsere Strafgerichte. Eine Auslieferung ist jedoch ausgeschlossen, da es keine faire rechtsstaatliche Verfahren in der Türkei gibt und Folter droht. Wenn Straftaten begangen worden sind, dann kümmern sich unsere Gerichte darum. Wir haben hier immer noch eine funktionierende Gewaltenteilung, die hoffentlich die Taz auch nicht aufheben möchte, nur um der Türkei bei ihren quasi-stalinistischen Säuberungen behilflich zu sein. Allein die Zugehörigkeit zur Gülen-Sekte beweist noch keine Beteiligung am Putsch, auch wenn man das in der Türkei anders sieht. Hier gelten anders als in der Türkei rechtstaatliche Grundsätze noch. Dabei ist auch unerheblich was die eingeschüchterte Opposition in der Türkei von sich gibt.

    • @vulkansturm:

      DANKE für diese deutliche Erklärung. Die folgenden Zahlen stehen heute in der Badischen Zeitung, hinter denen bestimmt viel Leid steckt: Laut türkischem Innenministerium wurden seit dem Putschversuch vom Juli 2016 rund 218 000 Menschen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen. Davon wurden nahezu 17 000 verurteilt, fast 1000 von ihnen zu lebenslanger Haft. Knapp 15 000 warten noch in der U-Haft auf ihren Prozess. Rund 140 000 Staatsbedienstete wurden entlassen. Und die "Säuberungen" nehmen kein Ende. Allein im Dezember wurden nach Angaben des Innenministeriums über 1700 angebliche Gülen-Anhänger festgenommen. Am Montag erließ die Staatsanwaltschaft Ankara Haftbefehle gegen 60 Angehörige der türkischen Luftstreitkräfte. Oft reicht schon eine Denunziation für eine Verhaftung. Auch unbedachte Äußerungen in sozialen Netzwerken können Folgen haben: Wegen regierungskritischer Online-Kommentare wurden im vergangenen Jahr 2754 Menschen festgenommen.

  • Erklären Sie mir bitte, wie 'Deutschland' die Beteiligung geflüchteter Personen, denen von Ankara angeblich eine Beteiligung am Putsch vorgeworfen wird, überprüfen soll und kann, wenn die türkische Regierung keinerlei (oder unbewiesene) Informationen



    dazu rausrückt. Einen Untersuchungsausschuss zum Putsch hat Ankara bisher immer wieder zurückgewiesen. Also schwierige bzw. unmögliche Beweislage. Das unterscheidet die Türkei von Spanien oder Portugal...