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Kommentar Zukunft der SPDEndlich Opposition!

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD rettet sich selbst vor der Fortsetzung der Großen Koalition und reagiert erleichtert. Dieser Schritt ist verständlich, aber strategisch unklug.

Ob Kanzler oder Opposition, scheint egal: Martin Schulz im Willy-Brandt-Haus Foto: Sebastian Wells

A ls Martin Schulz am Sonntagabend verkündet, dass die SPD in die Opposition geht, jubelt das Willy-Brandt-Haus, als hätte man gerade die absolute Mehrheit errungen. Es gibt natürlich gute Gründe für das Nein der SPD zur Großen Koalition. Als Partei zu erscheinen, die, egal was kommt, an der Macht klebt, wäre Munition für die AfD im Parlament. Und die SPD bringt in der Tat eine Koalition mit Merkel nicht weiter, da deren Inhalte ohnehin sozialdemokratisch eingefärbt waren – eine Abgrenzung zur Merkel-CDU tat mehr als Not.

Doch die Art, wie die SPD diese Entscheidung inszeniert – die affektive Aufladung, der emotionale Aufbruch – ist seltsam. Es scheint, als wäre man vier Jahre dem Erstickungstod nahe gewesen und könne erst jetzt wieder, endlich ohne Merkel!, frei atmen. Aber so war es nicht. Die SPD hat in der Großen Koalition loyal, reibungslos und effektiv mitregiert.

Das Verwunderliche an diesem unmittelbaren Nein zur Fortsetzung der GroKo ist, dass die SPD keinen einzigen inhaltlichen Punkt benennt, der mit der Union nicht durchsetzbar wäre. Es ist genau andersherum: Die SPD sagt Nein zu Merkel, weil sie fürchtet, in möglichen Verhandlungen ihr Wahlprogramm bei Rente, Bildung oder Arbeitslosengeld weitgehend durchsetzen zu können. Was die Schulz-SPD zu dieser schnellen Entscheidung treibt, ist die Wut, gegen die Watte-Merkel kein Mittel gefunden zu haben. Es ist eine Entscheidung, die aus Wahlkampf-Frust geboren wurde, nicht aus Weitblick. Das ist verständlich, aber strategisch unklug.

Trommelwirbel – und dann kommt nichts

Dieses donnernde Nein wirkt dazu wenig konsequent. Vor zwei Wochen hat Martin Schulz noch mit Trommelwirbel vier Punkte als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der SPD präsentiert, die in der Debatte dann zu Recht untergingen. Die Bürgerversicherung tauchte dabei nicht auf.

So tritt keine Partei auf, die den baldigen Ausstieg aus der Großen Koalition auf dem Radar hat. Ab wie viel Prozent hätte die SPD denn, staatstragend wie immer, die nächste Regierung mit Merkel anvisiert? Ab 23,1? Ab 24 oder erst ab 25? Es ist nicht überzeugend, ein so rigoroses Nein von ein paar Prozentpunkten abhängig zu machen.

Falls Jamaika scheitert, beginnt eine Politik ohne Geländer. Die SPD ist dafür mit ihrem schnellen, grundsätzlichen Nein zur Großen Koalition miserabel präpariert. Dieses mit Gefühlsüberschwang formulierte Nein wird, wenn die Alternative heißt: Neuwahlen oder doch mal mit Merkel reden, wie ein Klotz am Bein wirken. Denn inhaltlich kann die SPD nicht angeben, warum ein Bündnis mit der Union nicht mehr geht. Was in der SPD heute viele als Befreiung empfinden, kann bald schon trotzig wirken.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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15 Kommentare

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  • Jetzt ist die SPD total durchgeknallt !

     

    Was soll das : Sie möchten nicht das es die afd als stärkste Opposition im Bundestag gibt !

     

    Wäre es nicht klüger gewesen, als Teil einer großen Koalition weiter zu regieren , um der afd Parolie zu bieten !

     

    (Oder bin ich auf dem verkehrten Dampfer !)

  • Bin gespannt ob Mama die Sozis nicht doch noch umstimmt.

  • Aus welchen Gründen soll die Opposition die "große Chance" der SPD sein?

    Weil sich sich neu positionieren kann?

    Wo soll sie sich denn positionieren mit der Linkspartei im Nacken?

     

    Weil sie die Inhalte ihrer Politik neu bestimmen kann?

    Inhalte, die sie den Grünen und der Linkspartei erst wegnehmen muss weil sie sie schon lange an diese abgegeben hat.

     

    Weil sie Opposition gegen die AfD machen will?

    Das wir Mutti aber freuen: Ein heillos zerstrittener Haufen gegenüber der Regierungsbank der sich nicht auf gemeinsame Punkte einigen kann.

     

    Und wenn keine Regierungskoalition zustande kommt bzw die keine 4 Jahre hält?

    Dann ist die SPD kein Retter in der Not sondern muss mit einer schnell herbeigezauberten Lichtgestalt (vielleicht dieses Mal keinen spießigen Eurokraten) kampfhaft versuchen, den endgültigen Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern.

     

    Für mich steht fest: In der Opposition wird die SPD zuwischen Linke und AfD zerrieben. Sie kann sich dort nicht positionieren.

     

    Sich als erneuten Koalitionspartner zu präsentieren mag schmerzhaft sein und vielleicht zunächst keine Vorteile bieten außer dem Anspruch, ein Partei des sozialen Ausgleichs zu sein die auch ich schlechter Lage Regierungsverantwortung übernimmt.

    Dazu muss nur der "Ich-werde-Kanzler"-Martin weg, aber erfolglose Kanzlerkandidaten hatten in der SPD nie eine Zukunft.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Völlig unglaubwürdig.

    Wozu ist Schulz denn eigentlich angetreten?

    Wenn die SPD Opposition will, dann hätte sie das von Anfang an im Wahlkampf so machen sollen.

    Diese Partei hat komplett abgewirtschaftet und ist völlig orientierungslos.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Und ab morgen melden sich dann die ganzen tazzis, die die SPD in der Opposition sehen wollten...

  • Die SPD fällt 24,6% der Wähler, die sie als Regierungspartei sehen wollte, in den Rücken. Die werden sich fragen, wozu habe ich euch gewählt? Was ist das für ein System, in dem die 2. stärkste Partei von vornherein Koalitionsverhandlungen abschlägt und erklärt, man stünde nicht zur Verfügung. Diese Entscheidung ist parteipolitisch und zeigt, dass Parteien nicht zum Wohle des Volkes antreten, sondern ihretwegen.

  • Wenn die SPD überhaupt noch mal eine Chance haben will den/die Kanzler/in zu stellen, dass braucht sie eine Auszeit von der Regierung, dann muss sie sich erneuern. Ein Weiter-So in einer GroKo würde ihr nur schaden.

     

    Das Problem ist nur, ohne einen Personalwechsel, ohne ein Abschneiden der alten Kader aus Schröder-Zeiten, wird es der SPD auch nicht gelingen wieder Aufwind zu erfahren. Und hier kommt diese schnelle Absage an die GroKo ins Spiel. Die alten Kader um Oppermann, Schulz und Co. sahen ihre einzige Chance weiterhin eine Rolle zu spielen darin, die Flucht nach vorn anzutreten: Absage an die GroKo und den Eindruck erwecken, man sei selbst der neue Besen, der frischen Wind in die alte SPD bringt. So haben sie das Momentum genutzt, um sich selbst zu retten. Ob dies lange trägt, wird sich erst noch zeigen.

  • rauszulesen ist die angst vor einem scheitern er doch so "sicheren" merkel administration- schon jamaika ist eigentlich untragbar.

    was bleibt ist eine minderheitsregierung bzw neuwahlen. aber davor bewahre uns der mediendruck (auf die spd) der scheinbar ab sofort begonnen hat.

  • Ob Opposition der SPD wirklich gut tut? Inhaltliche Differenzen zwischen SPD und einer Jamaika-Koalition werden schwer zu finden sein. Was von Grünen über FDP bis CSU konsensfähig ist, dürfte in aller Regel auch für die SPD zustimmungsfähig sein. Das Risiko für die SPD ist daher, daß Jamaika dazu führt, daß die AfD und Linkspartei viel lauter und deutlicher gegen die Regierung Opposition machen als die SPD, und es daher keineswegs zu einer fast automatisch Erholung der SPD in der Opposition kommt. Es könnte sogar den Niedergang der SPD beschleunigen.

  • „Die SPD rettet sich selbst vor der Fortsetzung der Großen Koalition und reagiert erleichtert. Dieser Schritt ist verständlich, aber strategisch unklug“

     

    Na sowas! Vor der Wahl waren aus den Medien, darunter auch der TAZ, (mehr oder weniger) kluge Analysen über anzustrebende Koalitionsvarianten zu erfahren. Als ob hierzu nicht erst mal die Wahlergebnisse vorliegen müssten! Insbesondere wurde der SPD dringend von einer Fortsetzung der GroKo abgeraten.

    Und nun soll das „strategisch unklug“ sein?!

     

    Ich empfehle zur nächsten Wahl sämtliches phantasieren über Koalitionen zu unterlassen, bis die Wahlergebnisse vorliegen. Es sei denn, die Zeitungsseiten und Sendezeiten sind anderweitig nicht vollzukriegen!

  • "Die SPD hat in der Großen Koalition loyal, reibungslos und effektiv mitregiert." (Zitat)

     

    Die SPD ist wie die CDU und Gegenprobe: Die CDU ist wie die SPD.

     

    Warum vereinen sich nicht diese beiden Parteien? Das wäre doch eine interessante Frage.

     

    Und in der Verteildungspolitik, die alle Bereiche durchzieht von der Bildungs- bis zur Sozialpolitik vertreten beide Parteien, die von Gerd Schröder entworfene Agenda-Politik.

     

    Die ist im Kern ein neoliberales Projekt: Es geht darum Reichtum nach Oben von Unten umzuverteilen und die Armen da unten in einem repressiven Kontrollsystem zu unterdrücken, damit die immer unten bleiben und keine Ansprüche stellen. Das ist der Kern der Schnittmenge von CDU/CSU und SPD.

     

    Es geht diesen beiden Parteien hierbei um nachhaltige Macht für ihre Klientelgruppen, der Arbeiter beim Daimler, Salzgitter oder in Saarlouis muss nicht mit dem €450-Jober oder der Zeitarbeitskraft teilen, er behält, was er hat, bei Schulz hätte man ihm noch ein wenig mehr zukommen lassen.

     

    Andererseits hat der Unternehmer oder Regierungsdirektor bei CDU/CSU und SPD eine Garantie, dass kein Russlanddeutscher, Flüchtling, Zuwanderer oder armer Deutscher in der Schule oder in der Universität als Konkurrent gegen seinen Nachwuchs auftreten kann. Die Vererbung von Status, Macht und Wohlstand funktioniert perfekt bei SPD und CDU/CSU.

     

    Weil das so ist, wird die Opposition auch nur begrenzt die SPD regenerieren, denn von was soll sie sich distanzieren, was soll sie angreifen, woran soll sie versuchen Protest und Widerstand zu organisieren?

     

    Wenn sich die SPD regenerieren will, dann muss die Führungsgruppe ersetzt werden und das auch inhaltlich - sehr unwahrscheinlich, dass dies in den nächsten 8 Jahren passieren wird.

     

    Deswegen meine Prognose: Die SPD bleibt bei 20 Prozent und kann sich darüber eigentlich freuen, macht sie doch eher für 5-10 Prozent Politik und schafft dann 2021 23 Prozent und alle gehen an die Decke vor Freude.

  • "Ab wie viel Prozent hätte die SPD denn, staatstragend wie immer, die nächste Regierung mit Merkel anvisiert? Ab 23,1? Ab 24 oder erst ab 25? Es ist nicht überzeugend, ein so rigoroses Nein von ein paar Prozentpunkten abhängig zu machen."

     

    Doch. Man könnte natürlich der Logik von Oppermann folgen, der eine Volkspartei als nicht durch prozentuale Wahlergebnisse definiert sehen möchte. Na ja, schließlich hat Volkswagen auch nur 17,etwas Marktanteil.

     

    Das Problem der SPD in der letzten Großen Koalition war hauptsächlich, dass sie mehr oder weniger ein Teil der Uns-Geht-Es-Gut-

    Deutschland-Geht-Es-Gut-Schulterklopfgemeinschaft war.

    Langfristig reicht auch nicht aus von "Gerechtigkeit" zu sprechen, langfristig muss die SPD für einen gewissen gesellschaftlichen Egalitarismus einstehen. Also für eine Gesellschaft, wo sich keine dauerhafte Trennung in der Mitte bildet, die möglicherweise noch von dem digitalen Wandel verstärkt wird.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Wenn die SPD nochmals in eine Groko einsteigt, dann landen sie bei der nächsten Wahl bei 10 %.

    sich jetzt zu verweigern, ist ihre einzige Chance. Die werden sie Aber nur nutzen können mit einem neuen Anfang, auch personell. Nahes jetzt zu unterstützen und aufzubauen, wäre fatal. Dann können sie auch mit der CDU zusammengehen.

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Hilft auch nix, wenn man Nahles zur Oppositionsführerin macht. Wenn das das Beste ist, was man personell für die neue Arena aufbieten kann, sollten sich die Genossen nicht nur aus der Regierung, sondern aus dem Bundestag verabschieden.

      SPD 11% in MeckPomm: Die nächste Landtagswahl wird interessant.

  • Hilft aber alles nix, die SPD muss erstmal zur Besinnung kommen, was Sozialdemokratie heute überhaupt heißen soll. In der Opposition ist da auch Luft für Dinge, die in einer Regierungskoalition einfach undenkbar sind. Es hilft überhaupt nicht weiter, regieren zu wollen, ohne wirklich zu wissen, wo es hingehen soll.