Kommentar Wikileaks: Die großen Zeiten sind vorbei
Wikileaks’ unkuratierte Veröffentlichung von Daten gefährdet Privatpersonen. Und die brisanten Leaks der letzten Jahre machten andere.
D aten sind gefährlich. Das gilt nicht nur für Regierungen, sondern auch für Privatpersonen, zeigt ein Blick in die Türkei. Vor einer Woche veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks mit großer Geste 300.000 „Erdoğan-E-Mails“. Später stellte sich heraus, dass von Erdoğan selbst gar keine E-Mails dabei sind.
Mehr noch: Die Publizistin Zeynep Tufekci wies jetzt darauf hin, dass Wikileaks Links zu einer Datenbank mit – Stichproben zufolge aktuellen – Privatadressen fast aller erwachsenen Frauen in der Türkei verbreitete. Persönliche Daten von Millionen Privatpersonen im Netz: Was war noch gleich so großartig an diesem Leak?
Auch in den USA wurden dieses Wochenende Dokumente veröffentlicht. 20.000 E-Mails sollen zeigen, dass die Parteiführung der Demokraten schon seit Langem gegen Sanders intrigierte. Die Vorsitzende trat daraufhin zurück.
Im Vergleich zu früheren Wikileaks-Enthüllungen ist das eher ein machtpolitisches Detail – und erst recht im Vergleich zu den Türkinnen, deren Adressen nun anscheinend jeder leicht herausfinden kann. Angesichts der politischen Situation in der Türkei ist das mehr als besorgniserregend.
Vor zehn Jahren war Wikileaks mit dem Ziel angetreten, unethisches Verhalten in Politik und Wirtschaft aufzudecken. Die Methode, unkuratiert Daten zur Verfügung zu stellen, wurde dabei immer wieder kritisiert, aber für die brisanten Informationen letztlich in Kauf genommen. Dokumente über die Kriege in Afghanistan und dem Irak waren dabei, die Guantánamo-Papiere ebenso.
Das ist lange her. Die politisch wirklich brisanten Datenleaks der letzten Jahre kamen von Rechercheverbänden wie dem International Consortium of Investigative Journalists. Und: Panama Papers, Luxemburg-Leaks und NSA-Papiere waren kuratiert.
Parteiinterne Machtspielchen, durch leichtfertige Verlinkungen gefährdete Persönlichkeitsrechte – nach zehn Jahren scheint Wikileaks den ursprünglichen Anspruch aus den Augen verloren zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei