Kommentar Wahlergebnis in Nicaragua: Nur leere Urnenrituale
Der ewige Präsident Ortega „gewinnt“ die Wahl. Die Opposition ruft zum Boykott auf – doch es gibt einfach zu viele Ortega-Hörige im Land.
A ls 1984 die Sandinisten in Nicaragua dem internationalen Druck nachgaben und die Revolution durch Wahlen legitimieren ließen, waren viele NicaraguanerInnen ratlos. Wählen gehen? Die aus einem Volksaufstand hervorgegangene Revolution genoss damals noch breiten Rückhalt im Kampf gegen Analphabetentum, Kindersterblichkeit und Landlosigkeit.
Wahlen kannte man aus der Zeit des gestürzten Diktators Anastasio Somoza als leeres Ritual, das an den Machtverhältnissen nichts veränderte. Es herrschte also ein gesundes Misstrauen gegen Urnen und Stimmzettel. Was zählte, war „poder popular“, also die Macht des organisierten Volkes.
Über 30 Jahre später ging es wieder darum, die Macht von Daniel Ortega zu legitimieren und zu perpetuieren. Der einstige Revolutionskommandant ist der einzige Präsidentschaftskandidat, den seine Partei, die sich noch immer Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) nennt, je aufgestellt hat. Wer das parteiintern infrage stellen wollte, wurde durch Rufmord fertiggemacht; schon lange hat es keiner mehr versucht. Die Macht liegt in den Händen des Präsidentenpaares, Minister, Bürgermeister und Abgeordnete sind ohnmächtige Befehlsempfänger.
Niemand bestreitet, dass unter Ortega mehr für die Armen getan wurde als unter den neoliberalen Vorgängerregierungen. Doch die Wohltaten werden nach Gutsherrenart verteilt. Die Begünstigten solcher Projekte wurden in manchen Gegenden in Bussen zur Urne gekarrt. Staatsangestellte fürchten um ihren Job, wenn sie nicht wählen gehen.
Dennoch war die Wahlenthaltung hoch. Sollte sie, wie die Opposition glaubt, an die 80 Prozent betragen, wird das der Ortega-hörige Oberste Wahlrat nie zugeben. Gähnend leere Wahllokale sprechen aber eine deutliche Sprache und sind ein vernichtendes Zeugnis für den ewigen Präsidenten. Wahlen sind wieder zum leeren Ritual verkommen, das nichts verändern soll oder kann.
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