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Kommentar Wahl-o-Mat zur EU-WahlMehr Gerechtigkeit und Überraschung

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Kölner Richter haben den Wahl-o-Mat zur Europawahl gestoppt. Der staatliche Anbieter sollte die Benachteiligung kleiner Parteien umgehend aufgeben.

Bei der Anzahl der Parteien kann man schon mal den Überblick verlieren Foto: Karsten Thielker/taz

D er Wahl-o-Mat ist eine tolle Sache und eine große Hilfe. Niemand muss sich abendelang hinsetzen und selbst die Wahlprogramme der Parteien studieren. Den Vergleich organisiert netterweise die Bundeszentrale für politische Bildung. Man muss nur zehn Minuten investieren, um 38 Thesen aus allen Politikfeldern positiv oder negativ zu bewerten. Am Ende vergleicht die Wahl-o-Mat-Software die Antworten mit den Wahlprogrammen und erstellt daraus eine Rangliste der am besten passenden Parteien. Der Wahl-o-Mat gibt also keine eigene Empfehlung, sondern hilft nur bei der Selbsterkenntnis.

Ursprünglich kommt die Idee aus den Niederlanden. In Deutschland wird der Wahl-o-Mat seit 2002 angeboten. Bei 47 Wahlen auf Europa-, Bundes-und Landesebene kam er schon zum Einsatz. 71 Millionen Teilnehmer haben ihn im Laufe der Jahre genutzt, Tendenz steigend. Bei der Bundestagswahl 2017 waren es bereits über 15 Millionen Menschen.

Der Wahl-o-Mat zeigt, dass man mit überschaubarem Aufwand eine fundierte Wahlentscheidung treffen kann, und dass es durchaus große Unterschiede zwischen den Parteien gibt. Beides motiviert zum Wählen. Der Wahl-o-Mat ist also ein echter Gewinn für die Demokratie.

Nun gab es aber rechtlichen Streit um ein Detail. Die pro-europäische Partei Volt kritisierte, dass beim Wahl-o-Mat jeweils nur acht Parteien miteinander verglichen werden können. Es bestehe die Gefahr, dass dabei vor allem bekannte Parteien ausgewählt werden und Neulinge sowie Kleinparteien deshalb benachteiligt sind. Damit hatte Volt am Montag Erfolg beim Verwaltungsgericht Köln. Das Gericht erließ eine einstweilige Anordnung wegen Verletzung der Chancengleichheit. Ab 20 Uhr ging der Wahl-o-Mat dann vorerst offline.

Volt wurde bekannter, aber wohl nicht beliebter

Die rechtliche Kritik ist gut nachvollziehbar. Zwar ist die Beschränkungauf acht Parteien scheinbar neutral, denn der Teilnehmer wählt selbstaus, wen er in den Vergleich einbeziehen will. Dass dabei aber große und bekannte Parteien in der Regel bevorzugt werden, liegt auf der Hand.

Die Bundeszentrale versuchte die Begrenzung mit pädagogischen Gründen zu rechtfertigen. Ein Vergleich von nur acht Parteien sei übersichtliche und damit auch verständlicher, als wenn alle 41 kandidierenden Parteien verglichen würden. Politisch Interessierte waren aber schon immer genervt von der Beschränkung: Wer interessiert sich denn für nur acht Parteien? Und auch unerfahrenen Wählern könnte man durchaus mehr zutrauen. Es hat sich ja auch noch nie jemand beschwert, dass die Bundesliga-Tabelle mit 18 Vereinen zu unübersichtlich sei.

Vor allem aber nimmt die Zwangsbegrenzung dem Wahl-o-Mat viel von seinem spielerischen Reiz. Der teilnehmende Pfarrer wird so vermutlich nicht erfahren, dass für ihn auch die Esoterik-Partei „die Violetten“ ein interessantes Angebot sein könnte – denn er wird sie wohl gar nicht erst in sein Achter-Set aufnehmen. Und dem AfD-Wähler wird so die Überraschung erspart, wieviel Übereinstimmung er möglicherweise mit der Linkspartei hat. Es sind doch auch solche kleinen Verblüffungen, die ein Angebot wie den Wahl-o-Mat so attraktiv machen.

Nun ist der Wahl-o-Mat aber erstmal offline, ausgerechnet in der letzten Woche vor der Europawahl. Der Erfolg für Volt hält sich damit in Grenzen. Denn ohne Wahl-o-Mat hat die Partei noch weniger Chancen, sich zu präsentieren. Vielleicht wurde Volt durch die Klage etwas bekannter, beliebter wurde die Partei damit aber sicher nicht.

Es gibt auch Alternativen

Auf der anderen Seite könnte die Bundeszentrale noch Rechtsmittel gegen die Kölner Eil-Anordnung einlegen. Doch dann bliebe der Wahl-o-Mat weitere Tage abgeschaltet. Die Bundeszentrale sollte deshalb über ihren Schatten springen und die Zwangsbegrenzung auf acht Parteien schnell aufgeben. Zumindest sollte als Alternative auch die gemeinsame Auswertung aller 41 Parteien angeboten werden.

Und für den Notfall gibt es auch andere Angebote. Bei voteswiper.org werden zum Beispiel jetzt schon alle Parteien in den Vergleich einbezogen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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12 Kommentare

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  • www.partei-o-mat.de/ Die Partei stellt ein Tool gleicher Funktion nur ohne Beschränkung zur Verfügung.

    • @Darius Ribbe:

      Danke für den Hinweis! Ich machte spaßeshalber gerade mal einen Durchgang. Da sah es so aus, dass - erwartbar - es bei einigen Parteien hohe Überschneidungen mit über 80 % gab. Am unteren Ende wird es dann aber interessanter: CDU/CSU mit 45 % nur knapp vor dem Dritten Weg (43%!), welche gleichauf mit der FDP (!) liegen. Interessanterweise liegt die AFD mit 21 % ganz hinten, noch nach NPD 29 % und die Rechte 36 %. Daran lässt sich wohl ablesen, wie stark u.a. neoliberale Positionen vertreten sind. Auffällig jedenfalls wie nahe CDU/CSU und FDP den rechten Parteien sind.

  • "Am Ende vergleicht die Wahl-o-Mat-Software die Antworten mit den Wahlprogrammen [...]"

    Bin mir nicht mehr 100% sicher, aber war es nicht immer so, dass das Wahl-o-Mat-Team zuerst Fragen ausgewählt, diese dann an die Parteien geschickt hat und die können dann, genauso wie der Wähler, explizit Ja/Nein/Neutral/Nichts sagen sowie noch eine kurze Erklärung bzw. Begründung mitliefern, die man sich ebenfalls anschauen kann.



    (?)

  • Auch voteswiper.org hat mir bestätigt, das ich mit der sehr guten Partie DiePARTEI zu 74,29 % (Wau,auf hundertstel Prozent genau, wer programmiert so einen Scheiss? Lungenärzte?) übereinstimme.

  • Mir leuchtet die Argumentation, kleinere Parteien würden bei der Begrenzung auf acht Parteien gleichzeitig benachteiligt, nur bedingt ein. Schließlich kann man beliebig oft acht Parteien vergleichen, was ich auch getan habe. Bestimmte Parteien (die erkennbar rechten) habe ich bewusst ausgeschlossen, weil sie für mich nicht in Frage kommen. Andere mögen das mit linken tun. 41 Parteien auf einmal wäre mir zu unübersichtlich. Außerdem bleibt der Übereinstimmungsrad mit meinen Positionen ohnehin gleich. Als neugieriger Mensch wollte ich, mit den genannten Ausnahmen ohnehin wissen, wie das für mich bei den Kleineren aussieht.



    Eigentlich zweifeln die Kritiker*innen nicht am Wahlomat, sondern an der Auswahlkompetenz der Nutzer*innen. Wer den Wahlomat nutzt ist immerhin schon mal nicht politisch desinterssiert. Wer nur die etablierten Parteien abruft, mag sich etwas dabei gedacht haben. Warum sollte ich zwangsweise mit den Positionen sämtlicher Parteien konfrontiert werden? Alle auf einmal wären mir zuviel.

    • @Joba:

      Joba, das geht zwar, aber ist auch verdammt viel Arbeit (6 mal vor und zurück um 41 Parteien abzudecken ... dann muss man sich auch noch die jeweils besten merken um die dann im 7., 8. usw. Durchlauf zu vergleichen).



      Da setzt dann auch die Argumentation ein: Weil das zuviel Arbeit sei, mache es keiner und daraus ergebe sich eine indirekte Diskriminierung.

      • @Franz Georg:

        Wäre es anderenfalls weniger Arbeit, sich einen Überblick zu verschaffen? Die Parteien mit minimaler Übereinstimmung fallen ja (nach kurzem einzelnen Anklicken) schnell weg und es würde mich wundern, wenn tatsächlich mehr als 8 Parteien in die wirklich engere Auswahl kämen. Bei mir hat es nicht länger als eine Stunde gedauert (weil ich mich an den Begründungen von "Die Partei" beömmelt habe) und als mühsam habe ich es nicht empfunden. Wem es zu viel ist, jede Partei einzeln kurz auf Übereinstimmung zu checken, ist selbst schuld, wenn ihm/ihr etwas entgehen sollte. Wo ist da Diskriminierung? Vielleicht will jemand auch absichtlich nicht sämtliche Parteien kennenlernen.

        • @Joba:

          "Wäre es anderenfalls weniger Arbeit, sich einen Überblick zu verschaffen?"



          Ja, die List ist ja nach Übereinstimmung sortiert.

          "Bei mir hat es nicht länger als eine Stunde gedauert"



          Es ist eben so, dass nicht alle so motiviert sind wie Sie (oder ich) und sich eine ganze Stunde damit beschäftigen.

          "Wem es zu viel ist, [...] ist selbst schuld"



          Nicht ganz (so die Richter), da ja auch die nicht angezeigt Partei einen Schaden hat.



          ... und nebenbei, Sie und ich haben auch einen Schaden davon, wenn zu viele einfach aus Faulheit CDU/FDP/AfD/SPD wählen.

          "Vielleicht will jemand auch absichtlich nicht sämtliche Parteien kennenlernen."



          Klar, man kann es ja immernoch anklickbar machen ... nur die Obergrenze von 8 soll weg. Wer damit zufrieden ist, wenig zu wissen, darf das und wer gerne viel wissen will, sollte auch viel wissen dürfen ... in weniger als 1std, also ohne künstlich behindert zu werden.

        • @Joba:

          Habe eben den PARTEI-O-Mat angeschaut und gepielt und muss zugeben: So ist es praktikabel, auch wenn man lange scrollen muss.

          • @Joba:

            ja, den Partei-o-mat.de hab ich auch gerade gefunden ... toll

            Nebenbei, auf Reddit hat auch einer JS Code veröffentlicht (vor fast 3 Wochen), um die Beschränkung im original Wahl-o-Mat (die, die technisch nicht anders zu implementieren ist :-) ) zu umgehen ... dann kann man auch da auch so viele anschauen wie man will.



            old.reddit.com/r/d...BCr_alle_parteien/

  • Ich fand es schon immer dubios, dass man beim Wahlomat eine Vorauswahl treffen muss. Wieso können nicht einfach ehrlich die Übereinstimmungen mit allen zur Wahl stehenden Parteien angezeigt werden? Wird dann Chaos befürchtet, weil die Leute auf die Idee kommen könnten, kleinere Parteien zu wählen? Versteht sich die Bundeszentrale für politische Bildung insofern auch als Verteidigerin des Status der etablierten Parteien?

    Die Unzulässigkeit solcher Erwägungen in einer Demokratie ist natürlich besonders eklatant bei der Europawahl, wo es keine Prozenthürden gibt.

    Wäre schön, wenn sie das einfach mal generell ändern würden.

    • @Soda:

      Und die Reihenfolge der Wahlzettel ist so aufgebaut, daß zuerst kommt, wer am meisten Stimmen bei der letzten Europawahl im jeweiligen Bundesland bekommen hat, da ist Volt nicht angetreten und dann alphabetisch von oben nach unten vorgegangen wird. V für Volt müsste also bei einem knapp 1 Meter langen Wahlzettel am Ende stehen. Wenn man den nicht voll aufklappt, sieht man die nicht mal.

      Mit der gleichen Argumentation kann man auch die Auswahl für unfair halten.